Ich liebe mein Ehrenamt. Mit nichts verbringe ich mehr Zeit und das schon seit über 10 Jahren. Weder für Arbeit oder Uni, noch auf Freund:innen oder Familie geht mehr Zeit drauf. Wie viele Stunden bereits in mein Ehrenamt geflossen sind? Ich will es gar nicht wissen.
Auch als wir unsere Europa-Reise geplant haben, war mir klar, dass ich weitermachen werde. Gremienarbeit, Social-Media und Öffentlichkeitsarbeit, Gemeindebrief und Jugendpolitik geht heute schließlich von überall aus. Obwohl meine ehrenamtlichen Kolleg:innen und Freund:innen mit meine engsten sozialen Bezugspersonen sind, sehen wir uns weitaus seltener als wir miteinander arbeiten. Mein Ehrenamt ist zu ungefäht 90 Prozent ein digitales und wird dadurch noch weniger greifbar. Seitdem die Arbeit in meiner Heimatgemeinde durch das Studium immer weiter in den Hintergrund gerutscht ist, ich mich aus Kindergottesdienst und Konfirmand:innenuntericht zurückgezogen habe, ist die Gremienarbeit auf Landesebene mein Steckenpferd geworden. Die meiste Zeit verbringe ich mit der Öffentlichkeitsarbeit. Circa 1 bis 4 Meetings können das schon mal pro Woche werden und dann ist noch kein Post geplant und noch keine Mail beantwortet. In den letzten Jahren hat mich diese Arbeit auch ziemlich geschlaucht, eine Pause hätte ich mir auf jeden Fall verdient. Aber einfach so verschwinden? Das kam einfach nicht infrage.
Trotzdem habe ich gemerkt, wie gut es mir getan hat auch einfach mal nicht dauerhaft erreichbar zu sein. Einfach mal zu sagen, ich bin jetzt weg, entweder es kümmert sich jemand anderes darum oder eben niemand. Das ist auch okay. Das hilft mir dabei, meine Eitelkeit loszuwerden. Es ist okay, wenn der Instagram Account der Evangelischen Jugend nicht perfekt durchgeplant ist und das nicht jeden Tag ein neuer Post kommt (das nimmt nämlich die meiste Zeit von allem ein). Es ist auch okay, kurzfristig bei einem Zoom Meeting von einer Arbeits- oder Projektgruppe abzusagen, weil man gerade in der Dunkelheit einen Stellplatz sucht oder das Netz einfach schlecht ist. Es ist eben immer noch ein Ehrenamt: Alles kann, nichts muss.
Das heißt, es ist absolut möglich sich auch von anderen Orten ehrenamtlich zu engagieren. Genauso wie es möglich ist, an anderen Orten remote zu arbeiten. Aber es ist noch stressiger als sonst, schließlich fehlen Schreibtisch und WLAN und das wichtigste von allem: Die Zwischenmenschlichkeit. Letztendlich mache ich die Arbeit nicht, um Zeit mit Menschen zu verbringen, aber sie sind es auch die einem das direkte Feedback geben: ein Lächeln, eine Umarmung, Wertschätzung und Dankbarkeit. Ganz ohne menschliches Feedback brauche ich mich auch nicht ehrenamtlich zu engagieren. Nach fast vier Monaten raus aus meinen alten Strukturen kann ich auf jeden Fall das Fazit ziehen, das ehrenamtliches Engagement nicht vom Wohnort abhängt. Aber gleichzeitig wird es nie dasselbe sein, wie die ehrenamtliche Arbeit vor Ort.
Wer also Reisen geht und sich fragt, ob das mit dem ehrenamtlichen Engagement zusammen geht, sollte sich diese Fragen stellen: Machst du die Reise, um mal rauszukommen und Pause zu machen? Dann solltest du auch wirklich Pause machen und alles auf Eis legen. Willst du einfach nur einen flexiblen Wohnort haben? Dann schau, wie und ob du dein Ehrenamt auch online erledigen kannst. Überlege dir auf jeden Fall vorher, welche Aufgaben du abgeben willst, sonst fällt das nicht nur dir, sondern auch deinem Team auf die Füße.
Ich glaube, dass das Thema der ehrenamtlichen Arbeit (gerade in Kirche) zu wenig diskutiert wird. Ehrenamt ist nicht selbstverständlich und wenn Strukturen nicht bald hinterfragt und verändert werden, wird es irgendwann niemand mehr machen wollen. Auch wenn viele Christ:innen einen Helfer:innenkomplex haben, heißt das nicht, dass sich auch alle aufopfern wollen oder sollten.
