Randi O. Solberg lebt in Oslo. Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Journalistin. Sie arbeitet beim Norwegischen Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsombud in Oslo. Daneben ist sie seit vielen Jahren ehrenamtlich in der norwegischen schwul, lesbisch, bi- und trans "Offenen Kirchengruppe" aktiv und hat vier Jahre im Vorstand des Europäischen Forums christlicher LGBT Gruppen mitgearbeitet, u.a. als Präsidentin. Sie ist Herausgeberin des Buches "Let Our Voices be Heard! Christian Lesbians in Europe Telling their Stories". Seit drei Jahren hat sie ihre Aktivitäten allerdings stark eingeschränkt. Sie leidet an einer chronischen Autoimmunkrankheit und ist krankgeschrieben.
In der Zeit hat sie mit dem Malen angefangen. Erst ganz zögerlich, seit einiger Zeit malt sie mehr regelmäßig. Anlässlich einer Ausstellung von queeren Künstlerinnen und Künstlern während der Gay Pride Woche in Oslo Ende Juni 2015 hat sie ihre ersten Bilder ausgestellt. Ich habe sie in der Zeit besucht und interviewt. Ihr Atelier ist ein heller Raum mit gelben Wänden im ersten Stock des Hauses, in dem sie mit ihrer Partnerin in einem Stadtteil im Osten von Oslo wohnt. Fenster und Balkon geben den Blick frei auf eine Baumreihe auf der anderen Straßenseite. An den Wänden des Ateliers hängen vergrößerte Fotos von Berlin. Sie hat mehrere Jahre in Berlin gelebt. Außerdem hängen verschieden große Collagen und bunte Aquarellbilder an den Wänden, die sie selbst gemalt hat. Eine Holzstaffelei steht in der Mitte des Raums. Auf der Arbeitsplatte stehen Farbtöpfe, Pinsel, Gläser und jede Menge anderes Material. In einer Ecke sehe ich aufgerollte Bilder. Der Raum macht einen warmen und inspirierenden Eindruck auf mich.
Söderblom: Seit wann bist du Künstlerin?
Solberg: Kunst ist ein gefährliches Wort. Ich bin keine gelernte Künstlerin. Deshalb scheue ich mich vor der Bezeichnung. Bisher habe ich immer die Sprache als mein Handwerkzeug angesehen, mit der ich mich inhaltlich und künstlerisch ausgedrückt habe. Erst in den letzten Jahren habe ich mit dem Malen angefangen. Das ist bemerkenswert. Denn schon als kleines Kind hatte ich das Selbstbild, dass ich gar nicht zeichnen kann. Meine Lehrerin war offensichtlich dergleichen Meinung. Sie zeichnete damals ungefragt meine Bilder fertig, damit überhaupt etwas zu erkennen war. Diese Erfahrung prägte jahrzehntelang mein Selbstbild.
Söderblom: Was hat dein Verhältnis zur Kunst verändert?
Solberg: Es habe schon längere Zeit eine Sehnsucht in mir gespürt. Nicht nach dem Zeichnen, sondern nach dem Malen. Seit ich wegen meiner Krankheit arbeitsunfähig geschrieben bin, habe ich mehr Lust und Zeit, mich ganz anders auszuprobieren und mit Farbe zu spielen. Außerdem waren mir die Worte ausgegangen. Es gab nichts mehr zu sagen. Da halfen mir die Farben. Erst fing ich allein an, krasse, starke Farben auf die Leinwand zu klatschen. Als müsste ich etwas aus mir heraus spucken. Mich öffnen, so dass vieles, was tief in mir war, herauskommen konnte. Dann besuchte ich einen Akrylmalkurs, um Handwerkszeug für mein weiteres Experimentieren mit Farben zu bekommen.
Söderblom: Wie ging es weiter?
Solberg: Mein Drang zu malen wurde immer stärker. Bis dahin hatte ich am meisten draußen gemalt, auf dem Balkon zuhause oder vor unserer Hütte in den Bergen. Das war schön, aber jetzt brauchte ich einen Ort, der nicht immer wieder neu aufgebaut werden musste. So begann ich, mein Büro zum Atelier umzubauen. Dadurch hatte ich einen Freiraum, in dem ich experimentieren konnte. Staffelei und Leinwand konnte ich darin einfach stehen lassen. Meine Zweifel waren zwar nach wie vor da, aber ich ermutigte mich: "Tue es einfach, so lange, bis du es bist. Denn nur wer es tut, lernt weiter!" Das Motto hat mir geholfen. Durchs Malen habe ich auch wieder zurück zum Schreiben gefunden. Plötzlich konnte ich zu meinen Bildern Texte, Gedanken und Gefühle aufschreiben. Es wurde eine immer komplexere Sache. Insgesamt habe ich entdeckt, dass ich durch Farben und Malerei Komplexität anders und vielschichtiger ausdrücken kann als vorher nur mit Worten.
Söderblom: Eines deiner Bilder spricht mich besonders an. Wieso der Titel?
Solberg: Der Titel ist: "Dere skal bli til velsignelse!" (Ihr sollt ein Segen sein!). Es geht mir um den Segen. Ich habe es in meinem eigenen Leben in Krisensituationen erlebt. Wenn es dunkel ist im Leben, kommt plötzlich von außen Licht. Dieses Licht ist unverfügbar. Ich kann es mir nicht selbst geben. Das nenne ich Segen. Es ist ein starkes Gefühl, gesegnet zu sein, auch wenn es viele gesellschaftliche und persönliche Herausforderungen im Leben gibt.
