Befiehl du deine Wege
Foto: Matthias Albrecht
Die Gräueltat von Orlando wird noch lange in unseren Herzen und Köpfen nachhallen. Ein Ende der Gewalt gegen LSBTTIQs auch in unserem Land ist nicht in Sicht. Wie und wo können wir in dieser Situation Trost finden? "Befiehl du deine Wege", ein Lied Paul Gerhardt´s kann Auferbauung sowie Ermutigung schenken und unseren Blick auf den wahren Tröster lenken.

Knapp zwei Wochen ist es nun her, dass bei dem Anschlag auf den Club "Pulse" Dutzende von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, transgeschlechtlichen sowie queeren Menschen (LSBTTQ) und deren Freund_innen grausam ermordet wurden. Ziehe ich heute ein Fazit der Reaktionen, die auf dieses feige Attentat folgten, so fällt es, was Deutschland betrifft, ernüchternd bis erschütternd aus. Es ist richtig, wichtig und absolut nötig, dass jetzt so viele Journalist_innen, Publizist_innen, Blogger_innen etc. in den deutlichsten Worten klar machen, wie prekär die Lage von LSBTTIQs auch in unserem Land 2016 noch ist und das nicht nur über die einschlägigen Kanäle, sondern schließlich auch in den Mainstreammedien. Plötzlich ist ein großer Aufschrei vernehmbar, der so vieles von dem beinhaltet, was so vielen von uns auf der Seele brennt. Doch genau so laut, wie diese klagenden Worte vernehmbar waren, genau so sehr bohrt die Frage in mir, was von alledem wird bleiben? Ist das was wir gerade erleben nicht schlicht ein Strohfeuer? Ich bin mir leider ziemlich sicher, dass die vielen Bekundungen über die Gewalt- und Diskriminierungsverhältnisse in der deutschen Politik wenig Nachhaltiges bewirken werden oder gar eine positive Veränderung auslösen. Wie bereits in meinem letzten Blogeintrag erläutert sind LSBTTIQs der Staatsführung der Bundesrepublik Deutschland egal. Die Ignoranz, das Desinteresse und die schließlich erst nach dem großen Druck geäußerten Worte der Bundeskanzlerin in Richtung LSBTTIQ-Community dröhnen mir als Zeichen der Verachtung in den Ohren.

In diesem Sommer gehen wieder viele Tausende Menschen auf die Straße und zelebrieren den Christopher-Street-Day, kurz CSD, dessen Ursprung der erste große Aufstand von LSBTTIQs gegen die Polizeiwillkür in den USA war. Ob diese CSDs nun weiter politische Demonstrationen sind, deren Sinn das Streiten für die Menschenrechte von LSBTTIQs ist, oder ob es sich bei den Veranstaltungen mittlerweile eher um entpolitisierte Partys handelt, ist eine Diskussion, die ich an dieser Stelle nicht führen will. Mir ist vielmehr der Kontrast wichtig. So groß die CSDs auch sind, so bleibt doch zu verzeichnen, dass eine Mehrheit der Menschen dort nicht präsent ist. Und in den Vereinen, NGOs und politischen Organisationen, die sich für die Gleichstellung der verschiedenen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten engagieren, sitzen auch immer nur einige wenige, die diesen Kampf führen. Die Massen bleiben fern und werden dies auch trotz Orlando und angesichts einer erstarkenden neuen Rechten, die schon mal damit kokettiert, Homosexuelle ins Gefängnis stecken zu wollen, auch weiterhin tun.

