Die Frage der Woche, Folge 72: Wer kümmert sich um unsere Ängste?
Der Ton wird rauer in der Welt. In Oersdorf wird ein Bürgermeister niedergeschlagen. Wer kümmert sich um die Ängste von Menschen, die diese Entwicklung mit Sorge sehen?

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

ich hatte am vergangenen Wochenende ein interessantes Gespräch mit einer Freundin von mir, ebenfalls evangelische Pfadfinderin und Historikerin. Wir diskutierten über folgende Frage:

"Wer kümmert sich eigentlich um unsere Ängste?"

Und zwar nicht die Ängste vor Ausländern, dem Verlust des Nationalgefühls und dem wirtschaftlichen Abstieg. Sondern die Angst, dass unsere Gesellschaft auseinanderbricht.

Ich teile die Angst, dass die Rhetorik von Leuten wie Donald Trump, Nigel Farage, Marine le Pen oder Viktor Orban den Grundkonsens unserer westlichen Demokratien gefährdet. Und populistische Politiker mit einem Fokus auf's Nationale gibt es in Deutschland auch, allen voran bei der NPD und der AfD, aber nicht nur - die CSU ist auch am Rande mit dabei.

Der Grundkonsens ist: Alle Menschen sind gleich viel wert. Das kann man auch in größere Worte fassen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, zum Beispiel. Oder: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Diese einfache Wahrheit - alle Menschen sind gleich viel wert - gerät aber langsam unter die Räder. Sascha Lobo hat das für Donald Trump auf Facebook aufgeschrieben. Jeder Internet-Kommentarstrang zum Thema Flüchtlinge demonstriert das. Die AfD gewinnt mit einem Grundsatzprogramm Wahlen, in denen das Primat der deutschen Kultur hochgehalten wird - ein "wir" gegen "die" auf der Basis von Herkunft und Kultur. Es ist salonfähig geworden, dass Bundestagsabgeordnete öffentlich von "Umvolkung" reden und Frauke Petry "völkisch" wieder positiv besetzen will.

Aber wenn die einfachste Wahrheit nicht mehr gilt, dass alle Menschen gleich viel wert sind - was gilt dann noch alles nicht mehr? Wie soll man mit Menschen gemeinsam über gesellschaftliche Regeln verhandeln, die auf einer ganz anderen Grundlage argumentieren? Ich weiß, das ist auch die Angst, die viele Menschen vor dem Islam haben. Und für radikale Islamisten gilt das auch genauso wie für unsere eigenen Rechten und Völkischen.

Wer Angst vor Islamisten hat, kann sich an die AfD und andere halten. Aber wohin wenden sich alle, die Angst vor einer Gesellschaft haben, in der Ausgrenzung normal ist? Was machen die, die nicht wollen, dass regelmäßig Autos brennen, auch nicht die von Beatrix von Storch und Frauke Petry? Was ist mit denen, die die Gleichheit aller Menschen nicht aufgeben wollen?

Was ist mit allen, die Angst davor haben, dass Diskussionen in Gewalt umschlagen? Dass uns wieder Straßenschlachten drohen wie in der Weimarer Republik? Wer kümmert sich um diese Ängste?

Dazu passt die Nachricht, dass am Donnerstag der Bürgermeister von Oersdorf niedergeschlagen wurde. Oersdorf ist ein kleines Dorf in Schleswig-Holstein. Es gab wohl Streit um den Ankauf und die Verwendung eines Hauses durch die Gemeinde. Es ging den Berichten zufolge nicht einmal konkret um Flüchtlinge. Aber offenbar sah sich der Angreifer nicht in der Lage, eine friedliche Diskussion zu führen. Dass man keine Angst haben muss, wegen einer Meinung niedergeschlagen zu werden, gehört ebenfalls zu den Grundwerten unserer Republik. Wir dürfen das nicht verlieren. Aber die Angst davor ist inzwischen berechtigt. Und das ist keine schöne Vorstellung.

Ich wünsche euch und Ihnen trotzdem ein gesegnetes Wochenende!


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