Ihre Fragen, unsere Antworten - Folge 47: Schwein gehabt?
Wie schafft man die Balance zwischen Aufmerksamkeit, Aufregung und Wahrheit, wenn man Überschriften und Schlagzeilen textet?

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und Nutzer,

die "Aufmerksamkeits-Ökonomie", von der mit Blick auf Social Media und Internet oft die Rede ist, ist leider immer wieder auch eine "Aufregungs-Ökonomie". Denn mit Aufregung lässt sich nun einmal mehr Aufmerksamkeit erzielen. Dieses Mittel ist im Boulevard-Journalismus schon immer gang und gäbe - siehe den unsäglichen "Bild"-Titel mit der angeblichen "Hitler-Droge" Methamphetamin.

In der vergangenen Woche hat Sascha Lobo auf Spiegel Online das schon vor Volker Becks Drogen-Ermittlungen aufgespießt, nämlich zum Thema der angeblichen "Schweinefleisch-Pflicht" in deutschen Kantinen. Noch mal deutlich: Die gibt es so nicht. Die CDU im Landtag in Schleswig-Holstein hat lediglich den Antrag gestellt, dass die Landesregierung sich dafür einsetzen solle, "dass Schweinefleisch auch weiterhin im Nahrungsmittelangebot sowohl öffentlicher Kantinen als auch in Kitas und Schulen erhalten bleibt".

Schon der Antrag an sich ist in Worte gegossene Aufregung: "Der Minderheitenschutz – auch aus religiösen Gründen - darf nicht dazu führen, dass eine Mehrheit aus falsch verstandener Rücksichtnahme in ihrer freien Entscheidung überstimmt wird", schreibt die CDU Schleswig-Holstein. Zum Beispiel in der freien Entscheidung, Schweinefleisch zu essen. Dass Kantinen oft sowieso nur ein Fleischgericht oder Geflügel als zweites Fleisch anbieten und allein dadurch schon die Entscheidungsfreiheit von Schweinefleischessen in diesem Sinne eingeschränkt wird, spielt da offenbar keine Rolle. Wichtig ist erstmal, das eigene kulturell deutsche Revier zu markieren, als seien die deutschen Farben Schwarz-Rot-Schweinefleisch. Mit der gleichen Argumentation zugunsten der Mehrheitsentscheidung könnte man auch die vegetarischen Optionen in Kantinen wieder abschaffen, um der fleischessenden Mehrheit die freie Entscheidung zwischen Schwein, Rind, Huhn und Känguruh zu ermöglichen.

Eine Überhöhung zugunsten von mehr Aufmerksamkeit führt schnell ins Absurde, im schlimmsten Fall sogar zur Unwahrheit. Wenn sich Journalisten an dieser Stelle der Methoden von Demagogen bedienen, ist das gefährlich. Hier ist der Unterschied: Demagogen (gerade auf Facebook und Co.) wollen genau die Reaktion, die solche Schlagzeilen hervorrufen. Journalisten außerhalb der Boulevard-Medien wollen mit solchen Schlagzeilen Aufmerksamkeit auf den eigentlichen Inhalt lenken, in dem normalerweise der Sachverhalt möglichst intersubjektiv überprüfbar dargestellt ist. Das ist ein wesentlicher Unterschied! Im Originaltext der Lübecker Nachrichten wird das schön deutlich. Leider bleibt die Aufmerksamkeit halt an den Überschriften hängen. Wer liest schon noch?

Deswegen müssen wir als Journalisten die richtige Balance zwischen Aufmerksamkeit und Richtigkeit finden. Die radikale Formulierung einer Überschrift ist legitim, darf aber nicht zu Unwahrheiten führen, selbst wenn dadurch Likes, Klicks und Shares verloren gehen. Übertreibungen wie die "Hitler-Droge" sind übrigens nicht falsch, aber trotzdem eine absurde Verknüpfung von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben. Ob die Schlagzeile mit der "Hitler-Droge" bei der "Bild"-Leserschaft mehr Aufmerksamkeit erzeugt als "Grünen-Politker nimmt Drogen", weiß ich nicht, aber beim Rest der Medienwelt erzeugt es natürlich ein (kalkuliertes) Echo. Und wenn der erste Knall schon unwahr ist (siehe Schweinefleisch), wird das durch das Echo natürlich auch verstärkt.

Diese Balance kann man finden. Mein Vorschlag für Schweinefleisch-Pflicht-Überschrift wäre folgende Formulierung - die würde noch mehr Leser-Neugier auslösen ("was meinen die damit???"), wäre näher am Antrag der CDU und trotzdem noch zugespitzer:

"CDU: Mehr Schnitzel im Kindergarten!"

Was würden Sie für eine Überschrift für diesen Artikel vorschlagen? Schreiben Sie es in die Kommentare! Bis dahin wünsche ich euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende.


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