Wie nun mit dieser Situation umgehen? Was tun? Verzweifeln? Ja, manchmal ist mir zum Verzweifeln. Und dann frage ich bange, wie der biblische Psalmbeter: "Woher kommt mir Hilfe?" (Ps. 121) Worauf die Antwort folgt: "Meine Hilfe kommt vom HERRN". Ich beginne mich auf Gott zu besinnen. Dabei geleitet mich Befiehl du deine Wege, dieser alte Choral von Paul Gerhardt, der mir immer wieder zur geistlichen Erbauung und Ermutigung dient. Dort heißt es in der dritten Strophe:

Dein ewge Treu und Gnade,
o Vater, weiß und sieht,
was gut sei oder schade
dem sterblichen Geblüt;
und was du dann erlesen,
das treibst du, starker Held,
und bringst zum Stand und Wesen,
was deinem Rat gefällt.

Die Zahl der verbalen Attacken gegen LSBTTIQs reißt nicht ab. Auch wenn viele Medien jetzt so zugewandt und kritisch berichten, so wird es wohl nicht lange dauern, bis wieder Gleichstellungsgegner_innen eine Bühne in den diversen Talkshows geboten wird. Dort wird dann erneut argumentiert, nein, selbstverständlich habe keine_r etwas gegen Homosexuelle, aber wenn sie heiraten dürften, dann schade das der Gesellschaft. Auch die Bundeskanzlerin wird im kommenden Bundestagswahlkampf sicherlich abermals ähnlich reden, wenn sie erklärt, die Homosexuellen doch ach so sehr zu schätzen, aber den Kindern dieser Menschen doch trotzdem vollwertige Eltern vorenthalten zu müssen, weil ihr ihr Bauchgefühl das gebiete. Wenn ich diese und andere Äußerungen höre, ist es für mich immer tröstlich zu wissen, dass nicht die selbsternannten Expert_innen und leider mächtigen Bauchfühler_innen, einen Anspruch auf die Wahrheit haben, sondern Gott allein. Er sieht, was gut für uns Menschen ist oder wie es Gerhardt dichtet, was "gut sei oder schade dem sterblichen Geblüt". Daher kann ich alle Menschen in den Talkshows, an den Redepulten und auch auf den Kanzeln einfach reden lassen, ihre verschrobenen Theorien und ihr gefährliches Halbwissen ertragen, denn bis ins Mark bin ich gewiss, der Gott der Gerechtigkeit, - auch der Geschlechtergerechtigkeit - weiß es besser. Und er, der starke Held, weiß es nicht nur besser, er wird auch das, was seinem "Rat gefällt", zu "Stand und Wesen" bringen, also zu Größe führen, was die vierte Strophe besonders bezeugt:

Weg hast du allerwegen,
an Mitteln fehlt dir's nicht;
dein Tun ist lauter Segen,
dein Gang ist lauter Licht.
Dein Werk kann niemand hindern,
dein Arbeit darf nicht ruhn,
wenn du, was deinen Kindern
ersprießlich ist, willst tun.

