Schon seitdem wir angefangen haben, diese Reise zu planen, um unser Zuhause für ungefähr sechs Monate zu verlassen, habe ich mit dem Begriff „Van-Life“ gefremdelt. „Van-Life“ ist ein Ausdruck, der in den letzten Jahren immer virulenter geworden ist. Was klingt wie die englische Übersetzung vom Leben in einem Transporter, ist zu einer Beschreibung eines bestimmten Lebensstils geworden.
Er beschreibt das glorifizierte Leben im ausgebauten Camper – am besten einem VW-Bus. Ich verbinde damit viel zu blaues Meer mit viel zu hellem Sand, Surfbretter, Sonnenschein, normschöne Menschen und dazu ein Reisetagebuch auf einem Social-Media-Kanal. Für die Menschen ohne Surftalent kann dieses Bild auch mit anderen Aktivitäten in der Natur ausgetauscht werden. Was immer gleich bleibt: Schöne Menschen auf schönen Bildern mit schönen Autos. Ein Leben unter dem Instagram-Filter-Himmel.
Es gibt für mich viele Gründe, diesem Lebensstil nicht allzu viel abgewinnen zu können. Lange Zeit konnte ich mich recht gut von „Van-Life“ Menschen abgrenzen und sie in eine Schublade stecken mit allen anderen überprivilegierten Leuten. Easy. Seitdem wir diese Reise planen, habe ich aber ein Problem: Ich gehöre jetzt irgendwie auch zu diesen Menschen. Ich lebe, arbeite und schlafe in einem VW-Bus, mein ganzes Leben dreht sich gerade um diesen Van, ich teile Bilder auf Social-Media-Kanälen von wunderschönen Aussichten und Sonnenuntergängen (ich lege sogar einen Filter darauf), und ich schreibe diesen Blog (während ich in einem Café einen Chai Latte trinke). Ich bin mittendrin. Ich profitiere gewissermaßen von dieser Reise. Bin ich jetzt einer dieser Menschen, die ich einfach gar nicht leiden kann?
Es dauert auch nicht lange, da hatten jegliche Algorithmen von meiner Reiseplanung erfahren. Seit einigen Wochen sind alle meine Feeds voll mit praktischen Ausbautipps, Campingplatzempfehlungen, lachenden Menschen auf Autositzen und nicht zuletzt gefilterten Fotos von Bergen und Stränden. Meine Muskeln, die ich zum Augenverdrehen brauche, sind seitdem nachhaltig gestärkt.
Spätestens dann war der Zeitpunkt gekommen, dass ich mich irgendwie konstruktiv mit dem Thema auseinandersetzen musste. In Gesprächen mit Freund:innen ist mir sehr schnell klar geworden, dass es hier um bestimmte Facetten des „Van-Lifes“ geht. Denn mit dem Leben aller meiner Freund:innen, die selbst in einem ausgebauten Auto oder Bus leben oder dort ihre Wochenenden und Urlaube verbringen, habe ich absolut gar kein Problem. Ich gönne es ihnen von Herzen und freue mich über Fotos und Erzählungen. Außerdem ist mir aufgefallen, dass all unsere Freund:innen, die selbst eine Zeit lang im Auto gelebt haben, auch nicht viel vom „Van-Life“ halten. Warum stört es mich bei Fremden oder bei mir selbst und bei meinen Freund:innen nicht? Warum lieben wir das Leben im Van, aber hassen das „Van-Life“?
Cui bono?
Wenn ich mit etwas fremdel und nicht genau weiß, wieso, stelle ich mir immer diese Frage: Cui bono? (zu deutsch: wem zum Vorteil?). In Bezug auf das "Van Life" sind es für mich vier Punkte, die sich zu dieser Frage herauskristallisiert haben.
1. Profit
Das ist wohl die einfachste Antwort darauf, warum ich Leuten, die das wahre "Van-Life" leben, nicht viel abgewinnen kann. Wer profitiert von den tollen Kooperationen und den krassen Urlaubsfotos? Natürlich die Blogger:innen und zwar nicht nur finanziell, sondern auch durch soziale Anerkennung und steigenden Bekanntheitsgrad. Wer hingegen nicht so sehr profitiert, sind die Menschen vor Ort. Diese Dynamik hängt eng mit Begriffen wie Neokolonialismus, Digital Nomads und Klimaungerechtigkeit zusammen. Das sind Themen, über die ich in Zukunft schreiben würde. Aber es ist nicht nur das profitieren, was mich am "Van-Life" stört.
2. Privileg
Es sind auch die Privilegien, die oft unhinterfragt bei diesem Lebensstil übernommen werden. Es ist kein Zufall, wer mit seinem:ihrem Account bekannt wird und wer nicht. Es hat etwas damit zu tun, wie einfach es Menschen in ihrem Leben haben. Wer generell als schöner Mensch gilt, nicht behindert ist, niemanden zu Hause pflegt und Geld hat, um sich so einen Van zu kaufen, auszubauen (oder noch teurer: ausbauen zu lassen) und einen Job hat, den man auf Reisen ausführen kann oder den man gar nicht braucht, weil man sowieso genug Geld auf dem Konto hat, wird sich leichter einen Van-Blog aufbauen können als jemand, der nicht normschön ist, eine Behinderung hat, jemanden pflegen muss und weniger Geld hat. Das ist logisch.
