Glück*
Autorin Livia Prüll
Foto: Vandenhoeck & Ruprecht
Autorin Livia Prüll
Die Uni-Professorin Livia Prüll hat sich entschieden, als Frau zu leben. Ihre Geschichte und zahlreiche Informationen über und für transidente Menschen hat sie in dem Buch "Trans* im Glück" veröffentlicht. Im Interview spricht sie über Probleme und Chancen und über ihren christlichen Glauben.

Das Bemühen um Aufklärung über transsexuelle, transidente Menschen scheint von vielen vor allem als Bedrohung der eigenen Identität wahrgenommen zu werden. Wieso ist die Frage nach Identität so zentral und warum polarisiert sie in unserer Gesellschaft derart?

Livia Prüll: Ein Bewusstsein davon, wer wir sind und was uns ausmacht, braucht jede(r) von uns, um als soziales Wesen existieren und sich gesellschaftlich verorten zu können. Und ein wichtiger Teil hiervon ist die geschlechtliche Identität. Wir wollen uns zuordnen und wir wollen andere zuordnen können – aus Gründen der Partnerwahl, aus Sicherheitsgründen (z.B. Angst vor männlicher Gewalt) und überhaupt, um das Verhalten des Gegenübers im Rahmen von geschlechtlichen Zuschreibungen (wie auch immer man zu diesen stehen mag) berechnen zu können. Insgeheim wissen wir aber, dass die Grenzen der Geschlechter fließend sind und dass das bipolare Geschlechtermodell in seiner Absolutheit nicht aufrechtzuerhalten ist. Die Konfrontation mit transidenten Menschen, d.h. solchen, deren körperliches Geschlecht und deren gefühltes Geschlecht nicht zusammenpassen, macht uns Angst, denn sie erinnert uns an diese Uneindeutigkeit. Menschen, die nicht mit sich "im Reinen" sind, versuchen daher, transidenten Menschen auszuweichen oder sie werden aggressiv. Sehr hilfreich ist hier Selbstreflexion und schlichtweg das Einfühlen in transidente Menschen und das Kennenlernen derselben.

Von und über transsexuelle, transidente Menschen sind meist - und ja auch nicht grundlos - eher leidvolle Biografien zu lesen. Sie scheinen mit Ihrem Buch einen anderen Akzent setzen zu wollen, Sie sehen „Geschlechtsangleichung als Chance“.

Livia Prüll ist Professorin am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Mainz. Ihr Buch "Trans* im Glück. Geschlechtsangleichung als Chance" ist Anfang 2016 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen.

Livia Prüll: In der Tat konzentrieren sich viele Biografien auf die Schwierigkeiten mit der Umsetzung der eigenen Geschlechtsangleichung. Und selbst wenn die AutorInnen letztlich die Angleichung erfolgreich vollzogen haben, so bleibt doch beim Leser ein flaues Gefühl zurück, da der Preis, der dafür gezahlt wird, die Geschichte dominiert. In der Tat finde ich, dass dies sehr einseitig ist.

Einerseits handelt es sich um eine verzerrte Darstellung der Realität: Viele Trans*menschen sind glücklich über die "Offenbarung", die sie empfangen haben. Sie haben einen Beruf. Sie haben Kinder. Ihre Angleichung hat funktioniert. Sie können sich auf dieser Grundlage viel freier entfalten als im alten Geschlecht.

Andererseits wird die Tatsache zu wenig berücksichtigt, dass die Schwierigkeiten nicht in der Trans*identität selbst begründet sind, sondern in der fehlenden Akzeptanz durch die Umwelt. In meinem Buch habe ich an meinem eigenen Beispiel gezeigt, wie man sein Leben als transidenter Mensch positiv gestalten kann, wenn das soziale Umfeld einen unterstützt. Ferner habe ich versucht zu schildern, dass dies dann gelingt, wenn man sein äußeres Erscheinungsbild mit der inneren Identität in Einklang bringen kann. Dann ruht man in sich und kann sich seiner Familie, seinen Freunden und seinem Beruf widmen. Man kann, wie man so schön sagt, dann "sein Leben meistern".

Das Versprechen von märchenhaftem Glück als Ermutigung zu mehr Selbstbewusstsein?

Livia Prüll: Es geht mir nicht darum, dass Leute transident „werden“ sollen (was gar nicht geht), sondern dass diejenigen, die es nun einmal sind, die positiven Aspekte dieser Identität begreifen. Und es geht mir ferner dabei nicht um irgendein "Versprechen", und schon gar nicht ein Versprechen von "märchenhaftem" Glück, sondern um eine Chance, die jeder transidente Mensch ergreifen kann.

Sie zitieren zu Beginn und Schluss des Buches zuversichtliche Lieder von Paul Gerhardt. Welche Bedeutung haben christlicher Glaube und/oder Kirche in Ihrem Leben heute?

