Bisexualität. Zwischen Diskriminierung, politischem Potenzial und der Freiheit "mehr" zu lieben.
Foto: VisiBIlity Austria
Die Stimmen vier verschiedener bisexueller Menschen kommen in diesem Blogbeitrag zu Wort. Anlässlich des weltweiten Bi Visibility Day sprechen sie über ihr Bisein, Aktivismus, Glaube und Biphobie.

Morgen, am 23.09., findet der weltweite jährliche Tag der Bisexualität statt. Unter dem Motto Bi Visibility soll u. a. die Sichtbarkeit von bisexuellen Menschen im Vordergrund stehen.

Bisexuelle[1] Menschen erleben oft ein Zweierlei an Diskriminierung, einerseits im täglichen heterosexuellen Mainstream, andererseits in der Queer Community. Bi birgt aber auch ein großes politisches Potenzial, weil es sich der Festlegung auf einerseits heterosexuell oder andererseits homosexuell entzieht.

Ich habe vier Menschen aus Wien, wo sich seit letztem Jahr zwei verschiedene Bi-Gruppen regelmäßig treffen, interviewt. Alle machen ihre eigenen, ganz individuellen Erfahrungen als bi- oder pansexuelle[2] Personen und haben unterschiedliche Perspektiven auf das Thema Bi-Aktivismus. Auch zum Thema Glaube haben die Interviewpartner_innen einiges Interessantes zu sagen.

 

Für was genau steht der Bi Visibility Day und wie werdet ihr ihn dieses Jahr feiern?

Claudia B.: Der Visibility Day wurde in den USA von Bi-Aktivist_innen ins Leben gerufen, um die eigene Bisexualität zu feiern sowie auch Freunde, Familie, bisexuelle Menschen im Leben zu unterstützen. Ich glaube, es ging ihnen dabei auch darum, einen eigenen Tag zu haben, an dem es wirklich mal um die eigene Art des Begehrens, der eigenen Identität geht. Einmal im LGBT-Kontext nicht nur "eh mitgemeint" oder gar ausgeschlossen zu sein, sondern sichtbar und laut zu sein.

R.R.B.: Ja, es ist ein Tag an dem es speziell darum geht, eine sonst wenig sichtbare Identität sichtbarer zu machen.

Franziska: Dieses Jahr begehen wir den Bi Visibility Day in Wien zum ersten Mal gemeinsam als Gruppe, indem wir eine öffentliche Party in Wien veranstalten. Wir freuen uns auf gemütliches Zusammensein und interessante Gespräche.

Ihr seid in verschiedenen Bi-Gruppen in Wien aktiv – wie heißen diese und für was stehen sie? Sind es politische Gruppen oder zum Austausch, als Gruppenangebot gedacht? Wie oft trefft ihr euch, was macht ihr bei den Treffen?

R.R.B.: Die Gruppen heißen VisiBIlity Austria und No*Monos. VisiBIlity steht für Sichtbarkeit Bisexueller, die Gruppe ist offen für alle, die sich für das Thema Bisexualität/Pansexualität interessieren. No*Monos steht für nonmonosexual identities, das meint: Identitäten abseits von monosexuellen Orientierungen wie homosexuell oder heterosexuell, oder anders gesagt: alle sexuellen Orientierungen, die mehr als ein Geschlecht/Gender begehren. Es ist eine Sammelbezeichnung, die auch bisexuell, pansexuell, queer usw. beinhaltet. Ich bin in beiden Gruppen aktiv.

Franziska: Ich bin nur in der VisiBIlity-Gruppe. Wir verstehen uns sowohl als Austausch- als auch als politische Gruppe, jedoch nicht als Datingplattform. Wir machen jeden ersten Dienstag im Monat unseren für alle offenen Stammtisch und freuen uns immer wieder über neue interessierte Menschen. Bei den Treffen sprechen wir über unsere Gefühle, unsere Wahrnehmungen, Diskriminierungserfahrungen und eigentlich alles, was uns am Herzen liegt. Aufgrund vieler Aktionen der Gruppe (Party, besondere Treffen wie Picknick, Teilnahme an der Regenbogenparade) wird oft auch viel Organisatorisches besprochen.

Kathi H.: Ich war vor ein paar Wochen das erste Mal bei einem Treffen der VisiBIlity. Die erste Stunde war für Organisatorisches eingeplant und der restliche Abend zum Plaudern und Kennenlernen.

