Wenn ich nicht gerade für kreuz & queer schreibe, dann arbeite ich als Beauftragter für Umwelt- und Klimaverantwortung meiner Landeskirche. Ich habe mich daher sehr gefreut, als ich gesehen habe, dass eines der einschlägigen Szenemagazine in seiner Septemberausgabe ein Themen-Special "Ökologie" bringt.
Bei den Marktforscher*innen gelten Queers als konsumfreudige und kaufkräftige Zielgruppe, da macht es ja durchaus Sinn, einmal auf ökologische Produkte zu sprechen zu kommen. Obwohl ich in meinen Vorträgen immer wieder betone, dass Bio nicht unbedingt deutlich teurer sein muss als konventionell, wenn ich ein paar Regeln beachte: Saisonal einkaufen zum Beispiel oder darüber nachdenken, wie viel Fleisch ich wirklich essen muss. Fleisch aus artgerechter Tierhaltung ist deutlich teurer, das ist auch gut so. Wenn ich aber nicht jeden Tag das Riesenschnitzel esse, dann kann ich mir das auch mit einer durchschnittlich gefüllten Haushaltskasse leisten.
So angetan von dem Themenspecial stolpere ich beim Lesen über ein Interview mit einem Tierrechtsaktivisten (dem Vizepräsidenten von PETA). Die Milch gehöre den Kühen, nicht den Menschen. Der Kampf für Tierrechte sei mit der queeren Emanzipationsbewegung vergleichbar, so sagt er. Da muss ich dann doch etwas schlucken: Gibt es nicht vielleicht doch einen Unterschied zwischen Tier und Mensch?
Für alle, die sich in der Debatte nicht so heimisch fühlen: Tierschutz und der Tierrechtebewegung haben unterschiedliche Ziele: Der Kampf um Tierschutz hat seinen Niederschlag in dem deutschen Tierschutzgesetz gefunden. Tierschutz geht von dem Grundgedanken aus, dass wir als Menschen Verantwortung für unsere Mitwelt haben, auch für Nutz- und Wildtiere. Das Tierschutzgesetz sagt daher, dass niemand ohne einen vernünftigen Grund einem Tier Schmerz, Leid oder Schäden zufügen darf. Natürlich kann man fragen - und das wird zur Zeit auch sehr intensiv diskutiert - ob dieser Grundsatz in der konventionellen Tierhaltung oder bei Tierversuchen wirklich eingehalten wird. Tierschützer kämpfen für eine möglichst artgerechte Tierhaltung, sie stellen die Nutztierhaltung aber nicht grundsätzlich in Frage. Tierrechtler dagegen gehen davon aus, dass jedem Tier ähnlich wie dem Menschen subjektive Freiheitsrechte zukommen, die gegenüber der Gesellschaft in Anspruch genommen und eingefordert werden können. Ziel der Tierrechtler ist daher das Ende jeglicher Nutztierhaltung - auch als Haustiere - und auch der Jagd. Denn: "Tiere haben ein Recht auf Leben, auf Freiheit und Unversehrtheit" (Webseite tierrechte.de). Das erklärt, warum Dan Mathews, der eingangs erwähnte Aktivist, den Kampf um Tierrechte und queere Emanzipationsbewegung so eng miteinander verbindet. Tierrechtler leben daher in aller Regel vegan, verzichten also auf jegliches tierische Produkt.
Seit dem Beginn kirchlicher Umweltarbeit in den späten 70er, frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts sind Fragen des Tierschutzes, der Artenvielfalt und der artgerechten Tierhaltung zentrale Themen in unserem Arbeitsfeld. Wir überlegen mit Kirchengemeinden und ihren Mitgliedern, wie wir dem göttlichen Schöpfungsauftrag, als Menschen die Erde zu "bebauen und bewahren" (1. Mose/Gen 2,15) gerecht werden können. Wir verstehen uns Menschen als Geschöpf unter Mitgeschöpfen - mit einem besonderen Auftrag Gottes und einer besonderen Verantwortung gegenüber diesen Mitgeschöpfen.
