Sie warten seit einer Woche an Bord der „Sea Watch 3“ vor dem italienischen Lampedusa darauf, dass sie an Land dürfen. Die deutsche Hilfsorganisation hat die 43 Menschen vor dem Ertrinken gerettet, doch der italienische Staat lässt sie nicht von Bord. „Wir stehen an der Seite von Sea Watch. Was im Mittelmeer passiert, ist eine Schande für Europa“, ruft am Donnerstagmittag Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo, in der Dortmunder Westfalenhalle den Kirchentagsbesuchern zu.
Orlando hat erfolgreich die Mafia bekämpft. Heute streitet er für die Menschenrechte und gegen den italienischen Abschottungs-Innenminister Salvini. In Palermo gebe es keine Migranten, sagt er, denn er unterscheide nicht zwischen denen, die in der Stadt geboren wurden und denen, die kürzlich zugezogen seien.
Orlando hatte erst vor einer Woche signalisiert, dass er sich vorstellen könnte, zum Kirchentag zu kommen. Nun ist er hier und wird von tausenden Kirchentagsbesuchern bejubelt. Zusammen mit ihm ist der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm in die Westfalenhalle gekommen. „Seit einer Woche wird um diese 43 Menschen geschachert. Das ist unwürdig. Europa verliert seine Seele, wenn wir so weitermachen“, ruft er sichtlich aufgebracht ins Mikrofon. Auch er bekommt tosenden Applaus.
Immer mehr europäische Kommunen und Städte erklären sich bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, allein in Deutschland haben sich 60 Kommunen zu „sicheren Häfen“ ernannt.
„Es kann niemand mehr behaupten, dass es keine Bereitschaft gibt, die Menschen aufzunehmen. Die Regierungen müssen es endlich möglich machen!“, appelliert Bedford-Strohm - und zieht sein Handy aus der Tasche seines Jacketts. Er ist seit Tagen mit der Bundesregierung im Gespräch wegen der 43 Flüchtlinge und hat vor wenigen Stunden eine Nachricht von Bundesinnenminister Horst Seehofer erhalten. „Ich möchte mich für die Solidarität der Städte und Kommunen bedanken“, liest Bedford-Strohm auf seinem Handy aus der Nachricht vor, und dass Seehofer seinen „Respekt zum Ausdruck“ bringe für das zivilgesellschaftliche Engagement und die Rettung der Flüchtlinge. Und ja, die Rettung von Menschen in Not entspreche dem gemeinsamen christlichen Selbstverständnis.
„So“, hebt Bedford-Strohm an, „jetzt nehmen wir die Bundesregierung beim Wort. Dass gehandelt wird. Dass heute, spätestens morgen die Menschen an Land geholt werden. Dass jetzt eine Koalition der Willigen auf europäischer Ebene zustande kommt und nicht gewartet wird, bis sich alle europäischen Staaten einig sind.“ Seehofer plädiert für einen gesamteuropäischen Verteilungsmechanismus für die Flüchtlinge. Auch das hatte Bedford-Strohm zitiert.
Nun tritt Mattea Weihe ans Mikrofon, eine junge Frau aus der Crew der Sea Watch. Die Situation der Flüchtlinge an Bord spitze sich zu, sagt sie, etliche Menschen seien dehydriert, viele bräuchten medizinische Hilfe. Nach ihr appellieren der Oberbürgermeister von Düsseldorf und eine Vertreterin der Stadt Dortmund an die Bundesregierung, sofort zu handeln. Nicht abzuwarten. Düsseldorf, Dortmund, Köln und Bonn würden die Menschen sofort aufnehmen.
„Seid stolz auf eure Willkommenskultur“, ruft Leoluca Orlando den Menschen am Ende zu. „Der Geist Europas ist die Willkommenskultur.“ Dann stehen alle auf der Bühne auf und nehmen sich an der Hand für die Menschen und ihre Rechte und tausende im Saal machen es ihnen nach. Vielleicht geht ja doch ein Ruck durch die Bundesregierung und die Sea Watch darf ihre Landungsbrücke herunterlassen.