Söderblom: Gerade ist die Jahrestagung des Europäischen Forums christlicher Lesben-, Schwulen-, Bi- und Transgendergruppen zu Ende gegangen. Was waren die zentralen Themen und Ergebnisse der Tagung?
Brinkschröder: Da die Konferenz des Europäischen Forums dieses Mal zusammen mit der von "David et Jonathan", der französischen Mitgliedsorganisation des Europäischen Forums, stattfand, war es mit 250 Teilnehmenden die größte Konferenz in der Geschichte des Forums.
Das Workshop-Angebot war dementsprechend vielfältig. Mit Gästen aus Kamerun, Nigeria, Südafrika und den Philippinen war es zugleich die bisher globalste Konferenz.
Einen großen Stellenwert hatte die Debatte über die Strategie für die nächsten fünf Jahre. Ein Schwerpunkt wird die "Advocacy"-Arbeit für Inklusion und Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LSBT) in den Kirchen und in internationalen politischen Organisationen bleiben. Als neuer Schwerpunkt wird das "Empowerment", also Ermächtigung der Mitgliedsgruppen hinzukommen. Hier gibt es unterschiedliche Bedürfnisse: In Osteuropa geht es vor allem darum, theologische Kenntnisse zu vermitteln und die Gruppen zu befähigen, selber Gottesdienste zu feiern. Die Katholikeninnen und Katholiken haben momentan erstmalig die Chance, Dialoge mit Bischöfen zu führen. Hier ist es wichtig, schnell voneinander zu lernen, wie das am besten funktioniert. Viele Gruppen möchten Anschluss an internationale Standards im NGO-Management finden. Das Forum wird also vermehrt versuchen, hierzu Trainings anzubieten.
Um Transgender und Transsexuellen mehr Möglichkeiten zu geben, im Forum Einfluss zu nehmen, hat die Mitgliederversammlung beschlossen, das bisherige Modell von männlichem und weiblichen Co-Präsidenten zu verändern. Dieses war das Ergebnis der Debatten um die Gleichberechtigung von Frauen im Europäischen Forum, basierte aber auf einem dualistischen Verständnis von körperlichem Geschlecht. In Zukunft wird nur verlangt, dass die beiden Co-Präsidenten unterschiedliche Geschlechtsidentitäten besitzen. Nicht das körperliche Geschlecht ist dabei ausschlaggebend, sondern wie sich jemand identifiziert. Die Trans-Vorkonferenz hatte an dieser Formulierung maßgeblichen Anteil.
Söderblom: Du warst vier Jahre männlicher Co-Präsident vom Europäischen Forum. Was sind die wichtigsten Erfolge deiner Präsidentschaft?
Brinkschröder: In den letzten vier Jahren hat das Europäische Forum mehrere große Projekte bewilligt bekommen, die von der niederländischen Regierung und von der Arcus Foundation aus den USA finanziert werden. Wir haben jetzt zwei hauptamtliche Mitarbeiter mit jeweils halben Stellen.
Es gibt ca. zehn europäische Arbeitsgruppen, die dank der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten sehr effektiv zusammen arbeiten können.
Ein wichtiges Projekt ist das "Eastern European Leadership Training", das im August 2014 mit einer achttägigen Summer School für 16 Leute in Chisinau (Moldawien) begann und jetzt knapp 2 Jahre lang mit einem Mentoren-Programm fortgesetzt wird. Die Zwischenauswertung auf unserer letzten Konferenz in Merville (Frankreich) im Mai 2015 hat ergeben, dass beide Bausteine dieses Projekts die Leiter und Leiterinnen von LSBT-Gruppen in Osteuropa sehr effektiv unterstützen und stärken.
