Was für ein Veranstaltungstitel: "Was für eine Resonanz". Aber die Halle 2 ist sehr sehr gut gefüllt, insofern passt er schonmal. Aber natürlich ist nicht in erster Linie diese Resonanz gemeint. Auch nicht die, die diese weitläufige nackte Halle erzeugt. Sondern die im übertragenen Sinne. Das, was passiert, wenn etwas mitschwingt, miteinander in Bewegung gerät.
Der Soziologe Hartmut Rosa findet, Resonanz ist ein Zustand, der sehr gut erfahrbar macht, was er mit "mediopassiv" meint: Die dritte Form – weder aktiv, noch passiv. Weder Täter sein, noch Opfer. Etwas, wofür es in der deutschen Sprache kein Wort gibt, in vielen alten Sprachen aber sehr wohl. Etwas, das unserer Kultur fehlt, wie er meint. Weshalb unsere Gesellschaft immer tiefer in die Krise stürzt: Weil wir entweder alles unter Kontrolle bringen wollen, notfalls um den Preis der Zerstörung – oder uns komplett passiv dem Schicksal ergeben. "Mediopassiv" hingegen ist man beim Beten zum Beispiel, nach innen gewandt und doch nach außen gerichtet und offen. So, wie wenn man mitschwingt bei einem Musikstück, das berührt. Oder wenn man als Musiker*in selbst dabei ist und mitimprovisiert: Es verändert uns und wir verändern es, eine wechselseitige Beziehung, die aber keineswegs unter unserer Kontrolle ist – das Ergebnis ist unklar. Und Gott ist vielleicht auch "mediopassiv", spekuliert Rosa, er greift nicht ein, kontrolliert nicht.
Gedankenimprovisationen sind das, als Resonanzkörper für die Musikimprovisationen des Ausnahmepianisten Michael Wollny – und natürlich auch umgekehrt. So ist das bei Resonanzen, es geht ums Mitschwingen. Für Hartmut Rosa ist Musik Religion und Religion Musik. Und die meisten Menschen im Publikum scheinen diese Erfahrung auch zu machen, als sie alle gemeinsam zu den perlenden Tastenklängen von Michael Wollny die alte Weise von Matthias Claudius singen: "Der Mond ist aufgegangen". Nach und nach stehen sie auf, es erklingen sämtliche Strophen. Und dann spielt Michael Wollny einfach weiter und die Welt wird Klang…
Später, auf dem Hansaplatz, blickt Bischof Ralf Meister auf ein Lichtermeer. Beim Nachtsegen erzählt er, wie er als Kind beim Abendgebet Vertrauen gespürt hat, wie ihm die Fürbitte wertvoll geworden ist. Da ist etwas passiert mit ihm, etwas ist mitgeschwungen. Und direkt danach singt er mit den vielen tausend Menschen vor der Bühne: "Der Mond ist aufgegangen".
So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn…