Ich liebe Sport. Deswegen freue ich mich sehr, dass es auf dem Kirchentag 2019 in Dortmund erstmals ein Zentrum Sport gibt. Und Laufen! Das liebe ich auch. "Spirituelles Laufen" war die Überschrift des Workshops, den Frank Hofmann vom Verein Andere Zeiten angeboten hat.
Wir sind bestimmt 60 Leute, die gemeinsam 45 Minuten rund um die Westfalen-Hallen laufen. "Ich dachte 75 Minuten!", ruft ein durchtrainierter Mann und seufzt laut und erleichtert: "Gut, dass ich meine 10 Kilometer heute morgen schon gelaufen bin!"
"Ich möchte richtig laufen lernen", sagt eine Frau Anfang 60, die heute zum ersten Mal joggen wird. "Ich habe gehört, man soll viermal ausatmen und einmal einatmen, stimmt das?", fragt ein junger Mann, der neben seinem Studium Sport-Geräte an der Hochschule Lüneburg wartet.
Frank Hofmann ist spindeldürr. Sein Körper hat schon viele Tausend Kilometer aus eigener Kraft zurückgelegt, das sieht man ihm an. Er hat mal Margot Käßmann getroffen, als Chefredakteur der Zeitschrift "Runner's World"; Margot Käßmann lief um ihren Brustkrebs zu überwinden, sie läuft, um zu sich selbst zu kommen. Sie habe ihm den Tipp gegeben: "Beten Sie das immer gleiche Gebet beim Laufen. Wiederholen Sie es."
Und das ist es auch, was Frank Hofmann uns empfiehlt: Entweder Beten oder sechs Schritte lang aus- und sechs Schritte lang einatmen. Er sagt auch noch, dass wir meistens im Leben nicht den Rhythmus haben, den wir brauchen, um bei uns zu sein. Entweder seien wir zu langsam und langweilten uns oder wir seien zu schnell und stressten uns. Ich denke an den Mann mit seinem Zehn-Kilometer-Ziel. Beim Laufen könnten wir jedoch den richtigen Rhythmus finden, indem wir über eine regelmäßige Atmung Körper und Seele vereinen, durchlässig werden - in einen Zustand der Transzendenz geraten.
So versuche ich erstmal in Ruhe zu atmen, als ich inmitten von 60 Leuten laufe, viele unterhalten sich, die Sonne scheint, die Temperatur ist angenehm, der Autoverkehr wahnsinnig laut, vor dem Eissportzentrum ist es wahnsinnig voll. Atmen klappt irgendwie, aber es ist so langeweilig, wie Schafe zählen. Und atmen kann ich. Ich versuche es mit einem Gebet: "Was schön war heut', das kam von dir, was Unrecht war, vergib es mir, lass' mich bei dir geborgen sein, in deinem Frieden schlaf ich ein." Ich laufe über eine Wiese, um nicht im Gedränge auf dem schmalen Weg zu laufen und mich besser auf mein Gebet konzentrieren zu können.
Ich starre vor meinen Füßen auf die Wiese, hoffe, dass ich keinen Hundehaufen oder ein Loch erwische, ertappe mich beim Gebet: "Was Unrecht war, das kam von dir...", Mist, denke ich, verbetet. Nochmal von vorne.
Laufen ist für mich etwas befreiendes. Verworrene Situationen lösen sich manchmal auf, wenn ich laufen gehe. Ich finde zu einer einfachen Perspektive auf Dinge. Frank Hofmann erklärt das Phänomen so: Das Gehirn ist weniger durchblutet, der Rest des Körpers mehr, das Gehirn tickt also einfacher und wir denken nicht mehr so kompliziert. Dann bauen wir beim Laufen Stresshormone ab und schütten Endorphine aus - falls wir es schaffen so zu laufen, dass wir nicht kollabieren. "Sie können auch hinter einem Menschen herlaufen, der mit Rollator vor ihnen geht", sagt Frank Hofmann. Wir sollten leicht unter unserem Wohlfühl-Tempo bleiben, empfiehlt er.
Das fällt mir schwer, ich will mich doch fordern, ein bisschen hecheln, erschöpft ankommen. Und das fällt auch sichtlich einigen anderen schwer, die beim Reden nach Luft schnappen, die vorne laufen wollen.
Vorne ist da, wo die Anerkennung wartet, wo die Preisverleihung stattfindet. Aber darum geht es ausnahmsweise nicht. Es geht beim Spirituellen Laufen darum, bei sich zu sein, außer sich zu sein, die Grenze zwischen sich und Außen nicht mehr richtig wahrzunehmen. Und dann als glücklicherer Mensch zurück nach Hause zu kommen.
Ich fühle mich so erfrischt und glücklich - vom Beten und vom Laufen. Aber auch, weil ich mich während des Laufens so nett mit meinen Mitläuferinnen und Mitläufern unterhalten habe. Irgendwie auch ein Aufgehen im Ganzen, denke ich.