Natalia und Mareike leben als Paar in einer mittelgroßen Stadt in Deutschland, gemeinsam mit ihrem sechsjährigen Sohn und ihrer zweijährigen Pflegetochter. Vor elf Jahren haben sie ihre Partnerschaft registrieren lassen. In einer evangelischen Kirche haben sie einen Segnungsgottesdienst für ihre Partnerschaft gefeiert. Die kirchliche Segnungsfeier war ein wichtiger Einschnitt in ihrem Leben und bedeutet ihnen viel. Die beiden Mütter arbeiten beide, allerdings nicht 100 Prozent, damit sie möglichst viel Zeit mit den Kindern verbringen können. Sonst sind die Kinder in einer Kita. Die beiden Frauen kümmern sich liebevoll um ihre Kinder, gehen gelassen mit allen möglichen Herausforderungen um. Sie setzen den Kindern aber auch Grenzen, damit sie auch als Paar noch Zeit füreinander und für ihre Interessen haben. Als ich die Familie besucht habe, sind Fotos von den Kindern in der ganzen Wohnung zu sehen. Spielzeug liegt auf dem Boden. Die Wohnung ist gemütlich eingerichtet und strahlt Wärme aus. Die Kinder fühlen sich sichtlich wohl in ihrem Zuhause. Die beiden Frauen engagieren sich in Regenbogeninitiativen und setzen sich in ihrer Stadt für die Gleichberechtigung von Regenbogenfamilien ein. Denn die ist noch lange nicht in Sicht. Wegen der Pflegetochter nenne ich nur ihre Vornamen. Über ihre Erfahrung als Regenbogenfamilie habe ich mit Mareike gesprochen.
Söderblom: Wie ist das vor Eurer Familiengründung gewesen?
Mareike: Es war schon eine große Herausforderung, überhaupt Kinder zu bekommen. Da müssen sich homosexuelle Paare ja viel mehr Gedanken machen. Die praktische Umsetzung an sich war schon sehr stressig, gleichzeitig mussten wir uns mit dem rechtlichen Rahmen auseinandersetzen. Das war schon eine psychisch belastende Zeit und eine der größten Herausforderungen für uns als Paar. Dann ist es auch eine Herausforderung, dass wir uns immer und überall erklären müssen bzw. entscheiden, ob wir uns erklären wollen. Für uns Eltern bedeutet das ein ständiges Coming-Out, da im Zusammenhang mit Kindern noch viel automatischer heteronormativ gedacht wird als ohnehin schon. Ist eine von uns allein mit den Kindern unterwegs oder erzählt z.B. bei der Arbeit von den Kindern, so wird automatisch ein Mann bzw. Vater hinzugedacht. Um das richtigzustellen, müssen wir uns outen, egal ob wir das möchten oder ob es in den Kontext passt. Stellen wir es nicht richtig, geht das Gegenüber in allen weiteren Gesprächen von falschen Tatsachen aus. Das ist anstrengend und ärgerlich.
Söderblom: Unterschiedet sich Euer Alltag von dem einer heterosexuellen Familie?
Mareike: Im Großen und Ganzen finde ich nicht, dass sich unser Alltag sehr von dem heterosexueller Familien unterscheidet. Er ist ebenso geprägt durch unsere jeweiligen Berufe, den Kindergarten, gut oder schlecht gelaunte Kinder. Es sind eher die Kleinigkeiten, die stören oder manchmal auch zermürben, wie heteronormative Formulare, die unsere Lebenssituation nicht berücksichtigen und die wir immer wieder korrigieren müssen, Mitarbeiter auf Ämtern und Behörden, die nicht wissen, wie sie mit uns umgehen sollen und ihre eigenen Gesetze nicht kennen. Dann passieren solche Dinge, wie dass ich bestimmt ein halbes Jahr darum kämpfen muss, passende Lohnsteuerkarten für uns beide zu organisieren, und dann stellt die EDV im Finanzamt zum Jahreswechsel automatisch alles wieder um und ich muss wieder bei null anfangen. In besagtem Fall ausgerechnet, als wir ein neugeborenes Pflegekind in unserer Familie aufgenommen haben und plötzlich allein von meinem ohnehin schon schlechten Gehalt leben mussten, das dann von der EDV auch noch in eine schlechtere Lohnsteuerklasse eingruppiert wurde. In solchen Situationen kommt man dann als Regenbogenfamilie tatsächlich schlechter durch den Alltag. Aber das ist zum Glück doch eher die Ausnahme.
