Dass das Leben weg vom nine-to-five-Job, den immer gleichen Supermarktregalen und gemauerten vier Wänden Freiheit verspricht und einen Traum von Salzwasser in den Haaren, Naturverbundenheit und Entschleunigung vorgaukelt, habe ich bereits beschrieben. Im SZ Magazin erschien am 4. Oktober ein Artikel mit dem Anspruch des ungeschönten Blickes auf das Vanlife. Die sogenannten Schattenseiten des "Aussteigerlebens" sind dabei, neben Mäusekacke unter dem Kopfkissen, das ewige Abspülen. Und aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass es stimmt: Man unterschätzt diese Aufgabe vorher.
Viel Zeit am Tag geht auf Dinge drauf wie Wasser suchen, Wasser auffüllen, Wäsche waschen, Geschirr spülen, Wäsche trocknen, sich selbst waschen, einkaufen, kochen, aufräumen, einsortieren, sauber machen, Bett abbauen, Bett aufbauen, Kocher auspacken und wieder einpacken. Zum ersten Mal wird einem bewusst, wie viel Wasser man wirklich am Tag verbraucht. Wer vorher dachte, dass endlich Zeit ist, um zu lesen, zu zeichnen, zu entspannen, Sport zu machen, Musik zu machen und endlich mal nichts zu tun zu haben, hat weit gefehlt. Zwei Wochen Urlaub machen ist etwas anderes, als mehrere Monate in einem Auto zu leben.
Während in mir gleichzeitig eine Stimme schreit, dass es absolut überprivilegiert ist, über die Suche nach einem Wasserhahn zu meckern, habe ich mir diesen Traum vom „Aussteigerleben“ noch einmal genauer angeschaut. Hängen geblieben bin ich an den Geschlechterrollen, die doch eindeutig mit diesen Aufgaben verbunden sind.
Es ist anscheinend ein Schock – Weibliche Lebensrealitäten finden auch im Vanlife statt. Auch ganz weit weg vom normalen Leben muss man das tun, was historisch gesehen als Aufgabe für Frauen zählt: Spülen. Eine echte Schattenseite. Versteht mich nicht falsch, auch mich nervt das ewige Abspülen und die niemals endende Suche nach Wasser. Aber warum sind es ausgerechnet die typischen „Frauenaufgaben“, die das „Aussteigerleben“ so nervig machen? Das Sehnen nach Freiheit ist anscheinend das absolute Gegenteil von Hausarbeit. Ist das glorifizierte Aussteigerleben ein männlicher Traum? Oder ein Traum aus einem männlichen Blick?
Ich denke, dass es vor allem die geschönten Bilder sind, die wir alle kennen und die falsche Erwartungshaltungen aufbauen. Nicht nur auf Instagram fehlen die Wahrheiten über den Alltag auf einem Roadtrip, die Aussteiger-Kultur boomt. Fritz Meinecke hat im deutschsprachigen Raum die Welt erobert, für die Bear Grylls ihm den Weg geebnet hat. Wer sich nicht mit diesem Metier auskennt, wird vielleicht denken, dass es sich um Menschen handelt, die Olivgrün, Dunkelgrün, Waldgrün und Schwarz einfach super hübsch finden und neu in Mode bringen wollen. Aber es geht um mehr: Auf einmal kennen sich alle super gut mit dem (Über-)Leben abseits der Zivilisation aus, nur weil sie ziemlich viele Stunden damit verbracht haben, sieben Menschen beim Leiden in der Wildnis zuzusehen. Wie vielen Gesprächen musste ich schon lauschen, in denen (wohlgemerkt immer Männer) darüber beraten haben, was sie doch anders und besser gemacht hätten? Es ist schlimmer als bei einem Fussballspiel zuzuschauen, bei dem Väter Bildschirme anbrüllen, um den Profispieler:innen klarzumachen, dass sie doch mal schießen sollen. Aber anscheinend gibt es einen großen Markt dafür. Fritz Meinecke hat jetzt sogar eine Fernsehsendung. Wie cool. Alles fürs Survival-Feeling. Nicht so wichtig, dass er durch seine sexistische Haltung bereits aufgefallen ist.
