Kurz vor elf an der St. Clara Kirche in Dortmund-Hörde: Vor der Kirche hat sich eine lange Schlange gebildet. Einige tippeln unruhig von einem Bein aufs andere, so manch anderer reckt den Hals um zu sehen, ob sich am Anfang der Schlange nicht vielleicht doch noch etwas bewegt. All diese Kirchentagsbesucher versuchen noch in das Orgelkonzert "Von Linkin Park bis Queen - Stars auf der Kirchenorgel" zu kommen.
Drinnen bitten Helfer die Leute, in den Bänken noch enger zusammenzurücken, damit alle irgendwie einen Platz finden. Einige sitzen schon auf Papphockern oder auf der Erde, andere stehen an die Wand gelehnt dar und warten auf den Konzert-Beginn. Um kurz nach elf beschließt Dietmar Korthals, dass es Zeit sei, anzufangen. Kurz stellt er sich dem gespannt wartenden Publikum vor, dann schreitet er durchs Mittelschiff zur kleinen, gusseisernen Wendeltreppe, die zur Empore führt, auf der die Orgel steht. Dort oben wartet schon seine Frau auf ihn: Sie hat die Notenblätter bereits fein säuberlich sortiert aufgestellt und ist auch während der Stücke dafür zuständig, dass immer das richtige Notenblatt vorne steht.
Gleich das ersten Lied des Konzerts ist eines, dass man in einer Kirche wohl eher selten auf einer Orgel gespielt hört: "Castle of Glass" von der US-amerikanischen Alternative-Rock-Band Linkin Park aus dem Jahr 2013. Und gerade die tiefen Töne versetzen einen fast schon in einen Hollywood-Blockbuster hinein.
Dass das Orgelspiel so eine Wirkung entfalten kann, liegt auch an dem Zusammenspiel aus Orgel und Kirchenraum. In der katholischen St. Clara Kirche spielt Korthals auf einer Stockmann-Orgel aus dem Jahr 1995, die 36 Register auf zwei Manuale verteilt. "Wir haben hier eine sehr mächtige Akkustik, sie ist tragend, aber trotzdem klar", so Korthals. Die kommt auch beim Queen-Klassiker "Who wants to live forever", geschrieben von Brian May, aus dem Jahr 1986 hervorragend zur Geltung.
Bei der Auswahl der Stücke hat sich Organist Dietmar Korthals sehr schwer getan. Im Endeffekt habe er sich für eine Mischung aus Liedern entschieden, die er früher bereits bei den regelmäßig stattfindenden Pop-Gottesdiensten in der Pauluskirche gespielt habe und solchen, die gut zum Kirchentagsmotto "Was für ein Vertrauen" passen.
Außerdem sei es für ihn wichtig gewesen, die Bedeutung des Ortes bei der Auswahl der Songs nicht außer Acht zu lassen. "Das hier ist eine katholische Kirche, die haben nochmal einen ganz anderen Heiligkeitsbezug als wir Protestanten", erklärt er und führt weite raus, dass er deshalb "Ein ehrenwertes Haus" von Udo Jürgens sowie Pinks "Funhouse" von der Setlist gestrichen habe. "Diese Lieder hätte man unter Umständen in den falschen Hals bekommen können", so Korthals. Stattdessen hat er sich für Pinks "So what" entschieden, das von Max Martin, Alicia Moore und Johan Karl Schuster geschrieben wurde.
Die musikalische Bandbreite des Konzerts ist groß. Und wenn von Stars auf der Orgel die Rede ist, dürfen natürlich auch die schwedische Band ABBA und der "King of Pop", Michael Jackson, nicht fehlen. Das Kirchentagsgefühl versucht Dietmar Korthals zum Beispiel mit "Friends will be Friends" zu vermitteln. Und zum roten Faden Migration, den der Kirchentag ausgegeben hat, spielt Korthals Stings "Englishman in New York", das ja auch vom Fremdsein in einer anderen Stadt erzählt und davon, dass man mit den eigenen Gewohnheiten auffällt. Das deutlich ruhigere "Fields of Gold" von Sting lädt das Publikum zur Einkehr ein.
Die Stimmung in der Kirche ist fantastisch. Nach jedem Lied schenkt das Publikum Dietmar Korthals langanhaltenden, lautstarken Applaus. Das ist der Organist von seinen klassischen Orgelkonzerten so nicht gewöhnt. "Das Publikum war vom ersten Takt an angetan, das habe ich so in der Form bisher nur selten erlebt", sagt er. Das Publikum bei Klassik-Konzerten sei da deutlich kritischer.
Sein persönliches Konzerthighligt war Queens "We are the Champions". "Als das Publikum auf einmal angefangen mitzusingen und der Gesang und die Orgel auf einer Ebene waren, das war überwältigend", erzählt er.
Und eigentlich sollte es nach dieser Lied dann auch gut sein - doch der minutenlange Applaus und die lautstarken "Zugabe"-Forderung erweichen die Hallenleitung. Korthals darf überziehen und noch ein Lied als Zugabe spielen. Und eigentlich wollen die meisten Leute auch dann die Kirche noch nicht wieder verlassen, weil es einfach so schön war.