Es bedeutet nicht, dass Menschen mit Geld und einem schönen Körper keinen Van-Blog haben sollten, es bedeutet nur, dass mich ein Reel wütend macht, in dem ein „supergünstiger Van-Ausbau“ im Zeitraffer gezeigt wird, der schlappe 20.000 Euro gekostet hat. In Anbetracht der Tatsache, dass wir in einer Welt leben, in der finanzielle Vor- und Nachteile viel mit Klassismus, sozialer Ungerechtigkeit und Erbe zu tun haben, wirken Videos dieser Art ignorant und repräsentieren, wie überprivilegiert viele „Van-Life“ Blogger:innen sind. Das Leben im Van wird mit etwas assoziiert, das sich alle leisten können, weil es „rural“ und minimalistisch ist.
Dieses Bild entspricht nicht der Realität. Gleichzeitig würde niemand Lust haben, endlich mal obdachlos zu sein oder in einem Trailer-Park zu wohnen, auch wenn das auch „rural“ und minimalistisch ist. Es geht nämlich gar nicht darum, sondern um einen bestimmten Lebensstil, der viel mit Prestige zu tun hat.
3. Schöpfung
Auf jedem öffentlichen Parkplatz, den wir bisher angefahren haben, lag Müll. In jedem Wald, in dem wir bisher standen, lag Müll. Egal wo wir hinfahren, überall sind Vans. Fertig ausgebaute Vans, gemietete Vans, verrostete Vans, große Vans, kleine Vans. The Hype is real. Corona hat den Urlaub mit Wohnmobilen oder ausgebauten Transportern nochmal richtig gepusht. Jetzt sind die Camper wirklich überall. Was mit ihnen kommt und nicht wieder geht, ist der Müll. Wie kann man ernsthaft in der Natur Urlaub machen wollen und dabei nicht darauf achten, wie man sie zurücklässt? Es sind natürlich nicht nur die Blogger:innen, die den ganzen Müll hinterlassen. Aber der „Van-Life“ Hype auf den sozialen Medien ist absolut Mitschuld an dieser Vermüllung. Hier ist nicht die Frage, wer profitiert, sondern eher wer verliert und am „Van-Life“ verliert die Natur, unsere geliebte Schöpfung.
4. Realität
Das Leben in einem Van ist nicht nur Urlaub. Es ist eine Reise, ein Abenteuer. Man kann es nicht nur in seinem teuren Ausbau verbringen, sonst kann man auch auf der Couch sitzen bleiben. Das bedeutet aber auch, dass es anstrengend werden kann, dass man manchmal an hässlichen Plätzen steht, dass ungeplante Dinge vorkommen, dass nicht jeden Tag die Sonne scheint und einen manchmal auch alles ankotzt. Wer aber von seinem eigenen Bulli träumt, der träumt von Freiheit, Sonnenschein und Wind in den Haaren, denn er träumt vom „Van-Life“. Das „Van-Life“ gibt es so aber gar nicht, es ist schlichtweg nicht real. Wer von der Konstruktion dieses Lifestyle-Begriffs profitiert, sind die Menschen, die mit diesem Traum Geld machen.
Und jetzt?
Reisen ist eine Identitätsfrage geworden, Lebensstile zu Prestigeobjekten, die hergezeigt werden wollen, Reiseorte und Aktivitäten, ein Panini-Album und das „Van-Life“: das Aussteiger:innen-Vorzeigemodell für Möchtegern-Hippies mit zu viel Kohle. Das ist vielleicht überspitzt, aber als eine Person, die mittendrin ist in diesem Lebensmodell, ist es auch meine Rolle, diesen Lebensstil zu kritisieren und Probleme anzusprechen.
Deshalb aber nicht mehr mit Albertina (unserer T4-Dame) loszuziehen ist nicht die Lösung. Möglicherweise gibt es auch nicht die eine „Lösung“. Was aber ein Ansatz ist, ist diesen ganzen Lebensstilentwurf als genau das stehen zu lassen und sich nicht von einem Trend eine Art zu Reisen vorschreiben zu lassen. Das „Van-Life“ sollte nach und nach dekonstruiert werden. Nicht nur, weil es unrealistisch ist und falsche Versprechungen von Freiheit, Ausstieg und Urlaub vermittelt, sondern weil es die Umwelt vermüllt und nur so gut funktioniert, weil einige wenige von dem Traum anderer Menschen profitieren. Urlaub machen und Abenteuer erleben geht auch ohne einen vorgefertigten, kapitalisierten Lebensentwurf und ohne das Anpassen von Identitäten an ein bereits bestehendes Bild.