Söderblom: Sind Regenbogenfamilien gleichberechtigt?
Mareike: Nein, Regenbogenfamilien sind noch nicht gleichberechtigt. Wird ein Kind in eine heterosexuelle Ehe hineingeboren, gilt der Ehemann automatisch als Vater, selbst wenn alle wissen, dass dem nicht so ist. Sind die Eltern nicht verheiratet, kann der Vater das Kind ohne jegliche Probleme und amtliche Überprüfung anerkennen. Bei homosexuellen Paaren ist das alles viel komplizierter, zeitaufwendiger und auch teurer. Sind die Eltern nicht verpartnert, hat das nicht-biologische Elternteil gar keine Chancen auf eine rechtliche Elternschaft. Sind die Eltern verpartnert, kann das nicht-biologische Elternteil das Kind stiefkindadoptieren. Das ist zwar schön und gut, aber eigentlich ist dieses Gesetz für (heterosexuelle) Patchworkfamilien gemacht und passt überhaupt nicht zur Lebensrealität von Regenbogenfamilien. Außerdem haben die Jugendämter einen Ermessensspielraum, den sie teilweise zu Ungunsten der Regenbogenfamilien ausnutzen. So wird in manchen Städten vorausgesetzt, dass die Paare seit mindestens zwei Jahren verpartnert sein müssen, egal, wie lange sie vorher schon ein Paar waren. Bei heterosexuellen Eltern interessiert das niemanden. Der Trauschein hat ja auch überhaupt nichts mit dem Kind oder guter Elternschaft zu tun.
Dann gibt es Jugendämter, die mit der Entscheidung warten, bis das Kind größer ist, um zu überprüfen, wie die Beziehung zwischen dem adoptierenden Elternteil und dem Kind ist. In Patchworkfamilien macht das natürlich Sinn, in Regenbogenfamilien hingegen ist es Schikane, schließlich werden die Kinder in die Partnerschaft hineingeboren, es kommt kein Elternteil neu hinzu, der erst eine Beziehung aufbauen müsste.
Dazu kommt eine furchtbare Bürokratie mit amtlichen Führungs- und Gesundheitszeugnissen, Lebensberichten, Terminen im Jugendamt und vor Gericht, Hausbesuchen von Jugendamtsmitarbeitern usw. Das ganze Leben wird durchleuchtet. Niemand würde das bei einer „normalen“ heterosexuellen Familie tun. Und keine „normale“ heterosexuelle Familie würde sich das gefallen lassen. Und dann auch noch dafür zahlen!
Söderblom: Wie war das mit Eurer Pflegetochter?
Mareike: Das Prozedere für unsere Pflegetochter hat sich nicht unterschieden von dem der heterosexuellen Paare, die sich mit uns beworben haben. Das Jugendamt in unserer Stadt war und ist da sehr offen und unkompliziert, obwohl wir die erste Regenbogen-Pflegefamilie in der Stadt waren. Sie freuen sich über und mit jedem Kind, das sie in eine liebevolle Familie vermitteln können. In unserer Nachbarstadt sieht das schon ganz anders aus. Da gibt der Jugendamtsleiter die Devise vor, dass „nur über seine Leiche“ Kinder an homosexuelle Paare vermittelt werden.
Sollte unsere Pflegetochter jedoch einmal zur Adoption freigegeben werden, was zurzeit nicht ansteht, dann dürften wir sie nicht gemeinsam adoptieren, obwohl sie ja längst bei uns lebt und wir als Pflegeeltern die gleichen Rechte genießen. Das macht überhaupt keinen Sinn. Noch absurder ist, dass wir sie nach der neuesten Gesetzesänderung durchaus nacheinander adoptieren dürften, aber eben nicht gleichzeitig. Das ist völlig unlogisch, unnötig kompliziert und teuer und hilft niemandem. Es schadet im Zweifelsfalle nur dem Wohl des Kindes, das längst bei uns lebt.
