Gayby Baby
Gayby Baby Film Still (Matt mit Familie)
Der Dokumentarfilm Gayby Baby gibt Einblicke in das Leben von vier Kindern, deren Eltern entweder lesbisch oder schwul sind und zeigt, inwiefern das Aufwachsen als "gayby" ihr Leben mit beeinflusst. Nächste Woche kommt der spannende und inspirierende Film in Deutschland in die Kinos.

Gus, Ebony, Matt und Graham – alle sind in den Anfängen ihrer Teenagerjahre – leben in unterschiedlichen Familienkonstellationen. Was sie gemeinsam haben: Ihre Eltern, mit denen sie zusammenleben und die sie großziehen, sind homosexuell. Über das Wohl von Kindern in Regenbogenfamilien wird derzeit viel gestritten, besonders wenn es um die Frage geht, ob homosexuelle Paare fremde Kinder adoptieren dürfen. In Maya Newells Dokumentarfilm kommen endlich einmal die Kinder selbst zu Wort! Sie erzählen aus ihrem Leben: über ihre Eltern und deren Beziehungen, über ihre Leidenschaften und Hobbies, ihre Träume und Ängste und sogar über Gott.

Die biologische Herkunft der Kinder – oft die erste und penetranteste Frage gegenüber LGB-Eltern – fließt im Laufe des Films ein, anstatt gleich zu Anfang klargestellt zu werden. Außer – und das ist wohl eines der Schmunzel-Highlights des Films – bei Gus: Der erklärt zu Beginn des Films recht detailliert, wie er zu seiner Existenz kommt – wie das mit einer Samenspende so abläuft. Sein gelassenes wie eingängiges Fazit: "And we did that and now I‘m here."

Die Dokumentarszenen im Film behandeln Gender- und Queerthemen, jedoch nicht so unmittelbar wie vielleicht vermutet werden könnte. Der elfjährige Gus zum Beispiel ist leidenschaftlicher Wrestling-Fan – stürmisch und unbändig rauft er am liebsten mit seiner kleinen Schwester. Seine beiden Mütter, denen das misogyne Machogehabe der Wrestlingszene bitter aufstößt, erklären ihm einerseits geduldig, dass ein muskelbepackter Körper gepaart mit einem gewaltbetonten Sport nicht die einzige Männlichkeit ist, die man leben kann und gehen andererseits aber auch mit viel Humor damit um. Eine seiner Mütter begleitet ihn sogar zu einem Live-Wrestling. Gus ist aber auch derjenige, der im Kaufhaus einen roten Lippenstifttester benutzt, woraufhin die schockierte Verkäuferin ihn schimpft, weil es "really not fair" sei. Die Antwort seiner Mutter: "Wisch es nicht ab, nur weil sie [die Verkäuferin] ein Genderproblem hat". Aber mit der Verkäuferin darüber zu diskutieren, dass es okay ist, als Junge Lippenstift zu benutzen, da hat er keine Lust drauf.

Der zwölfjährige Matt, der für sein Alter sehr reflektiert wirkt, hat ganz andere Probleme, nämlich mit der Kirche seiner Mutter. "[Mama,] warum gehst du in eine Kirche, in der alle denken, dass du gegen Gott sündigst? Du könntest doch auch in eine Kirche gehen, in der dich alle für normal halten." Der theologisch versierte Matt, der – so sagt er – seit er fünf ist, mit Menschen über Gott redet, weiß offensichtlich, dass es Kirchen gibt, in denen Lesbisch- und Schwulsein nicht als Sünde oder abnormal gesehen wird. Seine Mutter fragt ihn, ob sein Nichtglauben an Gott irgendetwas damit zu tun habe, dass sie und ihre Partnerin Lou in einer Beziehung sind, was der Bibel zufolge eine Sünde sei. Bei dieser Szene halte ich den Atem an, so spannend finde ich dieses theologische Gespräch zwischen der lesbischen, fromm-katholischen Mutter und ihrem Sohn. Ja, es hat damit zu tun, sagt Matt, und beantwortet damit – für mich – mit einem Schlag die vielen träge und zäh gewordenen Diskussionen in Kirche und Theologie rund um das Thema schwulLesBische Lebensformen.

