Es ist die Woche vor Weihnachten. In meinem Briefkasten liegt ein Werbekärtchen von meinem Lieblingsbiosupermarkt, der mir und meiner Familie schöne Festtage wünscht. Überall hört man bereits, wie sich Leute frohe Weihnachten wünschen, in gemeindlichen oder theologischen Kreisen gar "gesegnete" Weihnachten, meistens wird ein "im Kreise der Familie" dazu geschoben. Dabei entscheiden sich immer mehr Menschen, Weihnachten anders zu verbringen, zum Beispiel mit Freund_innen.
An (Familien-)Festen wie Weihnachten treffen oft Menschen zusammen, die sich lange nicht gesehen haben. Etwa trifft man neben Eltern und Geschwistern auch seine Onkels, Tanten, Cousin_en. Wenn überhaupt kennen eine_n diese Verwandten oft vor allem von der Kindheit. Aber: Was wissen diese Menschen von meinem jetzigen Leben? Von dem, was mich heute berührt und was mich heute ausmacht? Was, wenn ich den (familiären) Konventionen nicht (mehr) entspreche, nicht entsprechen will? Kann ich dann trotzdem kommen? Trotzdem ich sein? (Wo) bin ich willkommen, wenn ich "anders" bin?
Das pinke Schaf in der Familie ist meistens – wenn auch nicht immer ausgegrenzt, so doch – markiert. Es steht für das Komische, Schräge, das Unangepasste – für eine Lebensweise, die den meisten Familienmitgliedern doch irgendwie unerschlossen bleibt. Vielleicht umgibt das pinke Schaf auch eine Art unkonventionelle Freiheit, auf die andere in der Familie gar ein wenig neidisch sind. Aber so ganz dazu gehört das pinke Schaf nicht. Auch im Kontext von Gemeinde und Gottesdienst gibt es Ausschlüsse, die gerade zu Weihnachten verletzen. Warum wird mir als schwuler Mann oder lesbische Frau ein Trausegen für meine Partner_innenschaft verwehrt, warum schaut X blöd, wenn ich mit meiner Regenbogenfamilie zum Gottesdienst komme, warum wäre es Pfarrer Y eigentlich lieber, ich würde als Trans*person nicht am Abendmahl teilnehmen, warum kann ich als polyamore Person nicht meine zwei Partnerschaften segnen lassen … Warum wird mir vieles, was Heterosexuellen, der Norm Entsprechenden offen steht, nicht zugestanden? Dabei ist doch gerade Weihnachten, die Geburt Jesu, das Fest, an dem es darum gehen sollte, alle Menschen willkommen zu heißen. Wenn nicht an der Krippe, wo sonst soll das Wunder passieren, dass alle Menschen einander annehmen wie sie sind.
Menschen unter dem queeren Regenbogen erleben sich oft als Outsider: als Freak, Außenseiter, an den Rand gedrängt, unstimmig mit sich oder der (konventionellen) Umwelt. Besonders schwerwiegend ist das oft vor ihrem Outing als lesbisch, schwul, bi*sexuell, trans*, inter*, polyamor, BDSM-praktizierend … Wenn man über seine Gefühle nicht reden kann, seine Identität verleugnen muss, dann führt das zur Isolation. Gerade junge Menschen, die noch dabei sind, ihre Identität herauszubilden und zu verstehen, verstecken ihre sexuelle Orientierung vor ihrer Familie aus Angst, verstoßen zu werden oder den Wünschen der Eltern nicht gerecht werden zu können. Familienfeiereien wie Weihnachten werden zur Tortur: Wann heiratest du endlich, warum bist du noch immer Single, wann schenkst du uns Enkelkinder? Diese Fragen verstärken bei vielen das Gefühl, dass sie ja "irgendwie nicht richtig" sind. Viele lesBischwule Menschen erleben selbst noch Jahrzente nach ihrem Coming Out, dass ihre Familie noch hofft, dass "sich das Blatt zum Guten wendet", die queere "Neigung" doch nur eine Phase ist, die vorübergeht. Wie soll man da fröhlich sein an Weihnachten?
Der Jesus, der aber in der Weihnacht geboren wird, ist der gleiche, der die Ausgestoßenen liebt und von den Menschen erwartet, dass man sie annimmt, und er ist der gleiche, der zu Ostern am Kreuz sterben wird. Er versteht die Menschen in ihrem Schmerz, den er selbst so gut kennt. Die Verlassenheit ist ihm bekannt, der Aufruf zur Solidarität und die Einladung zur Liebe zeichnen sein Leben. Er ist derjenige, den Gott sandte, um uns zu zeigen, dass Gott menschlich ist und genau durch das Menschsein Wunder – nämlich auch ganz menschengemachte – möglich sind. Es ist eine Botschaft an alle Misfits, dass sie dazugehören – je schräger und pinker desto mehr. Jesus hat sich besonders denen zugewandt, die ausgegrenzt und verachtet waren, mit denen "irgendetwas nicht stimmte". Das pinke Schaf gehört auch zur Weihnachtskrippe. Es passt sogar gut dazu.
Und für manche ist es eben tatsächlich nicht die Herkunftsfamilie, mit der sie Feste wie Weihnachten begehen wollen, sondern eine alternative Familie. Vielleicht - wie auf dem Bild oben etwas ironisch dargestellt - eine ganz queere noch dazu!