Heute wage ich ein Experiment: Ich habe mir vorgenommen zum „Gottesdienst in anderer Form“ zu gehen. Es soll um Achtsamkeit und Miteinander gehen. Meine Kollegen warnen mich im Vorfeld vor: Es könnte sein, dass ich dort mit fremden Menschen, sprich, den Leute um mich herum, in Berührung kommen könnte. Und sagen wir mal so: Das ist jetzt nicht wirklich so mein Ding. Also gar nicht. Überhaupt nicht.
Aber ich bin mutig und gehe dennoch in die Marienkirche im Stadtzentrum. Es wird dann tatsächlich ein „Gottesdienst in anderer Form“. Denn hauptsächlich geht es um die Arbeit und Geschichte der „Offene Arbeit in Erfurt“, die 1979 gegründet wurde frei nach dem Motto: Nicht nur beten, sondern handeln. Auch das Kirchentagsmotto „Was für ein Vertrauen“ findet sich auch überall in der „Offenen Arbeit“ wieder. Sei es in ihren Anfängen in der DDR, wo die Stasi gegen viele Mitglieder ermittelte und Misstrauen säte. Oder heute, wo vor allem Menschen auf sie zu kommen, deren Ur- und Selbstvertrauen durch Ängste und andere Menschen erschüttert wurden. Daher können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr viel über das Thema Vertrauen erzählen.
Soweit ist alles ganz nett, aber mir fehlt ein bisschen der Gottesdienst-Aspekt. Die eingeworfenen Bibelstellen (Psalm 23 und Matthäus 6,25-32) sind zwar nett, aber allbekannt und mir fehlen weitere Punkte, Zusagen Gottes oder irgendetwas. Es geht viel um alltägliches Leben, wenig um biblische Inhalte (aber das ging mir beim Eröffnungsgottesdienst auch schon so – die Predigt von Frau Kurschus sei hier ausgenommen) und ich frage mich, ob das ein Symptom des Kirchentags ist oder ob ich einfach meine Veranstaltungen bisher nicht sehr gut ausgewählt habe.
Während ich mich noch frage, was an diesem Gottesdienst denn nun das Label „Achtsamkeit“ verdient hätte, singen wir auch schon „Vertrau den neuen Wegen“. Und dann noch einmal – das zweite Mal mit Bewegungen, die auch das gegenseitige Berühren der Handflächen meiner Nachbarn beinhaltet. Eigentlich nicht so tragisch, aber es ist Kirchentag und es war gestern sehr heiß. Wohl nicht jeder Kirchentagsbesucher hat sich darauf eingestellt oder muss in einer Unterkunft übernachten, die vielleicht nicht ganz so gut belüftet ist… Soll heißen: Es liegt ein dezenter Mief in der Luft, der von vereinzelten Besuchern ausgeht. Das finde ich unangenehm, ebenso wie verschwitzte Handflächen so berühren oder später zum „Kindersegen“ die Hände der Gottesdienstbesucher neben mir zu halten. Vermutlich bin ich hier einfach zu achtsam meinen Mitmenschen gegenüber.
Während die beiden Musiker „Meine Hoffnung, meine Freude“ anstimmen, bricht plötzlich das Sonnenlicht durch die dezent farbigen Glasfenster der Kirche St. Maria und erhellt den Altarraum. Meine Mitmenschen sind vergessen, weil der Anblick vor mir einfach nur schön ist. Es wirkt fast so, als würde Gott bekräftigen wollen, dass er wirklich da ist. So banal das für mich sein mag, weil ich es schon zig mal gehört hab. Ist einfach so.