Dreieinhalb Jahre hat die australische Regisseurin Maya Newell, die selbst in einer Regenbogenfamilie aufwuchs und zuvor bereits verschiedene künstlerische Projekte zu dem Thema realisiert hatte, mit den Kindern und ihren Eltern gedreht. Sie wollte in dem Film, der im April 2015 auf dem größten nordamerikanischen Dokumentarfilmfestival Hot Docs Canadian International Documentary Festival in Toronto seine Weltpremiere hatte, bewusst nicht auf die politische Lage zu LGB-Lebensweisen eingehen.

Denn Ziel des Films ist es, Kinder in Regenbogenfamilien aus ihrem Leben erzählen zu lassen. Es sind allesamt charismatische Kinder, die teilweise mehr Anspruch auf LGB-Akzeptanz erheben als ihre lesbischen und schwulen Eltern selbst, so z.B. Matt, wenn er die Ablehnung von Lesben und Schwulen durch die Kirche seiner Mutter nicht akzeptiert oder auch Graham, der es erst etwas komisch zu finden scheint, dass er nach dem Umzug mit seinen Vätern auf Fidschi nicht mehr offen mit der sexuellen Orientierung und Lebensweise seiner Eltern umgehen soll.

Newell zeigt uns einen kleinen Schatz: unmittelbar wirkende Einblicke in das Leben der Regenbogenkinder – ohne dramatische Kameraeinstellungen und ohne Pathos. Die nahe, aber nicht aufdringliche Kamera ermöglicht, dass wir uns als Zuschauer_innen "mitten drin" fühlen und nicht penetrant voyeuristisch wie bei einer typischen TV-Doku etwa. Sehr deutlich wird das, als Ebonys kleiner Bruder, der gerade einen schweren Epilepsie-Anfall erleidet, ins Krankenhaus gebracht werden muss. Ebony und ihre zwei Mütter sind in tiefer Sorge. Kurz scheint Chaos zu herrschen, und als Betrachter_in fühlt man, dabei zu sein, anstatt von außen darauf zu schauen.

In Australien, wo der Film überwiegend gedreht wird (Protagonist Graham zieht gleich zu Anfang des Films mit seinen Vätern in die Republik Fidschi), sind die Debatten und Lösungsansätze ähnlich zerfasert und mühsam wie hierzulande. Je nach Bundesland gibt es in Australien verschiedene Gesetze zu Verpartnerung und Adoption. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften finden auf Bundesebene keine Anerkennung. In fünf australischen Bundesstaaten (Australian Capital Territory, Western Australia, New South Wales, Tasmanien und Victoria) ist die gemeinsame Adoption eines fremden Kindes für homosexuelle, offiziell verpartnerte Paare erlaubt. In Deutschland ist die gemeinschaftliche Adoption eines fremden Kindes für Homosexuelle nicht erlaubt, in Österreich ist dies seit diesem Jahr möglich.

Die Paare erscheinen solide, aber wie überall im Familienleben gibt es manche Konflikte. Die Familien gehen mit Belastungen und Problemen um, v.a. auch die Schwierigkeiten, mit denen die Kinder konfrontiert sind. Die Kinder im Film haben einige Päckchen zu tragen: Ebony erlebt in ihren jungen Jahren den Druck der Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft in Form ihrer Schul-Aufnahmeprüfung und wächst in Sorge um ihren kleinen Bruder auf. Graham muss sich unter Gleichaltrigen zurechtfinden, obwohl er durch das Verschulden seiner leiblichen Eltern bis zum Alter von fünf nicht sprechen konnte, und Matt sieht sich einer Kirche und einem Pfarrer konfrontiert, die die Lebensweise seiner Mutter als Sünde abstempeln. Aber die meisten der Probleme haben nichts mit dem Schwul- oder Lesbischsein ihrer Eltern zu tun bzw. der Tatsache, dass sie in Regenbogenfamilien aufwachsen. Es sind ganz "normale" und normal-außergewöhnliche Probleme, mit denen Familien umgehen müssen. Die Kinder sind in Ordnung. The kids are all all right.

Gayby Baby, Regie: Maya Newell, Australien 2015, 85 min.

Kinostart: 23.06.2016

Zum Kinostart gibt es Veranstaltungen rund um den Film in verschiedenen Städten. Informationen dazu finden Sie hier: http://gaybybaby-film.de/screenings/

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