Söderblom: Was erwartet Ihr für Regenbogenfamilien vom Gesetzgeber und von der Gesellschaft allgemein?
Mareike: Natürlich wünschen wir uns die volle rechtliche Gleichstellung. Wieso auch sollten wir auf grundsätzliche Menschenrechte verzichten, die unsere heterosexuellen Nachbarn völlig selbstverständlich haben und in Anspruch nehmen? Dazu gehört aber auch, dass diese Rechte in der Praxis auch umgesetzt werden, z.B. in Formularen. Die eingetragene Lebenspartnerschaft gibt es z.B. schon seit über 10 Jahren, aber als Familienstand hat sie es trotzdem immer noch nicht in alle Formulare geschafft. Das klingt vielleicht nach einer Lappalie, aber es würde uns nicht nur die Bürokratie vereinfachen, sondern unseren Lebensentwurf auch mehr in die heterosexuelle Gesellschaft bringen, wenn er einfach überall schwarz auf weiß und gleichberechtigt mit gedruckt und mit gedacht würde. Womit ich bei dem Wunsch wäre, dass wir ganz allgemein mehr und selbstverständlicher mitgedacht werden, statt immer wieder als etwas Exotisches angesehen zu werden. Denn wie schon gesagt, eigentlich unterscheidet sich weder unser Paar- noch unser Familienleben sonderlich von dem der Heterosexuellen.
Söderblom: Habt Ihr in Eurem Umfeld negative Erfahrungen gemacht?
Mareike: Mir ist in all den Jahren als Paar und jetzt als Familie immer wieder aufgefallen, wie vielschichtig, oft versteckt und durchaus nicht immer erwartbar oder auch logisch die Homophobie in diesem Land zutage tritt. Eigentlich ist es ja zumindest in gewissen Schichten mittlerweile Konsens, tolerant zu sein und sich nicht homophob zu äußern, egal was man eigentlich denkt.
Aber als wir vor elf Jahren als eines der ersten homosexuellen Paare in unserer Stadt heiraten wollten, da war das Standesamt auf Anweisung des (SPD!) Oberbürgermeisters nur donnerstags für Homosexuelle geöffnet – um am beliebteren Freitag nicht die Feiern der Heterosexuellen zu stören. Statt sich darüber aufzuregen, haben viele unserer eigentlich guten Freunde und auch nahe Verwandte uns getröstet, wir sollten doch froh sein, überhaupt heiraten zu dürfen. Man stelle sich vor, das Standesamt wäre uns freitags verboten worden, weil meine Frau zu dem damaligen Zeitpunkt noch keine deutsche Staatsangehörigkeit hatte. Oder weil wir vielleicht jüdisch gewesen wären. Niemand käme mehr auf die Idee, binationalen oder interreligiösen Paaren irgendwelche Rechte vorzuenthalten. Bei Homosexuellen scheint das dann irgendwie plötzlich doch okay zu sein. Und diesem kleinen „es ist ja alles ganz normal, ABER...“ begegnen wir im Alltag doch noch immer wieder.
Dafür haben wir die Erfahrung gemacht, dass Kinder gewissermaßen Türen öffnen und die Herzen der Menschen erreichen. Selbst die konservativsten Nachbarn haben sich mit uns gefreut und uns zur Geburt unserer Kinder beschenkt. Das verwundert vor allem im Hinblick auf die hitzigen Debatten in der Politik und in den Medien, in denen es ja mittlerweile fast ausschließlich um die noch fehlenden Rechte für Regenbogenfamilien geht und den angeblich nötigen Schutz von heterosexueller Ehe und Familie. Ich habe das Gefühl, die Gesellschaft ist in dem Punkt schon viel weiter als Politik und Medien und empfängt uns weitgehend mit offenen Armen!