Aber das scheint für diese Sparte nicht allzu dramatisch zu sein. Denn immerhin geht es beim Survival nicht um Dinge, die Frauen stereotyp gut oder schlecht finden. Es geht darum, in der bösen Natur zu überleben. Alles ist ganz hart und schwer und männlich. Mir fehlt in dem Genre ein wenig Plüsch, Umarmungen und weniger gespielte Männlichkeit. Denn was anscheinend gar nicht in das Survival-Thema passt, ist stereotype Weiblichkeit. Stereotype Weiblichkeit und stereotype Männlichkeit sind selbstverständlich niemandes Ziel (hoffentlich). Doch es ist schon auffällig, wenn bei bestimmten Themen stereotype Männlichkeit kultiviert, glorifiziert, kapitalisiert und mit einem Genre verbunden wird und Weiblichkeit da auf einmal wenig Platz hat. Doch wahrscheinlich würden auch weniger Leute ewig lange Internetvideos anschauen, wenn Fritz and Friends sich über das Wäsche waschen unterhalten würden.
Jetzt ist nicht alles, was mit dem „Aussteigerleben“ zu tun hat, eine Survival-Show auf YouTube. Auch das Gegenteil von Survivalshows ist gerade ziemlich in. Blogs, Instagram-Accounts und TikTok Videos in denen selbsternannte Hippies die Rückkehr zur Natur feiern und einen Eskapismus sondergleichen an den Tag legen. Auf einmal ist das Suchen nach Wasser im Wald eine Praxis für Menschen mit Elfenohren und das Waschen in einem See wird zu einem heilsamen Ritual. You do you, aber auch hier fehlt mir einfach die Realität:
Frauen leisten unbezahlte Arbeit und davon nicht wenig. Da geht es gerade um Arbeit in Haushalt, aber auch Fürsorge- und Pflegearbeit. Das mag zwar veraltet sein, ist aber faktisch immer noch so. Das Modell, dass Frauen enorm viel unbezahlt zuhause arbeiten, stammt aus einer Zeit, in der das Familienernährer-Modell ökonomisch noch funktioniert hat. Eine Person in der Familie hat gearbeitet und alle anderen ernährt. Das funktioniert heute nicht mehr. Frauen müssen genauso Vollzeit arbeiten. Wenn sie das nicht können, weil sie beispielsweise alleinerziehend sind, macht sie das direkt armutsgefährdet. Die Arbeit zuhause, um die Arbeitskraft für bezahlte Arbeit wiederherzustellen, hängt auch heute in den meisten Fällen noch an der Frau im Haushalt (Gabriele Winker „Care Revolution“, 2015). Das heißt aber, dass viele Frauen mit einer Mehrfachbelastung konfrontiert sind. Anscheinend ist die Hausarbeit nicht erstrebenswert genug, um sie geschlechtergerecht aufzuteilen. Sie ist weder Traum noch Ziel. Außerdem wird sie kategorisch unsichtbar gemacht.
Kein Wunder also, wenn sie im glorifizierten Vanlife-Traum nicht auftaucht. Ebenfalls kein Wunder, dass sie als Schattenseite angesehen wird und es irgendwie überraschend ist, dass Hausarbeit trotzdem anfällt und anstrengend ist.
Nur weil Menschen gerne ein „Aussteigerleben“ leben möchten, heißt das nicht, das ungerecht verteilte Fürsorgearbeit aufhört. Es ist wichtig zu benennen, dass das etwas Größeres ist, als das Aufteilen von Arbeit in einer Beziehung. Ich denke es ist sehr wichtig, in einer Zeit von übermäßigem Konsum neue Formen von (Zusammen)leben auszuprobieren. Es ist gut, dass sich Menschen entscheiden, enger mit der Natur zu existieren, Jurten einer Wohnung vorziehen und vielleicht auch mal auszutesten, in einem Van zu leben.
Es ist aber doch symptomatisch, wenn unsichtbar gemachte und unbezahlte Arbeit von Frauen, zur Schattenseite eines glorifizierten Lebensstils gemacht wird. Selbst wenn man ganz weit entfernt von der Zivilisation ist: Das Patriarchale hat überall seine Finger im Spiel.
Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass das Patriarchat made by men und nicht made by god ist, und dass wir das Reich Gottes unter uns spüren, wenn wir uns näher an eine gerechte Welt heranbewegen. Dazu gehört für mich auch, dass ich mir bewusst mache, warum Praktiken als gesellschaftlich nicht gleich angesehen werden als andere und welche Machtstrukturen damit zusammenhängen. Ich werde deswegen nicht lieber abspülen, aber vielleicht lernen, mich von dem männlichen Blick auf das Erstrebenswerte in der Natur zu lösen und neue Blicke zulassen. Vielleicht erdenken wir uns dann auch irgendwann ein Aussteiger:innenleben.