Söderblom: Welche?
Solberg: Zum Beispiel die Diskussion in Norwegen über die Trauung und Segnung von lesbischen und schwulen Paaren in der Kirche. Ich habe die Frage so satt, ob Lesben und Schwule in Kirchen getraut und gesegnet werden dürfen oder nicht! (Standesamtliche Eheschließung und kirchliche Trauung sind in Norwegen für heterosexuelle Paare komplett in der Kirche möglich, für lesbische und schwule Paare allerdings nur auf dem Standesamt, K.S.). Wir haben in Norwegen eine genderneutrale Ehe wie in Schweden. Es müsste also möglich sein, diese Ehe auch in einer Kirche zu schließen. Aber die lutherische Kirche in Norwegen wehrt sich dagegen. Da Glaubensgemeinschaften vom Staat nicht zu etwas gezwungen werden können, ist die Weigerung der lutherischen Kirche zulässig. Im September 2015 sind Kommunalwahlen und Kirchenvorstandswahlen in Norwegen. Die Frage der Eheschließung für Lesben und Schwule in den lutherischen Kirchen ist eine der Hauptstreitpunkte der Kirchenvorstandswahlen. Es gibt die Gruppierung der sogenannten "Offenen Volkskirche". Sie ist für die Öffnung der Kirchen für genderneutrale Eheschließungen. Andererseits gibt es konservative Gruppierungen, die strikt dagegen sind. So oder so. Die Debatten darüber geht mir auf die Nerven. Ich habe keine Lust mehr zu fragen, ob Lesben und Schwule gut genug sind, Heirat und Trauung in Kirchen zu feiern oder nicht. Das ist unwürdig und beschämend.
Söderblom: Was verstehst du unter deinem Bildtitel: "Ihr sollt ein Segen sein"?
Solberg: Gottes Segen besitzt niemand. Schon gar nicht die Kirchen. Segen wird den Menschen geschenkt, unabhängig von ihren Leistungen und von ihrem gesellschaftlichen Stand. Ich muss aber offen sein, um ihn empfangen zu können. Ich bin dankbar, dass es immer wieder geschieht. Überraschend und ohne Garantie! Ich war 2003 in Berlin beim Kirchentag. Da war das Motto: "Du sollst ein Segen sein!" Was ich verstanden habe: Dieser biblische Spruch an Abraham, Sara und ihre Familie gilt allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung oder Genderidentität. Dieser Zuspruch bedeutet mir viel. Segen wird uns allen zugesprochen. Ich spüre es, dass Gott mich und meine Beziehung segnet, auch als lesbische Frau. Wir betteln also nicht um den Segen, sondern wir sind ein Segen! Das ist ein großer Unterschied.
Söderblom: Inwiefern?
Solberg: Mehrheiten können von Minderheiten viel lernen. Minderheiten wie Lesben und Schwule zeigen, dass das Leben nicht nur so ist, wie man das so denkt und was man für "normal" hält. Sie stellen diese "Normalität" in Frage. Das ist eine wichtige Horizonterweiterung und ein Perspektivwechsel, den eine Gesellschaft immer wieder braucht. Sonst wird sie eng und unmenschlich. Minderheiten sind also tatsächlich ein Segen für alle, indem sie Normalität hinterfragen und Freiräume für alle erweitern.
Söderblom: Wie zeigt sich das in deinen Bildern?
Solberg: Im Erlebnis von Licht und Wärme. Es ist für mich ein physisches Erlebnis, das etwas von oben kommt. Wenn ich mich dafür öffne, kann ich es spüren. Gerade während meiner Krankheit habe ich es mehrfach erfahren in Gottes Liebe zu sein. Trotzdem oder gerade wegen der Krankheit. Gottes Segen gilt auch für mich. Es ist beides: Ich fühle mich gestärkt, und ich kann mich fallen lassen. Ich spüre Raum für mich. Ich darf auch hier sein und meine Gefühle in meinen Bildern ausdrücken.
In meinem Bild "Ihr sollt ein Segen sein!" sind Teile des Bildes von dunklen Farben geprägt. Aber wenn man näher herangeht, dann sieht man die hellen und warmen Strahlen, die auf die Figuren scheinen. Die Strahlen sind um sie herum und strahlen durch sie hindurch. Und sie können weiter gegeben werden. Es hat etwas mit den Farben im Leben zu tun. Wenn mehr Licht einfällt, gibt es auch mehr Schatten. Aber trotz Schatten und Krisen gibt es genug Licht zum Leben.
Söderblom: Wie kam es, dass du deine Bilder ausgestellt hast?
Solberg: Es war ein echter Angang für mich. Ein Sprung ins kalte Wasser. Erst dachte ich, das ist nichts für mich. Denn ich bin ja gar keine Künstlerin. Ich bin nur eine, die die Kunst zum Leben braucht. Ich male nicht für eine Ausstellung. Aber dann habe ich nochmal drüber nachgedacht. Dass es eine schwul-lesbisch-trans-queere Ausstellung ist, hat mir geholfen. Es geht um persönlichen Ausdruck und nicht um Perfektion. Einige Künstlerkolleginnen und -kollegen haben mich dann ermutigt mich zu trauen. Schließlich habe ich einige Bilder ausgesucht und mich entschieden. Dann hingen sie tatsächlich im Osloer Rathaus und wurden von Anderen betrachtet. Die Bilder - nicht nur meine - machen vielen Menschen Freude, und das macht mir wiederum Freude. Ein komisches Gefühl.
Aber ich bin stolz darauf! Und dankbar dafür.