Die Frage der Woche, Folge 59: Ist die Kirche wie Zahnärzte?
Aus der Diskussion um Reformfähigkeit kam ein interessanter Vergleich. Denken wir ihn mal weiter...

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

vor zwei Wochen hatte ich mich auf Bitten eines Facebook-Nutzers mit der Frage nach der Reformfähigkeit der Kirche befasst. Das hat einiges an Reaktionen ausgelöst und eine gute Diskussion unter dem ersten Anstoß ergeben. Daran möchte ich gern anschließen, denn eine Frage daraus lohnt noch weiteres Nachdenken.

Der/die Nutzer*in "b.denklich" schrieb in einem Kommentar:

"Was soll Kirche tun, wenn den Menschen der Glaube egal ist?

Auf diese Frage von Ihnen könnte man mit einem Blick auf die Medizin antworten:
Wenn immer mehr Menschen kein Interesse an Zahnpflege haben und immer seltener zum Zahnarzt gehen, kann die Zahnarzt-Innung darauf reagieren, indem sie Fusspflege oder Computerkurse anbietet. Das sind auch hilfreiche Dinge, und wenn die Leute nun mal keine Zahnbehandlung wollen, muss man sie eben auf andere Weise erreichen.
Zudem sind richtige Zahnärzte ja ein Produkt des 20. Jahrhunderts, die Menschheit ist Jahrtausende lang ohne sie ausgekommen. Wenn die Zahnärzte den Menschen nun durch Fusspflege zu gesünderem Gehen verhilft, ist das ja auch für eine moderne Gesellschaft relevant. Auch Menschen mit schlechten Zähnen können gute BügerInnen sein.
Meines Erachtens haben aber die Zahnärzte und Gesundheitspolitiker der letzten Jahrzehnte mit ganz anderen Strategien auf die Mängel in der volksweiten Mundhygiene reagiert. Die Erfolgsbilanzen der Ärzte sehen meines Wissens deutlich besser aus als die die der Kirchen. Könnte man da nicht ins Nachdenken komm
en?"

Wenn man dieses Gedankenexperiment weiterspinnt, haben sich die Bedeutung von Kirche und von Zahnpflege im 20. (und 21.) Jahrhundert gegenläufig entwickelt. (Auch wenn Korrelation keine Kausalität bedeutet!) Denn die Bedeutung von Zahnpflege mussten die Menschen auch erstmal lernen. Wir reiben unsere Zähne nicht mehr mit Salz und Seife ab oder benutzen die Enden von Birkenzweigen als Zahnbürste. Wir gehen zum Zahnarzt, weil wir gelernt haben, dass es wichtig ist, die eigenen Zähne gesund zu halten.

Aber "b.denklich" hat natürlich Recht, dass ein Zahnarzt nicht zum Fußpfleger wird, wenn niemand mehr zum Zahnarzt geht. Denn die Zahnärzte wissen, wie wichtig ihre Arbeit für die Gesundheit ist. Die äquivalente Frage ist also: Was sollen Zahnärzte tun, wenn den Menschen ihre Zahngesundheit egal ist? Die Antwort ist klar: Dafür werben, dass Menschen wieder zum Zahnarzt gehen, sowohl zum Selbsterhalt als auch zum Zahnerhalt.

Für die Kirche gilt die gleiche Antwort: Dafür werben, dass Menschen wieder zur Kirche kommen, sowohl zum Selbsterhalt als auch zum Erhalt der christlichen Botschaft. Nur: Wenn sie das vor allem über Nächstenliebe und Diakonie tut, so wie ich das mit Blick auf die nächsten 100 Jahre in den Raum gestellt habe, dann ist das nicht das gleiche wie der Wechsel eines Zahnarztes von Zahn- zu Fußpflege. Denn der christliche Glaube hat mehr Facetten als die Zahnpflege. Und auch Zahnärzte - um die Metapher bis zum Ende weiterzudenken - verändern ihre Behandlungsmethoden, Technologien und Anweisungen.

Ein Zahnarzt, der heute noch mit Zahnseife und Birkenzweigen daher kommt, wird von seinen Patienten auch nicht ernst genommen.

Anders als bei Zahnärzten haben wir in diesen Diskussionen dagegen immer zwei verschiedene Sichtweisen vor Augen. Die einen sagen, die Kirche als Institution hat auch in einer glaubensärmeren Zeit weiter eine Rolle zu spielen. Deswegen müssen Christen politisch sein, deswegen ist die Diakonie so wichtig und deswegen ist es in Ordnung, wenn Menschen sich aus Nächstenliebe der Kirche anschließen. Kirchenmitglieder, die so denken, sind mit einer klassischen Glaubens- und Erlösungsbotschaft nicht zu erreichen. (Was nicht bedeutet, dass sie keinen Glauben haben!)

Die anderen sagen, der Glaube, das Transzendente, ist der Weg, um Menschen an die Kirche zu binden. Die Kraft des Glaubens oder der Heilige Geist werden die Menschen überzeugen, und das geht nur mit einer klaren, auf das Jenseits gerichtete Kirchenbotschaft. Kirchenmitglieder, die so denken, sind mit einer diesseitig-diakonischen Kirche nicht zu erreichen. (Was nicht heißt, dass sie das nicht auch wichtig finden können!)

Wenn Kirche im nächsten Jahrhundert aber mehr sein will als eine versprengte Ansammlung überzeugter Gläubiger, muss sie einen Weg finden, beide Sichtweisen unter einem Dach zu vereinen. Ich glaube weiterhin, dass dieses Dach die Nächstenliebe und ihre praktische Umsetzung sein wird. Auch für die, für ihren Glauben keine Amtskirche brauchen.

Aber wer weiß? Ich mag mich irren. Ich bin aber lieber in einer Kirche, die sich Mühe gibt, die Botschaft der Liebe Christi und die Bedeutung dessen, "was Christum treibet", in einer Form zu vermitteln, die Menschen heute noch verstehen und teilen wollen. Meine Zahnbürste hat schließlich auch Indikatorbürsten und einen Schwingkopf.

Am Schluss möchte ich noch den beiden Nutzern Herrn B. und Xenophon für ihre Reaktionen auf meinen Blogeintrag von vergangener Woche danken. Ich möchte in dem Kommentarstrang noch antworten, denke aber noch darüber nach. Und langes Nachdenken ist meistens ein Anzeichen für einen guten Denkanstoß.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


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