Einen unvorhersehbaren Sprung haben in dieser Zeit auch die Katholikinnen und Katholiken gemacht. Papst Franziskus und die Familiensynode im Herbst 2014 haben die Phase der Angst und Frustration beendet. Jetzt ist es endlich möglich, mit Bischöfen konstruktive Dialoge zu führen. Das setzt Energien frei. Während der Familiensynode 2014 hat das Europäische Forum zwei Konferenzen in Rom veranstaltet: über die Pastoral mit LSBTs und über Kriminalisierung von Homosexualität. Vom 1.-4. Oktober 2015 wird dort das "Global LGBT Catholic Network" gegründet. Wir werden dabei ein neues Buch mit den Lebensgeschichten von katholischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans-Menschen vorstellen. Kurz danach beteiligt sich das Forum mit mehreren Personen am weltweiten Treffen der katholischen Reformgruppen, die sich anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des II. Vatikanischen Konzils treffen.
In den letzten zwei Jahren hat die Arbeit in weltweiten Netzwerken sehr stark zugenommen. Mir ist erst auf unserer letzten Konferenz in Merville klar geworden, dass ich an der Gründung von vier globalen Netzwerken beteiligt war bzw. bin. Zur Vorbereitung auf die Generalversammlung des ÖRK hat sich ein globales Netzwerk von LSBT-Gruppen gefunden, das seither weiter gewachsen ist. GIN, das Global Interfaith Network, wurde letztes Jahr in Johannesburg (Südafrika) gegründet und war durch Jan Bjarne Sødal vertreten. Auch in der katholischen und der orthodoxen Kirche entstehen gerade weltweite LSBT-Netzwerke. Als ökumenischer und internationaler Zusammenschluss von christlichen LSBT-Gruppen mit sehr langer Erfahrung spielt das Europäische Forum in diesen Netzwerken eine wichtige Rolle und fungiert als eine Art Bindeglied, durch das Erfahrungen und Kontakte schnell von einem Netzwerk zum anderen kommuniziert werden können.
Söderblom: Was waren die größten Herausforderungen?
Brinkschröder: Das Fundraising für das Leadership Training in Osteuropa war eine harte Geduldsprobe. Ich hatte keinerlei Erfahrung, wie man das macht. Wir mussten die Summer School zweimal verschieben, weil wir nicht rechtzeitig genug Geld auftreiben konnten. Das Team der Trainer war am Ende ein völlig anderes als am Anfang, und wir mussten immer wieder von vorne anfangen. Der Konflikt in der Ukraine sorgte schließlich dafür, dass das Training nicht in Kiew stattfinden konnte. Aber das Durchhaltevermögen hat sich ausgezahlt.
Bis vor drei Jahren hatte das Europäische Forum ein Budget von ca. 10.000€. Da mussten wir jeden Groschen dreimal umdrehen, bevor wir ihn ausgeben konnten. In diesem Jahr haben wir ein Budget von 200.000€. Jetzt muss der Vorstand hart dafür arbeiten, den Überblick über alle Aktivitäten und Finanzen zu behalten.
Söderblom: Was macht für dich das Europäische Forum aus?
Brinkschröder: Am wichtigsten ist für mich das "sharing of brokenness". Es ist ein Ort, an dem wir Verletzungen und Erfahrungen von Ausgrenzung miteinander teilen können. Bei den Konferenzen des Europäischen Forums fließen daher immer viele Tränen. Aber es sind auch Tränen der Hoffnung und der Heilung.
Im Forum gibt es sehr viele engagierte Leute aus vielen verschiedenen Ländern. Durch die regelmäßigen Konferenzen kennen wir uns sehr gut und können gut international zusammenarbeiten. Irgendjemand bringt immer neue Ideen mit, die man in anderen Ländern ausprobieren kann.
Söderblom: Was wünscht du dir für die Zukunft des Europäischen Forums?
Brinkschröder: Ich wünsche mir, dass dieser Geist der Vielfalt und der Offenheit für Neues erhalten bleibt, auch wenn das Europäische Forum als Organisation in Zukunft noch professioneller arbeiten wird.
Mehr Informationen: European Forum of Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender Christian Groups