Die Frage der Woche, Folge 75: Immer noch nicht selbstverständlich?
Es gibt keine analoge Welt mehr. Wir sind schon längst digitalisiert. Ich dachte, das hätten inzwischen alle begriffen.

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

ich dachte, wir wären schon weiter in Sachen Internet und Digitalisierung. Ich wünsche mir schon länger, dass wir auf Kongressen und Treffen zum Thema endlich aufhören, über das "ob" zu reden und tiefer ins "wie" einsteigen. Ganz viele Menschen, die in dem Bereich arbeiten, tun das auch schon, und das ist erfreulich!

Aber auf den zwei Medien- und Internet-Kongressen, auf denen ich in den letzten Wochen war, war zu oft das Gegenteil zu hören. Eine Öffentlichkeitsarbeitern aus einer kleineren Landeskirche erzählte mir beim Evangelischen Medienkongress, wie schwer sie es hat, aus ihrem Kirchenamt Ressourcen zu dafür bekommen, ihre Arbeit auf auch digitalen Plattformen zu machen. Auf dem Kongress zu "10 Jahre Deutschland sicher im Netz" war von einigen (gottseidank nicht allen!) Rednern ganz klar zu hören, dass sie die "analoge" und die "digitale" Welt als zwei verschiedene Handlungsfelder wahrnehmen.

Das ging so weit, dass Martin Drechsler (Geschäftsführer der FSM und Schatzmeister des Vereins "Deutschland sicher im Netz") auf einem der Podien bei "10 Jahre DsiN" sich genötigt sah, nochmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass digitale und analoge Welten nicht zu trennen sind.

Er hat Recht, aber dass er das musste, irritiert mich zutiefst. Digitalisierung ist kein Thema für die Zukunft, sondern eins für die Gegenwart!

Und dann stößt man auf solche Perlen wie die Pressemitteilung des Deutschen Lehrerverbandes vom März 2015 (danke an @horn für den Link), in der drinsteht: "Man darf die Risiken, die eine überzogene Digitalisierung von Bildung anrichtet, nicht übersehen. [...] wer sich in einem Buch, in einem Lexikon oder in einer Bibliothek nicht auskennt, der kommt auch mit dem Internet nicht zurecht."

Es gibt keine "überzogene Digitalisierung" von Bildungsvermittlung. Die gesamte Art und Weise, wie Menschen im Zeitalter von Smartphones Informationen konsumieren, hat sich schon verändert. Lesekompetenz, Verständnis von Zusammenhängen, Bewertung von Inhalten etc. muss mit den Werkzeugen und Informationszugängen gelernt werden, die heute zur Verfügung stehen! Auch in der Schule - denn in der Freizeit machen Schüler das schon längst. Wir müssen darüber reden, wie das geht, nicht ob das sinnvoll ist!

Der Verein "Deutschland sicher im Netz" hat zur Aufgabe, "ein stärkeres Bewusstsein für einen sicheren Umgang mit dem Internet entwickeln". Das heißt leider auch, dass viele Menschen auf dem Jubiläums-Kongress zuallererst über "Risiken" des "Internets" sprechen. Das ist ein negativer Blick auf die wichtigste zvilisatorische Entwicklung, die die Welt seit dem letzten Jahrtausend erlebt hat. Und das ist schade.

Das weltweite Netz, in dem wir uns alle täglich bewegen (egal ob wir wollen oder nicht!), ist ein wunderbares Werkzeug, ein faszinierender Ort, der wichtigste Speicher von Information überhaupt, nicht ersetzbar und nicht mehr wegzudenken. Was man damit macht, kann sehr unterschiedlich sein - und es ist wirklich wichtig, zu lernen, wie das geht. Da haben Jugend- und Datenschützer oder auch DsiN eine ganz wichtige Aufgabe. Die Menschen, die dort arbeiten und die ich bisher kennenlernen durfte, verstehen das. Und viele andere auch.

Aber wenn mir noch einmal jemand auf einem Kongress zu Medien- und Digitalthemen ganz selbstverständlich sagt, die Jugend müsse vor dem ganzen Internet geschützt werden, von der "kommenden Digitalisierung" und von einer "analogen Welt" erzählt, dann platzt mir endgültig der Kragen. ES GIBT KEINE "ANALOGE" WELT MEHR. Ich dachte, das hätten inzwischen wirklich alle begriffen.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


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