Aber dennoch bleibt eine Differenz zwischen Mensch und Tier. Mit dem Auftrag, die Erde zu bebauen, erhalten wir von Gott die Freiheit gestalterisch auf die Mitwelt einzuwirken, Kultur zu schaffen - auch landwirtschaftliche Kultur. Natürlich dürfen wir bei diesem Gestalten den anderen Teil des Auftrags, das Bewahren, nicht vergessen: Lebensräume zu vernichten und Arten auszurotten ist nicht Teil des Gestaltungsauftrags! Und auch wenn die Psalmen immer wieder davon singen können, dass die ganze Schöpfung Gott lobt - als direktes, verantwortliches Gegenüber zu Gott kennen die biblischen Texte nur die Menschen. Diese direkte Beziehung zu Gott führt ja eben auch zu der besonderen Verantwortung.
Hier, in der Frage der Wechselseitigkeit der Beziehung, liegt dann übrigens auch die philosophische und juristische Kritik an der Tierrechtsbewegung begründet: Menschen können ihre Menschenrechte gegenüber der Gesellschaft prinzipiell selber einfordern - auch wenn wir dafür in der Regel eines Anwalts bedürfen. Tiere dagegen können diese Rechte subjektiv nicht wahrnehmen, sie brauchen immer eine Organisation, die sie für sie einfordert.
Genau da sehe ich dann auch einen deutlichen Unterschied zwischen Tierrechtsbewegung und queeren Emanzipationsbewegungen: In der Christopher Street und anderswo sind Menschen für ihre eigenen Rechte auf die Straße gegangen, haben sich auf den Weg gemacht, sich aus ihrer eigenen Unterdrückung und Marginalisierung zu befreien. In der Diskussion um die Anerkennung in den Kirchen ist uns genau das oft zum Vorwurf gemacht worden: "Ihr engagiert euch ja nicht für andere, ihr kämpft nur für euer eigenes Wohlergehen!"
Das berechtigte Moment an solcher Kritik ist, dass der Kampf um die eigene Emanzipation unglaubwürdig wird, wenn ich zugleich meine Augen verschließe vor den anderen Formen von Unterdrückung und Ungerechtigkeit in dieser Welt. Feministische Theologie zum Beispiel hatte es in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schwer, in Lateinamerika Fuß zu fassen. Viele (vorwiegend männliche) Vertreter der Theologie der Befreiung, die für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit kämpften, machten den Frauen genau dies zum Vorwurf, dass sie ja nur ihr eigenes Wohlergehen im Kopf hätten und den eigentlich wichtigen Klassenkampf vernachlässigen würden. Erst allmählich setze sich die Überzeugung durch, dass eine Befreiungsbewegung nicht selbst wieder in sich diskriminierend sein könne. Einer meiner lateinamerikanischen Lehrer brachte das dann einmal so auf den Punkt: "Wo ist Gott, wenn der Arbeiter in der Fabrik um seinen Lohn betrogen wird? Er ist bei dem Arbeiter! Wo ist Gott, wenn der Arbeiter dann frustriert nach Hause kommt und seine Frau schägt? Er ist bei der Frau! Wo ist Gott, wenn die Frau dann die Kinder ungerechtfertig schimpft? Er ist bei den Kindern! Und wo ist Gott, wenn eines der Kinder dann in den Hof geht und mit Steinen nach dem Hund wirft? Er ist beim Hund!"
Als Queers wissen wir, was Ungerechtigkeit und Diskriminierung bedeuten und wie schwer und auch gefährlich der Kampf um Emanzipation sein kann. In manchen Regionen dieser Welt werden wir immer noch in unserem Existenzrecht in Frage gestellt. Das sollte uns sensibel machen für die vielen Formen von Unterdrückung und Diskriminierung, die wir in unserer Welt immer wieder erleben. Es sollte uns solidarisch machen mit allen, die um ihr Lebensrecht kämpfen. Und ja, das sollte uns heute auch sensibel machen für das Lebensrecht und die Lebensräume unserer Mitgeschöpfe. Gerade weil wir als Queers so eine beliebte Zielgruppe der Werbung sind, sollten wir versuchen, bewusst zu konsumieren, achtsam mit den Ressourcen unserer Erde und mit unseren Mitgeschöpfen umzugehen. Doch ich bin überzeugt, dass so ein achtsames Miteinander auch bedeuten kann, einen Hund als Haustier zu haben und Produkte von artgerecht gehaltenen Tieren zu essen.