Claudia B.: Ich bin wie R.R.B. in beiden Gruppen. Die No*Monos sind meiner Meinung nach noch stärker politisch, beschäftigen sich in Diskussionen usw .viel damit, welche besondere Stellung Personen, die weder eindeutig hetero- noch homosexuell sind, sowohl im Mainstream als auch im queeren Umfeld haben. Es geht dabei um Diskriminierung und Ausschluss, aber auch um das politische Potenzial von Bi. Die Treffen sind eher weniger öffentlich ausgeschrieben, denn manchmal sind Personen, die zu uns kommen, noch nicht (völlig) geoutet.

Die VisibIlity-Gruppe ist offen, online recht leicht zu finden und erfreut sich großen Zuwachs. Besonders schön finde ich hier die hohe Diversität in der Gruppe. Menschen völlig unterschiedlicher Hintergründe, mit unterschiedlichen Erfahrungen und Selbstdefinitionen finden hier das erste Mal einen Ort, sich mit Gleich- oder Ähnlichgesinnten auszutauschen. Auch diese Gruppe ist sehr schnell zu einem recht inklusiven Verständnis von Bisexualität, mehr im Sinne eines Sammelbegriffs, gekommen und spricht inzwischen immer bi- und pansexuelle Menschen an.

Die Gruppen gibt es beide seit letztem Jahr. Warum sind diese Gruppen gerade im Jahr 2015 entstanden – habt ihr dafür eine Erklärung?

Claudia B.: Die Zeit war wohl reif. Ich denke in den letzten Jahren hat sich im queeren Umfeld einiges getan, und das Bewusstsein für die Vielfalt an Identitäten steigt. Die Gruppe No*Monos ist aus dem queer-femisistischen Festival tastique, das im Frühjahr 2015 in Wien stattfand, entstanden. Dort gab es ein Bi-Kränzchen, das überwältigend gut angenommen wurde. Einige von uns begannen dann, sich regelmäßig zu treffen und eine No*Monos-Facebook-Gruppe zu gestalten.

R.R.B.: Dieses Jahr fand übrigens auch die erste European Bi Conference in Amsterdam statt, wo einige aus Wien zusammen hingefahren sind.

Franziska: VisiBIlity Austria ist letztes Jahr aus dem Versuch, einen Beitrag zur Regenbogenparade zu machen, entstanden. Obwohl es letztes Jahr nicht geklappt hat, haben wir uns danach zusammengefunden. Dieses Jahr sind wir das erste Mal als Bi*-Gruppe bei der Regenbogenparade mitgelaufen.

 

Was bedeutet bi für euch, wie lebt ihr es (in eurem je eigenen Lebenskonzept)?

R.R.B.: Ich habe mich entschieden, zu Bisexualität zu forschen, weil es mich bestürzt hat, wie wenig es zu diesem Thema wissenschaftlich gibt. Außerdem finde ich es wichtig, Bi-Aktivistin zu sein und das Thema noch sichtbarer zu machen.

Franziska: Bi sein bedeutet für mich, Männer und Frauen attraktiv zu finden und mir mit beiden Geschlechtern eine Liaison, eine romantische Beziehung und für mein Leben auch eine Ehe und Familie vorstellen zu können.

Kathi H.: Dass ich mich sowohl zu Männern als auch zu Frauen hingezogen fühle, war mir schon relativ früh bewusst. Da ich aber lange keine "Gleichgesinnten" kennengelernt habe, habe ich erst vor ein paar Jahren damit angefangen, mich damit auseinanderzusetzen, wie Bisexualität von außen wahrgenommen wird. Wenn man mich fragt, bin ich aber ein offenes Buch und diskutiere gerne unterschiedliche Auffassungen, vor allem mit Menschen außerhalb der LGBT-Community, die sich damit noch nicht viel beschäftigt haben.

Claudia B.: Ich wähle für mich selbst selten den Begriff bi, sondern bezeichne mich eher als pansexuell. Dabei sehe ich das aber inzwischen mehr als persönliche Vorliebe für ein Wort, das nicht so sehr als "zwei" gehört und gelesen wird. Zudem habe ich im letzten Jahr so viele wunderbare Menschen kennengelernt, die sich irgendwo unter dem Bi-Umbrella (Anm.: "Regenschirm") sammeln und sehe auch immer mehr eine politische Notwendigkeit, diese Identität sichtbar zu machen. Für dieses aktivistische Nach-außen-Gehen finde ich es absolut sinnvoll, Bi* zu verwenden und auch zu emanzipieren.