Livia Prüll: Mein christlicher Glauben bedeutet mir viel. Er war schon immer ein Bezugspunkt in meinem Leben. Ich bin damit aufgewachsen - vor allem dadurch, dass meine Mutter einer norddeutschen, evangelischen Pfarrersfamilie entstammte. Trotz der Bedrückung, die meine unausgelebte Transidentität viele Jahre mit sich brachte, hatte ich im strengen Sinne keine "schlechte" Kindheit. Trotzdem hatte ich - im Sinne Luthers - immer auch das Gefühl, dass man sich bewähren muss. Wenn man an Gott glaubt, hat man nicht alleine damit das große Los gezogen. Denn man muss sich immer wieder behaupten, indem man im Sinne des christlichen Gebotes der Nächstenliebe und -fürsorge auf seine Mitmenschen eingeht und Versuchungen widersteht. Das bleibt eine immerwährende Herausforderung und alle wissen, dass das mit Mühen und Rückschlägen verbunden ist. Aber es ist auch ein Ansporn zu Hoffnung und Freude. Deshalb ziehen mich die Lieder des Lutheraners Paul Gerhardt so an. Sie beschreiben die Herausforderung, aber sie spenden auch Trost und stimulieren unsere positiven Impulse.

Im Kapitel über Transphobie verweisen Sie auf Ihre negativen Jugenderfahrungen in christlichen Gruppen, insbesondere den Freikirchen.

Livia Prüll: Was ich eben schilderte, ist auch die Grundlage meiner Probleme mit einer Reihe der Freikirchen und mit freikirchlichen Bestrebungen in der evangelischen Landeskirche. Denn viele der Anhänger des freikirchlichen Gedankengutes haben die Vorstellung, allein durch ihren Glauben schon gerettet zu sein. Und nicht nur das: Im Rahmen einer naiven wörtlichen Bibelauslegung sortieren sie für den Vater die Menschen in Gute und Schlechte, in solche, die vom Schöpfer gewollt werden und solche, die verstoßen werden. Woher können sogenannte Christen diese Arroganz nehmen? In meinen Augen ist das Blasphemie, also Gotteslästerung. Einer derartig unbarmherzigen Haltung denjenigen Menschen gegenüber, die nicht einer säkularen kleinbürgerlichen Lebensweise und Lebenshaltung entsprechen, widerspricht schon die Bibel selbst, indem sie an verschiedenen Stellen die Gleichheit aller Menschen vor Gott betont. Auch Trans*menschen sind Geschöpfe Gottes, der als Lenker der Welt die Größe besitzt, dass er jeden Mensch "erhält, wie es ihm selber gefällt" (Lobet den Herren, 2. Strophe). Das ist kein Freibrief zu tun und zu lassen, was man will, sondern ganz im Gegenteil der Auftrag, dasjenige, was Gott einem mit auf den Weg gegeben hat, so einzusetzen, dass man ein Leben im oben beschriebenen Sinne leben kann. Der Mensch – und auch der Trans*mensch – trägt hier meines Erachtens eine Verantwortung, indem er mit seiner Trans*identität klarkommen muss. Und das kann er nur dann gut, wenn er sie auslebt – um dann für seine Nächsten da zu sein und sich in die Gesellschaft einzubringen. Das ist die Chance, dann ist man "Trans* im Glück".

Bei mir lief die Angleichung unheimlich schnell und ohne Komplikationen. Es geht mir sehr gut, beruflich läuft alles für mich nach meinem Empfinden besser als vorher. Es klingt vielleicht pathetisch, aber ich denke, dass Gott mir einen Auftrag gegeben hat, meine Gedanken und meine Stimme zu nutzen, um trans*politisch als Sprachrohr für diejenigen zu wirken, die nicht über sich sprechen können. Ohne dass ich darüber mit ihr gesprochen habe, hat eine Bekannte mir spontan gesagt: "Livia, ich glaube, Du musst das machen, dass ist irgendwie Dein Weg". Sie hat Recht.

Die AG "Queer in Kirche und Theologie" hat jüngst den Vorschlag gemacht, die Transition auch mit einer Kasualie zu feiern. Eine gute Idee? Konkreter gefragt: Hätte Ihnen ein solches Angebot geholfen?

Livia Prüll: Zunächst: Es ist wirklich eine interessante Idee, die Transition vor Gott und in der Kirche zu feiern. Und ich kann auch diejenigen Gleichgesinnten verstehen, die einen solchen Vorschlag machen. Ich merke in Gesprächen, dass viele von ihnen keine AnsprechpartnerIn haben und sich alleine fühlen. Ein solcher Akt vermittelt Geborgenheit und "Aufgenommen werden".

Dennoch halte ich eine Transitionsfeier für problematisch. Es ist eine Medaille mit zwei Seiten. Einerseits gelten die genannten positiven Aspekte, andererseits aber wird der Transitionsakt als etwas Besonderes hervorgehoben, als ein neuer Zustand, den die Kirche "absegnen" muss. Die Sonderstellung von transidenten Menschen wird einmal mehr herausgestrichen und in einem Ritus öffentlich gemacht. Gibt es eine Feier, in der das Frau- und Mannwerden von Gemeindemitgliedern öffentlich begangen wird? Gibt es eine Feier, in der Schwule und Lesben in ihrem Coming out öffentlich kirchlich ihren Segen bekommen? Nein. Und zwar aus gutem Grund: Es ist vor Gott egal, ob man Mann, Frau, schwul, lesbisch, trans*, bisexuell, queer*, inter* ist (siehe Galater 3, 26-28). Kein Mensch der "anders" ist, muss ganz besonders "eingesegnet" werden, sondern man wird im Rahmen der Konfirmation als Mensch wie man eben ist in die christliche Gemeinde aufgenommen. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. In diesem Sinne bin ich gegen eine solche Feier.