Ich kenne niemanden in meinem Alter, der:die sich mit Landeskirche auskennt oder beschäftigt und nicht auch ehrenamtlich aktiv ist. Junge Churchies sind eigentlich immer auch Jugendpolitiker:innen oder in irgendeiner Art und Weise am Organisieren, Leiten und Verantwortung übernehmen. Wo sind die 18 bis 27 Jährigen, die einfach so in eine Kirchenzeitung blättern, mit der Pfarrperson vor Ort quatschen und mal ein kirchliches Angebot wahrnehmen, ohne dass sie sich gleichzeitig engagieren? We miss you! Ich kann euch sagen, warum es diese Menschen nicht gibt: Sie wurden vergessen.
Die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung sagt, dass Menschen, die in der christlichen Kirche sind, sich eher und mehr ehrenamtlich engagieren als Konfessionslose (ekd.kmu.de). Spannend, aber keine Breaking News. Ehrlich gesagt eher eine logische Schlussfolgerung. Schaue ich mich nämlich in meinem Umfeld um sehe ich zwei Faktoren, die zumindest in der Kinder- und Jugendarbeit dazu führen: 1. Wenn du nach der Konfirmation irgendwas mit Gemeinde und Kirche zu tun haben willst und es keine Sommerfreizeit gibt (die wahrscheinlich auch nur für Jugendliche bis 18 Jahren ausgeschrieben ist), dann hast du keine Wahl. Es gibt (wenige bis) keine Angebote für Schokos (= Schon Konfirmierte). Wenn du aus dem Kindergottesdienst raus bist, hast du Pech gehabt. Entweder du lebst jetzt das Prinzip kleiner Finger, ganze Hand (bis wahlweise ganzer Arm) oder du hast halt erstmal nichts mit Kirche zu tun. Zumindest bist du kirchlich heiraten willst oder dein Kind taufen willst. Leute tut was dagegen! Ihr verliert die Zielgruppe, die ihr am meisten braucht! 2. Wer sich in der Kirche ehrenamtlich engagiert und mehr machen will als Kirchenkaffee ausschenken, der wird sich schwuppdiwupps in Leitungs- und Gremienämtern wiederfinden. Das ist nicht nur zeitintensiv, sondern vor allem nicht inklusiv. Kirchenstrukturen und die Sprache, die in den meisten Gremien verwendet wird, ist für Menschen ohne akademischen Hintergrund, extrem schwierig. Die Katze beißt sich hier also selbst in den Schwanz: Nur die, die sich in dieser komplexen Welt navigieren können, können bleiben und erhalten so das System aufrecht, was auch innerkirchlich immer wieder kritisiert wird. Klassismus at it‘s best. Klar, dass das auch eher die Menschen sind, die viel Zeit in ihr Ehrenamt stecken können, weil sie ihre Familie nicht mit Zweit- und Drittjobs über Wasser halten müssen.
Ehrenamt ist schön und gut. Ohne geht es auch gar nicht. Aber das sich alle engagieren müssen, um Teil von etwas sein zu können, kann und darf nicht das Ziel sein.
Zu Glauben oder sich als Christ:in zu verstehen ist nicht davon abhängig, wie sehr man sich in das Ehrenamt reinhängt. Durch Arbeit wird man kein:e bessere:r Christ:in! Leistungsprinzipien dürfen sowohl aus Sicht der mentalen Gesundheit als auch der christlichen Botschaft, die mit dem Ehrenamt vertreten werden soll, keinen Stellenwert in ehrenamtlichen Strukturen haben.
Zum Schluss noch ein Update zur aktuellen Reiselage: Wir sind immer noch in Deutschland. Jetzt schon vier Wochen. An uns liegt es nicht, wir wären schon liebend gerne wieder auf dem Weg in den Süden, aber unser Bus steht immer noch in Dänemark und wartet auf den Transport in die Werkstatt. Hoffentlich steht im nächsten Blog, dass wir schon auf dem Weg zum Mittelmeer sind. Ganz ehrlich, am Anfang habe ich mich gefreut, dass wir zu diesem Zeitpunkt in Deutschland waren: Ich konnte zur Vollversammlung der Evangelischen Jugend und vor Ort von meiner Amtszeit entlastet und verabschiedet werden und am nächsten Tag direkt wieder in den Vorstand gewählt werden. Wäre ich nicht vor Ort gewesen und hätte mich nicht richtig von so vielen lieben Menschen verabschieden können, wäre mein Herz wahrscheinlich gebrochen. Aber so langsam könnte es mal weitergehen.