Nach vielen Jahren der Suche bin ich persönlich inzwischen sehr glücklich damit, mich zu so verschieden Menschen hingezogen zu fühlen. Die wirkliche Herausforderung besteht eher darin, sich unabhängig von den momentanen Partner_innen zusätzlich ein Umfeld zu schaffen, das diese Art zu leben und lieben akzeptiert.

Erlebt ihr Biphobie?

Claudia B.: Oh ja, ständig. Ich glaube, es ist einfach schwierig für uns Menschen, über duale Konzepte, schwarz-weiß, hinauszudenken und die Existenz von Graustufen anzunehmen. Aber es verletzt sehr, wenn mir Menschen sagen, dass es bi* nicht gibt oder ich mich doch entscheiden soll usw. Besonders schmerzhaft finde ich solche Angriffe "aus den eigenen Reihen" – leider ist Biphobie gerade innerhalb der queeren Community sehr verbreitet.

Franziska: Ich persönlich habe noch kaum Biphobie erlebt. Über Sprüche wie "Ein bisschen bi schadet nie", wo Bi als eigenständige sexuelle Orientierung nicht ernstgenommen wird, ärgere ich mich immer ein wenig, aber empfinde es als nicht so tragisch. In der Gruppe haben jedoch schon einige über Erfahrungen mit Biphobie berichtet.

Kathi H.: Ich stoße mehr auf nicht ernst genommen werden. Vor allem wenn man lange Zeit in einer Mann-Frau-Beziehung gelebt hat und sich als bisexuell definiert, tun das viele Leute ab, als wäre es eine "Phase" in der Jugendzeit gewesen. Bis jetzt waren die meisten Leute sehr überrascht, wenn es zur Sprache kam. Man wird häufig mit Fragen zu früheren oder zukünftigen Beziehungen und Erfahrungen bombardiert, die bei Heterosexuellen als taktlos und viel zu intim gelten würden. Und dem immer wiederkehrenden Angebot nach einem flotten Dreier scheint man nie wirklich zu entkommen, auch wenn man nicht polyamourös lebt.

R.R.B.: Ich sehe viel Biphobie. Queere Freund_innen fragen z. B. warum es wirklich dieses Wort (bi) sein muss, ob mensch da nicht ein anderes nehmen könnte, weil es ja immerhin von zwei kommt und das wäre in queeren Zeiten nicht mehr zeitgemäß. Ich finde aber, es ist wichtig, dass wir uns das Wort wieder zurückzuerobern.
Es passiert auch immer wieder, dass Bisexualität von unterschiedlichen Stellen unsichtbar gemacht wird, wenn bisexuell z. B. beim Ausschreiben des Akronyms LGBTI einfach "vergessen" wird. Ich habe oft das Gefühl, dass das Bewusstsein für Bi-Agenden nicht da ist.

In queeren politischen Kontexten spielen Glaube oder Spiritualität meistens keine Rolle – wie ist das bei euch? Seid ihr in irgendeiner Form gläubig oder spirituell – und gibt es da Verbindungen bzw. Abstoßungen zu eurer Identität als bisexuelle Menschen?

R.R.B.: Ich würde mich als spirituell bezeichnen und finde das verträgt sich sehr gut mit meiner Identität. Institutionalisiertem (katholischen) Glauben stehe ich aufgrund meiner politischen Einstellung jedoch kritisch gegenüber.

Franziska: Ich bin römisch-katholisch erzogen worden, war auf einem katholischen Privatgymnasium, glaube an Gott, aber stehe der katholischen Kirche durchaus kritisch gegenüber und denke, dass es viel Reformbedarf gibt. Ich persönlich habe nur selten Menschen innerhalb der katholischen Kirche als radikal und in Bezug auf bestimmte Lebensweisen ablehnend erlebt. Aber ein Religionslehrer war sehr prägend im negativen Sinn. Das hat mich auch eine Zeit lang nicht an meinem Glauben, jedoch an meiner Kirche zweifeln lassen, und ich habe mich nach anderen Glaubensgemeinschaften umgesehen. Ich erlebe, dass es für viele Menschen schwer, ist zu verstehen, wie ich glauben kann, wenn ich von der heterosexuellen Norm abweiche. Viele sehen nur Kirchenvertreter wie zum Beispiel den Salzburger Weihbischof Andreas Laun, der immer wieder durch menschenfeindliche, homophobe Äußerungen auffällt. Ich trete im Kleinen für Toleranz, Akzeptanz und Veränderung ein, z. B. im Gemeindeleben. In der VisiBIlity-Gruppe ist Religion eigentlich kein Thema.