Wir glauben an einen starken Gott, einen allmächtigen, das macht Gerhardt wunderbar klar, wenn er formuliert: "Dein Werk kann niemand hindern". Egal wer sich in den Weg stellen will, Gott ist stärker, das was der Herr will geschieht. Diese Erkenntnis ist etwas, das ich zwar theoretisch verstehen, aber praktisch doch immer wieder kaum fassen kann. Wie oft sah ich schon mutlos auf die Gewalt und Diskriminierung, die LSBTTIQs angetan wird und konnte mir nicht vorstellen, wie sich diese Lage zum Guten verändern soll. Aber Gott ist der, so das Lied weiter, der allerwege hat, ihm fehlt es nicht an Mitteln, auch da wo wir das nicht oder noch nicht erkennen können. Ein wahres Wunder, das ich jüngst miterleben durfte und das genau diesen Umstand bezeugt, ist in der Badischen Landeskirche geschehen. Als ich diese Landeskirche vor sieben Jahren kennen lernte, war sie ein düsterer Ort für Lesben und Schwule. Die Synode hatte eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare abgelehnt, homosexuelle Pfarrer_innen durften mit ihren eigetragenen Lebenspartner_innen nicht zusammen im Pfarrhaus leben und wurden stattdessen von der Kirchenleitung vielfältig schikaniert. Doch eine kleine Gruppe von Menschen tat sich zusammen. Sie erklärten, dass diese Diskriminierung, dieses Unrecht mit Gottes Hilfe beendet werden muss. Viele haben sich ihnen in den Weg gestellt, Institutionen, kirchliche Verantwortliche, scheinbar ganze Gemeinden und so oft schien der Weg zum ersehnten Ziel versperrt. Doch der, der allerwege hat, hat die Wege gebahnt. Vor wenigen Wochen hat die Badische Landeskirche die absolute Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Paaren bei der kirchlichen Trauung beschlossen, eine Entwicklung, die bis kurz vor diesem synodalen Entschluss noch so unmöglich schien, die ich bis heute kaum glauben kann und die der Herr der Wege doch möglich gemacht hat. Sein Tun konnte kein Mensch hindern. Andere Beispiele sind die Öffnung der staatlichen Ehe im katholischen Irland durch eine Volksabstimmung oder ein Aktionsplan gegen "Homo-, Bi- und Transphobie" im nicht minder katholischen Katalonien. Selbstverständlich darf angesichts all dieser berechtigten Freude nicht vergessen werden, dass es auch Rückschläge und Situationen gibt, die das genaue Gegenteil von Fortschritten für LGBTTIQs sind. Gerhardt thematisiert solche menschlichen Erfahrungen in der fünften Strophe:

Und ob gleich alle Teufel
hier wollten widerstehn,
so wird doch ohne Zweifel
Gott nicht zurücke gehen;
was er sich vorgenommen
und was er haben will,
das muss doch endlich kommen
zu seinem Zweck und Ziel.

Es gibt gewiss viele Werke menschlicher Hände, über die sich der Fürst dieser Welt, der Teufel freut. Im Moment ist uns hier der Anschlag von Orlando ganz besonders präsent. Dazu gehört jedoch auch ein russischer Präsident, der sicherlich nicht allein aus anti-homosexueller Überzeugung, sondern besonders aus dem Streben nach einer faschistoiden Gesellschaft, die sich hinter ihn einen soll, LGBTTIQs ihre Menschenrechte entzieht. Oder eine kleine, aber stetig wachsende Allianz von rechten Gruppierungen, Parteien und religiösen Fundamentalist_innen, die Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung der sexuellen Identitäten als Ideologie verbrämen und ihre eigene Ideologie, die der Heteronormativität als Freiheit verkaufen wollen. Und natürlich gehören auch all jene dazu, die LGBTTIQs foltern und ermorden, was in nicht wenigen Ländern dieser Erde auch von Staatswegen her geschieht. All das lässt sich kaum ertragen und nur die Gewissheit, dass Gott nicht zurück weichen wird, kann mir in diesen Situationen Hoffnung geben. Ich weiß nicht, warum der Herr diesem Leid nicht jetzt schon Einhalt gebietet, es wird wohl eine Frage sein, die für uns Menschen auf ewig unbeantwortet bleibt. Doch ich weiß, er weicht nicht zurück, er ist da, wo entrechtet, verhaftet, verhört, verhöhnt, gefoltert und gemordet wird. Er weicht nicht zurück und wird, wenn auch endgültig erst am Ende aller Zeiten, sein Ziel, das Heil aller Menschen verwirklichen.

In diesem Sinne stelle ich die sechste Strophe als einen Ausdruck unerschütterlicher Hoffnung an das Ende dieses Blogeintrages. Ich wünsche den Lesenden, dass Gott durch diese Worte in Ihr Herz spricht und Sie ermutigt und erbaut:

Hoff, o du arme Seele,
hoff und sei unverzagt!
Gott wird dich aus der Höhle,
da dich der Kummer plagt,
mit großen Gnaden rücken;
erwarte nur die Zeit,
so wirst du schon erblicken
die Sonn der schönsten Freud.

AMEN