Und wie sähe so eine Selbstverständlichkeit aus?

Livia Prüll: Es ist wichtig, Transidentität als etwas ganz "Normales", als eine "Normvariante" zu akzeptieren. Es sollte "normal" sein, dass es transidente Gemeindemitglieder gibt. Es sollte normal sein, dass eine Trans*frau einen Cis-Mann kirchlich heiratet und umgekehrt ein Trans*mann eine Cis-frau. Es sollte normal sein, dass sowohl eine Trans*frau als auch ein Trans*mann das Pfarramt bekleiden kann. Es sollte normal sein, dass transidente Menschen auch im Rat der EKD sitzen. Oder anders gesagt: Für mich war es ein Durchbruch, dass man mich privat und auf der Arbeit als das akzeptiert hat, was ich nun eben bin: eine Trans*frau. Und man hat kein Theater darum gemacht. Ich werde beruflich respektiert wie alle anderen und mit mir wird genauso hart verhandelt, wie mit anderen auch. Es wird keine "Extrawurst" für mich gebraten. Und das ist gut so. Man sollte in einen Zustand kommen, wo man gar nicht mehr darüber reden muss, ob man eine Trans*frau oder ein Trans*mann oder ob man ein Cis-mensch ist.
Mir hätte eine solche Feier also nicht geholfen, da ich mich als Außenseiterin in der Kirche wahrgenommen hätte, die im Segnungsakt "gnadenhalber" akzeptiert wird. Nein – ich gehöre automatisch und selbstverständlich dazu!

Was wären denn Maßnahmen innerhalb der Kirche, die auf dem Weg zu Selbstverständlichkeit nötig wären?

Livia Prüll: Das Zauberwort ist "Normalität". Transidente Menschen sollten akzeptiert werden wie sie sind. Sie sollten nicht als "Kranke" angesehen werden oder als "Ketzer, die bereuen müssen". Die EKD sollte sich endlich dazu durchringen, eine neue offizielle Stellungnahme zur Sexualethik abzugeben, die den heutigen Standards entspricht. Einige Autoren sind ja schon vorgeprescht, indem sie in der Publikation "Unverschämt schön" als Mitglieder der Landeskirche eine Akzeptanz transidenter Menschen gefordert haben – in dem Sinne, wie ich es schon beschrieben habe. Die in diesem Werk geäußerten Ansichten decken sich mit den meinigen. Des Weiteren sollte diese neue Sexualethik dann wirksam in der Kirche verbreitet und propagiert werden. Auch wäre es gut, wenn parallel dazu Informationsveranstaltungen zum Thema "Transidentität" für Menschen in kirchlichen Ämtern durchgeführt werden würden. Anlässlich von öffentlichen Vorträgen, die ich halte, habe ich gemerkt, dass hier erhebliche Informationsdefizite bestehen. Mehr Information heißt auch, ein unverkrampftes Verhältnis zu Trans*menschen zu bekommen.

Kirchen sind ja nur ein Teil der Gesamtgesellschaft - Was sollte sich hier ändern?

Livia Prüll: Die Veränderungen, die in der Gesellschaft selbst angestoßen werden sollten, sind vielschichtiger und noch komplizierter. Da geht es – wie letztlich auch bei den Kirchen – um eine "Entpathologisierung", also endlich einmal um das sich Verabschieden von der Idee, "Transidentität" sei etwas Krankhaftes. Allerdings sehen wir hier das Phänomen, dass die Durchschnittsbevölkerung viel weiter ist, als die Politik oder die Medizin. Während man im Kaufhaus schon längst als Mann Frauenkleider kaufen kann, debattiert man in Berlin in einem Interministeriellen Ausschuss noch immer über die Situation der Trans*menschen in der Gesellschaft – es ist Zeit, dass das Transsexuellengesetz abgeschafft wird und dass der Staat nicht mehr Gutachten von PsychiaterInnen heranzieht, um eine Entscheidung über den Geschlechtseintrag im Personalausweis zu fällen. Wir wissen mittlerweile aus statistischen Untersuchungen, dass der Eigenbefund des Trans*menschen sich in fast hundert Prozent der Fälle nicht vom Begutachtungsbefund der PsychiaterIn unterscheidet. Dieses Verfahren und die zum Teil wirklich diskriminierenden Prozeduren im Kampf um Hilfestellungen durch Mediziner und Krankenkassen müssen beseitigt werden. Dann setzt sich eine Akzeptanz von Trans* hoffentlich auch unter den "Experten" durch und den Trans*menschen wird dann endlich das zugestanden, was ihnen seit ca. 150 Jahren in Deutschland vorenthalten wird: die Eigenentscheidung über sich und die eigene Identität.