Schon als Gene Robinson im Jahr 2003 als erster offen schwul lebender Priester in der Episkopalkirche (Episcopalian Church) in New Hampshire/USA zum Bischof geweiht wurde, gab es weltweit Proteste aus anderen Anglikanischen Kirchen. Die Anglikanischen Kirchen vereinen weltweit ca. 85 Millionen Gläubige aus 165 Ländern. Vor allen Dingen in afrikanischen und asiatischen Ländern haben sich konservative und homofeindliche Bischöfe und Theologen gegen die Bischofsweihe von Gene Robinson gewehrt. Der Streit drohte die weltweite Familie der Anglikanischen Kirchen zu spalten. Die Spaltung wurde damals mühsam abgewendet. Nun ist der Streit erneut entbrannt.
Im Januar 2016 trafen sich leitende Geistliche aus 38 anglikanischen Kirchenprovinzen weltweit im südenglischen Canterbury, um unter anderem über diese Streitfrage zu debattieren.
Ich habe mit der anglikanischen Theologin Wilma T. Jakobsen über den Stand der Dinge in der Anglikanischen Kirche gesprochen. Sie ist Priesterin in Saint Jude, einer Kirchengemeinde der Episkopalkirche in Cupertino in Kalifornien. Das Interview habe ich ins Deutsche übersetzt.
Söderblom: Was genau ist geschehen zwischen der Episkopalkirche in den USA und dem Rest der Anglikanischen Kirchenfamilie?
Jakobsen: "Leitende Geistliche der Anglikanische Kirchenfamilie weltweit haben kritisiert, dass die Episkopalkirche in den USA die biblische Grundlage zu Ehe und Familie verlassen habe. Sie protestierten dagegen, dass die Episkopalkirche die gleichgeschlechtliche Ehe in ihren Kirchen in den USA erlaubt, ohne die Bedeutung dieser Entscheidung für den Rest der Anglikanischen Kirche bedacht zu haben. Die Geistlichen forderten, dass die Episkopalkirche der USA die Konsequenzen dafür tragen müsse, da sie sich vom Rest der Anglikanischen Gemeinschaft entfernt hat. Beim Treffen der Anglikanischen Geistlichen in Centerbury im Januar 2016 wurde dem Rat der Anglikanischen Kirchen empfohlen, dass die Episkopalkirche in den nächsten drei Jahren zwar in den Anglikanischen Gremien mit beraten aber nicht mehr mit abstimmen dürfe. Darüber hinaus sollte die Episkopalkirche die weltweite Anglikanische Kirchenfamilie nicht mehr bei ökumenischen oder interreligiösen Treffen vertreten dürfen. Über diese Empfehlungen wird der Anglikanische Rat bei seiner nächsten Sitzung im April in Zambia beratschlagen und entscheiden."
Söderblom: Welche Konsequenzen hat diese drastische Empfehlung?
Jakobsen: "Nun, die Episkopalkirche wird ihren Standpunkt zur gleichgeschlechtlichen Ehe nicht aufgeben. Davon bin ich überzeugt. Insofern bleibt die Anglikanische Familie in diesem Punkt zerstritten. Auf der nächsten Generalversammlung gibt es für mich keine Alternative dazu, den Dialog über die Streitpunkte fortzusetzen. Ziel muss sein, einen Konsens zu erreichen und dafür zu kämpfen, dass die Episkopalkirche Teil der Anglikanischen Familie bleibt. Mit Drohungen ist hier niemandem gedient. Dem Vorsitzenden der Episkopalkirche der USA, Bischof Michael Curry, traue ich zu, dass er etwas bewegen kann in dem verfahrenen Streit. Er hat schon so manches Wunder vollbracht."
Söderblom: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Jakobsen: "Ich hoffe, dass die Anglikanische Familie auch in Zukunft ein Dach für verschiedene Theologien bieten kann. Unter diesem Dach sollte es möglich sein, dass die Beteiligten mit unterschiedlichen Standpunkten und Überzeugungen zur gleichgeschlechtlichen Ehe leben können und gleichzeitig als Anglikanische Familie verbunden bleiben. Das ist meine große Hoffnung. Ich bin Optimistin. Und ich glaube in die Kraft des Heiligen Geistes, der unsere Herzen und Sinne verändert und uns ermöglicht, die inklusive Liebe von Jesus Christus zu erkennen und umzusetzen."