Wenn es um Digitalisierung geht, hat man in der Kirche Angst. Angst vor den Umwälzungen, die sie mit sich bringt. Und Angst, abgehängt zu werden. Beides zu Recht. Das hat sich deutlich auf einer Veranstaltung gezeigt, die den Titel "Macht – Ohnmacht – Machen" trug. Anders als bei der Podienreihe Digitalisierung und Künstliche Intelligenz vielleicht zu erwarten, war der weitaus größte Teil der Köpfe im Publikum grauhaarig, der Altersdurchschnitt dürfte weit jenseits der 50 gelegen haben.
Und diesem Publikum wurde noch einmal drastisch vor Augen geführt, welche Gefahren der entfesselte Digital- und Datenkapitalismus samt der Entwicklung von künstlicher Intelligenz mit sich bringt. Diesen Part übernahm keine Theolog*in, sondern die Wiener Wirtschaftsinformatikerin Sarah Spiekermann-Hoff. Schlussendlich warnte sie in ihrer Keynote vor dem betonierten Menschenbild des Silicon Valley und plädierte für die Wahrnehmung des Menschen als verletzlichem Wesen. Der Theologe hingegen, der EKD-Medienbischof und hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, unterstrich die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung, die riesig seien, solange die Verbindung von Mensch und Maschine nicht zum Ziel habe, Götter hervorzubringen. Er berichtete beispielsweise begeistert vom Virtual Reality-Parcours im Dortmunder Propsteihof, der mit einem virtuellen Rundgang über den Dächern von Frankfurt am Main für den 2021 dort stattfindenden Ökumenischen Kirchentag wirbt. Sogar einen teildigitalisierten Kirchentag kann Jung sich vorstellen. Nichts könne zwar die Begegnung von Mensch zu Mensch ersetzen, aber so könnten zum Beispiel auch Menschen, die zuhause bleiben mussten, von dort aus an Veranstaltungen teilhaben.
Teilhabe, Partizipation, das war auch das Stichwort, das sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung zog. Der SPD-Generalsekretär und Netzpolitiker Lars Klingbeil forderte Teilhabe am Datenkapital für alle Menschen und mehr Kontrolle der großen Digitalkonzerne – für ihn eine europäische Aufgabe. Jule Lumma vom Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) erläuterte an Praxisbeispielen, wie ihre Organisation die jungen Mitglieder via Digitalisierung an Struktur- und Strategieprozessen partizipieren lässt und Christian Sterzik, Projektkoordinator Kirche im Digitalen Wandel der EKD, berichtete, wie man auf EKD-Ebene versucht, die Digitalisierung der Evangelischen Kirche unter Teilhabe der Basis in den Landeskirchen voranzutreiben.
Kirchturm statt Suchmaschine
Und erneut war auch digitale Partizipation an der Veranstaltung selbst möglich: Über die Software "sli.do" konnte via Smartphone an Umfragen teilgenommen und Fragen gestellt werden. Prompt war die Frage, die die meiste digitale Unterstützung bekam, die nach der Teilhabe: Wie ist es machbar, die Digitalisierung weiterzutreiben, ohne dass Menschen abgehängt werden. Bildung und Mut machen, waren sinngemäß die Antworten vom Podium. Und wie dann das Ganze, ohne im Netz der globalen Tech-Firmen zu zappeln? Zumindest dazu gab es eine ganz konkrete Idee: Freie Software, auch bekannt als Open Source-Programme. Alexander Sander von der "Free Software Foundation Europe" stellte die Möglichkeiten vor, die sich damit eröffnen: Ein Ansatz, der sich im Handeln eines freien Christenmenschen nach Luthers Idee, wie Volker Jung noch einmal bekräftigte, geradezu aufdrängt. Würden Akteure wie Staat, Länder, Kommunen (Paris oder Barcelona tun das bereits mit großem Erfolg) oder auch Kirchen sie nutzen, kämen Google, Apple, Microsoft und Co. in arge Bedrängnis. Nicht zuletzt sei auch die Datensicherheit bei freier Software ein Pluspunkt. Passend dazu wurde mit großer Mehrheit auch gleich eine Resolution verabschiedet, die die Verantwortlichen in der Bundesregierung aufforderte, Datenschutz mehr ins Zentrum des politischen Handelns zu rücken. Auch hier war eine, offenbar berechtigte Angst fast greifbar.
Ob solche Angst aber auch dazu führt, dass die Digitalisierung in der evangelischen Kirche immer noch so sehr mit spitzen Fingern angefasst wird? Christian Sterzik wusste zum Beispiel zu berichten, dass eine Erhebung einer Landeskirche kürzlich ergab, dass von 1.000 Kirchengemeinden gerade mal 25 (!) mit allen vollständigen, richtigen und aktuellen Angaben über Internetsuchmaschinen zu finden waren. 190 hingegen tauchten gleich überhaupt nicht im Netz auf. Wie aber sollen die Menschen dann zu diesen Gemeinden finden? Immer noch über die Suche nach dem Kirchturm im Dorf oder Stadtteil?
Und ob es schließlich auch Angst war, die dazu führte, dass die Frage mit den zweitmeisten Zustimmungen auf "sli.do" gar nicht erst diskutiert wurde? Sie lautete schlicht: "Warum eigentlich ist Kirche solch ein digitales Entwicklungsland?" Hanno Terbuyken, Leiter Digitale Projekte im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP), brachte es in seiner Schlusszusammenfassung auf den Punkt: Es führe kein Weg daran vorbei, sich mit der "neuen" Technik auseinanderzusetzen. Danach könne man sie dann entweder nutzen oder begründet ablehnen. Nur eines ginge eben nicht: Sie ignorieren. Sonst kommt der böse "Rezo" und holt als nächstes die Kirche, möchte man hinzufügen. Wenn es nicht schon zu spät ist.
Am Ende wurden die Menschen im Publikum aufgefordert, via "sli.do" einen zentralen Begriff zu nennen, "den Sie aus der Veranstaltung mitnehmen". Die Begriffe wurden dann in einer Tag-Cloud gruppiert. "Ethik" war da zum Beispiel dabei, und "Haben". Ganz vorne aber landete – natürlich - "Partzipation", gefolgt von "Verantwortung". Und direkt dahinter… na? "Angst"!