"Nach meiner Scheidung habe ich nachvollziehen können, wie ihr als Lesben und Schwule um euren Platz in den Gemeinden kämpfen habt müssen!", sagte mir neulich eine Studienfreundin, die ich nach vielen Jahren endlich wieder einmal getroffen habe. Kirchenvorstand und Kirchenleitung hätten ziemlich offen die Frage gestellt, wer den Schuld sei an der Scheidung. "Ich hatte den Eindruck, dass ich nicht mehr dazu gehören soll, weil in meiner Familie etwas schief gelaufen ist.", so die Kollegin.
Der eigene Kampf darum, Teil der Gemeinde zu bleiben, habe ihr die Augen geöffnet dafür, wie abweisend so eine Kirche für Menschen sein muss, die nicht in traditionellen Formen von Familie leben: "Ich würde das nicht aushalten, mich über Jahre für meine Lebensform rechtfertigen zu müssen."
Die biologische Familie - für viele ist sie nach wie vor Ausdruck eines "guten" christlichen Lebens - und viele Angebote unserer Kirchengemeinden sind auf Familien hin ausgerichtet: Familiengottesdienste sind selbstverständlich, Single-Treffs in einer Kirchengemeinde eher die Ausnahme.
Ich fand das Gespräch mit meiner ehemaligen Studienfreundin vor allem deshalb so beeindruckend, weil ich wenige Tage vorher in der Ökumenischen Bibellese bemerkenswerte Worte Jesu über seine biologische Familie gelesen hatte:
"Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter." (Mk 3,31-35)
Eigentlich stellen diese Worte Jesu eine fast schon skandalöse Relativierung der Herkunftsfamilie dar! Wenn ich versuche, die Sätze auf heute zu übertragen, dann würde das bedeuten, dass eine Kirchengemeinde sich als Großfamilie verstehen soll. Eine Gemeinschaft um Gott als Mutter und Vater, in der die biologischen Familienzusammenhänge nicht die wichtigste Rolle spielen. In dieser Großfamilie Gottes sollte dann auch Platz sein für Singles und andere, in Verantwortung vor Gott und den Nächsten gelebten Beziehungsformen.
Manche Queer-Gottedienstgemeinden haben sich in den letzten Jahren zu solchen Großfamilien entwickelt (in denen dann allerdings meist die Hetero-Familien fehlen): Es gibt Gemeinde-Abende, Gemeinde-Freizeiten und anderes mehr, was zu einem gemeinsamen sozialen Leben beiträgt. Und seien wir ehrlich: Die Gefahr, als allein lebende Queers zu vereinsamen, ist ja durchaus gegeben. Ich merke das bei mir selber: Die letzte langjährige Partnerschaft liegt nun auch schon einige Jahre zurück. Umso wichtiger ist es mir, Freundinnen und Freunde zu haben, auf die ich mich verlassen kann, mit denen ich vertraut bin und denen ich mich anvertrauen kann. Sie sind meine Familie - und hier in München findet sich so eine Familie glücklicherweise auch im kirchengemeindlichen Umfeld.