Verteidiger_innen der Familie?
Foto: Matthias Albrecht
Viele Christ_innen sind besorgt über die zunehmende Gleichstellung homosexueller Beziehungen. Sie sehen darin eine Gefahr für die Familie. Doch lauern die Gefahren, die Familien bedrohen, nicht ganz wo anders?

Die Familie ist in Gefahr. Sie ist deshalb in Gefahr, weil die Ehe in immer mehr Staaten auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wird. So argumentieren viele Christ_innen. Im letzten Jahr vertrat besonders der Vatikan diese Position. So kommentierte dessen Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin das erfolgreiche Referendum zur Eheöffnung in Irland laut FAZ: "Man müsse alles dafür tun, die Familie zu verteidigen, weil sie die Zukunft der Menschheit und der Kirche bleibe."

Ist eine Verteidigung der Familie wirklich notwendig? Diese Aussage ist gleichermaßen zu bejahen, wie abzulehnen. Abzulehnen, weil die Familie sicherlich nicht dadurch gefährdet ist, dass nun auch homosexuelle Beziehungen das Eherecht zugesprochen bekommen. Im Gegenteil, hier wird für viele Kinder aus gleichgeschlechtlichen Verbindungen endlich der fundamentale Missstand beendet, dass sie vor dem Gesetz weniger legitimierte Eltern haben als andere Kinder. Zu bejahen, weil unbestreitbar viele handfeste Gefahren existieren, vor denen Familien verteidigt werden müssen. Diese Gefahren unserer Zeit gehen aber eben nicht von der Gleichstellung homosexueller Familien aus. Diese Gefahren lauern an ganz anderen Stellen. An Stellen, an denen ich mich mehr und mehr frage, wo diejenigen, die sich sonst so vehement und beharrlich für die Familien einsetzen, eigentlich mit ihrem Kampfeseifer sind.

Zu einem gelingenden Familienleben gehören, das dürfte unstrittig sein, Ressourcen, insbesondere emotionale, zeitliche, aber auch ökonomische. Und diese Grundlagen werden knapp bemessen. Viele Menschen können von einem Arbeitsverhältnis allein ihre Familie nicht ernähren, sie sind deshalb auf mehrere Einkünfte angewiesen. Und auch wer zwei oder drei Jobs hat, kann die Seinen davon nicht unbedingt durchbringen. Im Grundgesetz steht der Schutz von Ehe und Familie festgeschrieben. Doch wie lässt sich dieser Schutz einklagen? Etwa, wenn ein Vater am Samstag nicht mehr bis zum Abend hinter der Kasse sitzen möchte, weil er an diesem Tag für die Kinder da sein will? Oder was kann die Mutter tun, die zwar genügend Geld verdient, aber angehalten wird, täglich Überstunden zu schieben und am Ende des Tages emotional ausgelaugt ist? Oder wie sollen die Eltern, die aus finanziellen Gründen einfach beide arbeiten müssen, Familie und Beruf miteinander vereinbaren, wenn sie keinen (bezahlbaren) Kitaplatz finden? Hier bedürften Familien eines engagierten Eintretens, eines Schutzes, einer Verteidigung.

Dann heißen diejenigen, gegen die Familie verteidigt wird allerdings nicht mehr Lesben oder Schwule – deren Familien ja selbst unter dem Aufgezeigten leiden - sondern Arbeitgeber_innen, Aktionäre_innen, Großkapitalseigner_innen. Dann steht die Frage im Raum: Ist die Profitmaximierung dieser wenigen Menschen ein wichtigeres Gut als der Schutz aller Familien? Die Antwort auf diese Frage hat Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin schon selbst gegeben: Nein! Denn der Mensch muss nach ihm ja alles dafür tun, die Familie zu verteidigen. In diesem Sinne kann ich nur sagen: Bravo! Bravo, Herr Parolin! Und bravo, all ihr Anderen, die ihr Euch in Talkshows regelmäßig zu Wort meldet und zu Tausenden eifrig für Ehe und Familie auf die Straße geht. Ihr wollt alles zur Verteidigung der Familie tun? Gut, dann greift mal an oder zumindest ein. Wie wäre es beispielsweise mit engagierten Beiträgen zu der Debatte, die die Arbeitgeber_innenverbände gerade angestoßen haben, in der es um die Abschaffung der Tageshöchstarbeitszeitbegrenzung geht? Oder mit einer Unterstützung des nächsten Streiks für bessere Löhne und weniger berufliche Belastungen? Oder mit Demos für bezahlbare Kitaplätze? Oder mit einem unerbittlichen Kampf dafür, dass Flüchtlingsfamilien nicht durch neue Einschränkungen des Nachzugsrechts auseinandergerissen werden?

Wo bleiben da die eifrigen Verteidiger_innen der Familie? Momentan kann ich mir den entweder ganz ausbleibenden oder zumindest deutlich weniger krass geführten Kampf zur Verteidigung der Familie auf diesen Feldern nur so erklären, dass es allein um eine Definitionsfrage geht. Die selbsternannten Verteidiger_innen der Familie wollen nicht die Familie, sondern den Begriff Familie verteidigen. Sie wollen verteidigen, dass mit Familie weiterhin ausschließlich Kinder, Mutter, Vater gemeint ist und nicht zwei Mütter oder zwei Väter mit deren Kindern. Die Konstellation zählt, das Äußere, nicht der Inhalt. Die vermeintlichen Gefährdungen der Familie werden bekämpft, und nicht die tatsächlichen.

Als Christ_innen kann es für uns nur ein einziges Wort geben, das letztgültige Bedeutung hat: Das Wort, das in Jesus Christus Fleisch geworden ist. Jesus hat uns durch sein Wirken gezeigt – um es mit den Worten eines Liedes zu sagen -: Liebe ist nicht nur ein Wort. Liebe sind Worte und Taten. In diesem Sinne bete ich:

Herr gibt uns Kraft die Familie zu verteidigen,

hilf uns, dass wir dabei nicht für Begriffe, sondern für Menschen,

nicht für Buchstaben, sondern für das Leben und für die Liebe streiten.

Amen