Claudia B.: Ich wurde sehr konservativ christlich-katholisch erzogen. Ganz klassisch, mit viel Angst vor dem Falsch-Sein und Falsch-Machen. Scham und Demut. Dies hat sicher den Prozess, meine Sexualität und mein Liebeskonzept kennenzulernen und anzunehmen sehr verzögert. Ich sehe mich nicht mehr als religiös, leider habe ich Religion als sehr einengend und kontrollierend kennengelernt und hatte das Bedürfnis, mich davon zu befreien, um mich als individuelle Person entfalten zu können.

Kathi H.: Ich bin mit kirchlichem Hintergrund aufgewachsen und das in einem sehr aufgeschlossenen, liberalen Umfeld. Daher haben sich für mich Religion und Bisexualität nie gegenseitig ausgeschlossen. Ich habe meine eigene Beziehung zu Gott und weigere mich an einen Gott zu glauben, der Menschen aufgrund ihrer sexuellen und romantischen Ausrichtung diskriminiert oder gar straft und ausschließt. Ich glaube, dass sehr viele Leute aus queeren Kontexten Religion, aber vor allem die Kirche, als sehr voreingenommen und abweisend erleben (oder erlebt haben) und sich nicht dem Urteil einer höheren Macht unterziehen wollen. Ich glaube aber auch, dass gute Erfahrungen mit Religion und Kirche diese Beziehung verbessern können. Aber oder gerade deshalb ist es die Aufgabe der Kirche, sich um Menschen der LGBT-Community zu bemühen.

Was können die Kirchen eurer Meinung nach für bisexuelle Menschen tun?

R.R.B.: Sie ernstnehmen und für sie wie auch für verschiedene sexuelle Orientierungen, Gender Identitäten und Beziehungsformen offen sein. Idealerweise sich in diesem Bereich auch selbst weiterbilden.

Franziska: Die katholischen Kirchen sollten offener werden, auch in den offiziellen Vertretungen, und nach außen hin Zeichen setzen, dass jeder und jede in der Kirche willkommen ist. Viele Menschen lehnen die Kirche und den Glauben ab, da sie negative Erfahrungen gemacht haben und nicht so akzeptiert wurden, wie sie sind. Das darf nicht geschehen.

Kathi H.: Ich erlebe die evangelische Kirche als sehr aufgeschlossen. Homosexualität findet oft Beachtung und Erwähnung. Dass Homosexualität Bisexualität nicht einschließt, ist den meisten aber trotzdem nicht bewusst. Das Willkommenheißen aller aus der LGBT-Community ist wichtig, auch wenn das manchmal bedeutet, konservativere Gemeindemitglieder vor den Kopf zu stoßen. Enttabuisierung und Inklusion würden nicht zuletzt dazu führen, dass sich religiöse Mitglieder der LGBT-Community wohler in ihrer Kirche fühlen würden und sich nicht vor Angst vor dem Höllenfeuer (das es bei uns Evangelischen ja Gott sei Dank nicht gibt ;) ) von ihrer Gemeinde und ihrem Glauben zurückziehen müssen. Ich bin aber sehr optimistisch, dass auch andere Ausrichtungen bald berücksichtigt und auch sichtbar gemacht werden.

Claudia B.: Meiner Meinung nach sollte es auch in der Kirche darum gehen, jedes Individuum individuell zu betrachten und dabei zu unterstützen, sein bestmögliches Selbst zu sein.

Ich bedanke mich sehr herzlich bei euch für das Interview und eure spannenden Beiträge!

 

Kontakt zu den Bi-Gruppen in Wien:

No*Monos:

non-monosexual-identities@googlegroups.com (auf Anfrage Aufnahme in die geheime Facebook-Gruppe)

VisiBIlity Austria:

http://www.visibility-austria.at/

https://www.facebook.com/groups/visiBIlity.austria/

Party zum Bi Visibility Day am 23.09.16 im Zweistern in Wien:

https://www.facebook.com/events/1090031281090230/

 

 

[1] Bi bedeutet, Männer und Frauen zu lieben und/oder zu begehren. Man kann bi auch verstehen im Sinne einer sexuellen Orientierung, die zweierlei („bi“) bedeutet: mein eigenes Geschlecht und alle anderen zu lieben/zu begehren.

[2] Der Begriff pansexuell unterstreicht einmal mehr, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Wer sich als pansexuell bezeichnet, trifft i. d. R. keine Vorauswahl aufgrund des Geschlechts. Das Begehren und/oder Verlieben richtet sich auf alle Gender.