Wann habt ihr zum letzten Mal jemandem ganz bewusst ein Geschenk gemacht? Einfach so, um eure Zuneigung zu zeigen – oder auch ganz bewusst, weil ihr gedacht habt „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“… Ich denke, wir alle kennen solche Situationen…
Zur Zeit Jesu haben die Menschen bei allen möglichen Gelegenheiten ihrem Gott solche Geschenke gemacht – nichts anderes waren eigentlich die Brand- und Schlachtopfer der damaligen Zeit: Sie sollten die Freundschaft Gottes erhalten oder ihn wieder gnädig stimmen. Von Seiten der Priester und Schriftgelehrten gab es klare Vorgaben, was wer bei welchem Anlass zu opfern hatte. Für arme Leute (wie Maria und Josef) war das mitunter nur eine Taube, reichere Menschen mussten da auch mal ein größeres Tier darbringen. So versicherte man sich der Liebe Gottes.
Im Markus-Evangelium wird davon erzählt, dass ein Schriftgelehrter zu Jesus kommt und ihn fragt, was das höchste Gebot sei. Jesus antwortet mit dem Doppelgebot der Liebe: „Du sollst Gott lieben von ganzen Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften. Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Mk 12,30f). Bedingungslose Liebe fordert er da.
Mich erstaunt immer wieder die Reaktion des Schriftgelehrten: Er ist mit den Geschenken groß geworden, die die Liebe erhalten sollen. Und doch sagt er: „Ja, Gott zu lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer!“ (v.33) – Offenbar erkennt er, dass alle Brand- und Schlachtopfer Gefahr laufen oberflächlich zu bleiben: Ich gehe in den Tempel, bringe mein Opfer – und dann ist alles wieder gut, dann bleibt alles beim Alten. Ich habe die Kritik meines kirchenkritischen Onkels noch gut im Ohr: „Schau, da rennen sie jetzt wieder in den Gottesdienst und tun ganz fromm – und kaum sind sie beim Mittagessen, zerreißen sie sich wieder das Maul über die anderen!“ Einen anderen Menschen einfach so, bedingungslos zu lieben – das ist viel schwerer als alle Opfer oder sonstigen religiösen Handlungen. So bedingungslos lieben, das schaffen wir ja oft nicht einmal uns selbst gegenüber. Daher ist die Verbindung so wichtig: den Nächsten lieben wie sich selbst. Nur wenn ich mich selbst annehme, mit allen Stärken und Schwächen, die ich habe, dann kann ich auch meinen Nächsten annehmen und lieben – auch wenn ich um seine Schwächen und schwierigen Seiten weiß.
Selbstliebe und Nächstenliebe bleiben auch dann immer noch schwer genug. Deswegen ist es so wichtig, dass Jesus dieses Gebot zusammen sieht mit dem anderen: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften.“ – Ist das einfacher? Die logische Antwort ist eigentlich „Nein“: Wenn es schon so schwer ist, jemanden zu lieben, den ich sehe und kenne, wie soll ich dann Gott bedingungslos lieben, den ich nicht sehe? Als Lesben, Schwule oder Transgender beschäftigt uns zudem während unseres Coming Out häufig die Frage, wie wir einen Gott lieben sollen, dessen „Bodenpersonal“ uns immer wieder sagt, dass Gott nur heterosexuelle Lebensformen liebt…
Gott bedingungslos zu lieben – das ist nur möglich weil Gott uns zuerst geliebt hat. Weil diese Liebe konkret und sichtbar geworden ist in der Geschichte mit seinem Volk Israel und schließlich in Leben und Handeln Jesu von Nazareth. „Ich will euch trösten, wie eine Mutter ihr Kind tröstet“, mütterliche Liebe als Wort Gottes hören wir beim Propheten Jesaja (Jes 66,13 – die Jahreslosung für 2016). Jesus lädt Zöllner, Huren und andere Ausgestoßene der Gesellschaft an seinen Tisch und macht damit deutlich, dass die Liebe Gottes allen Menschen gilt.
In der Geschichte unseres Glaubens ist diese Liebe Gottes immer wieder von vielen Geboten und Vorschriften verstellt worden. Martin Luther hat darunter gelitten – bis er genau an diesen Punkt vorgedrungen ist, an dem er erkannt hat: „Gott hat uns zuerst geliebt“ und darum können auch wir ihn lieben – von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften. Getragen von seiner Liebe können auch wir lieben – Gott, uns selbst und unseren Nächsten.
Im Umgang mit der Partnerin oder dem Partner ist es gut, wenn diese Liebe immer wieder auch in Worten, Gesten und ja, auch in Geschenken, zum Ausdruck kommt. Berechnend freilich sollten solche Geschenke nicht sein – sonst sind sie nicht mehr wert als die Schlacht- und Brandopfer im Tempel…