Ihre Fragen, unsere Antworten - Folge 44: Wie ist das jetzt mit der "Mitte"?
Was heißt "Mitte", und wie wirkt sich die "Allianz für Weltoffenheit" konkret aus?

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

am Donnerstag hat sich in Berlin die "Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat" gegründet. Wir waren bei der Pressekonferenz dabei, ich habe darüber geschrieben. Auf Facebook gab es ein paar Reaktionen dazu, insbesondere eine längere Beitragsreihe von einem Nutzer namens Christian König, der fragte:

"In Ihrem Artikel verorten Sie die "Mitte" bei denjenigen Deutschen, die sich um "Integration" bemühen. Im Gegensatz dazu galt es noch vor einem Jahr als "mittig", von Ausländern die Integrationsleistung einzufordern, und plötzlich ist es "mittig", daß wir Deutschen diese Integrationsarbeit leisten sollen?"

Tja, was ist die "Mitte"? Ich glaube, die Allianz für Weltoffenheit hat das in ihrem Aufruf schon ganz gut getroffen. Denn es geht - auf der unverhandelbaren Grundlage von Menschenwürde - darum, dass die gesellschaftlichen Aufgaben nur gemeinsam gelöst werden können. Für eine gelingende Integration zum Beispiel sind sowohl Integrations- und Bildungs-Angebote als auch Integrationswillen nötig. Die Probleme, die ein gleichzeitiger Zuzug von vielen Ausländern mit sich bringt, verschweigt die Allianz auch nicht - aber sie sagt, die Lösung dafür soll nicht Abschottung und Ausgrenzung sein. Den gesellschaftlichen Zusammenhang will die Allianz auch dadurch stärken, dass wir einen stetigen Dialog über kulturelle Unterschiede führen - und zwar auch das auf beiden Seiten.

Was bedeutet das konkret? Es heißt zum Beispiel, klar zu benennen, dass es Menschen aus muslimisch geprägten Kulturkreisen gibt, die Vorurteile gegen Christen, Juden und Frauen mitbringen. Das wurde auch bei der Pressekonferenz deutlich, und es steht mit Bezug auf die Gleichberechtigung von Frauen und das Diskriminierungsverbot auch zweimal so im Aufruf-Text. Wer also in Deutschland leben will, muss damit leben, dass er (oder sie) diese Meinungen hier nicht unwidersprochen ausleben darf. Wer schon in Deutschland lebt, muss damit leben, dass diese Diskussion immer wieder geführt wird und in der Praxis ganz unterschiedliche Folgen haben kann.

Eine ganz konkrete Anwendung dieses Problems findet sich derzeit in deutschen Universitäten, wenn es um "Räume der Stille" geht. Das sind Andachtsräume, die von allen Religionen gemeinsam genutzt werden sollen - zum Beispiel um im Alltag zur Ruhe zu finden und um zu beten. Wenn männliche Muslime aber muslimischen und christlichen Frauen den Zugang zum Raum verweigern oder eine künstliche Trennung der Geschlechter forcieren, treffen das Diskriminierungsverbot und Religionsfreiheit aufeinander. Die TU Dortmund hat ihren "Raum der Stille" geschlossen, nachdem offenbar muslimische Studenten den Raum in zwei Teile teilten, einen für Männer und einen für Frauen, und Flyer mit der Aufforderung zur Verschleierung auslegten. In Essen schloss die Universität einen muslimischen Gebetsraum, nachdem strenggläubige Muslime Verhaltensvorschriften für Ungläubige auch außerhalb des Gebetsraumes durchsetzen wollten. In Essen soll es nun stattdessen einen gemeinsam genutzten "Raum der Stille" geben.

In solchen Fällen müssen die Regeln klar sein und auch umgesetzt werden. Die Kunst ist, solche Diskussionen "sachlich und lösungsorientert" zu führen, wie es die Allianz in ihrem Aufruf fordert, statt daraus Ressentiments zu schüren oder auf bestimmte Menschengruppen zu generalisieren. Das ist die Aufgabe der Instutionen, aber auch jedes einzelnen Menschen.

Aber es gibt offenbar viele Deutsche, die Integration grundsätzlich nicht als gesellschaftliche Aufgabe verstehen, sondern nur als Belastung. Die werden von der "Allianz für Weltoffenheit" wahrscheinlich auch nicht erreicht, trotz aller Ausgewogenheit. Auch wenn sie Mitglied in einer der teilnehmenden Organisationen sind, sei es im Sportverein oder der evangelischen Kirche. Erzbischof Heiner Koch wies in Berlin darauf hin, dass man diese Menschen nicht direkt in "die rechte Ecke" stellen darf. Integration oder auch nur das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen läuft eben tatsächlich nicht immer reibungslos. Aus der "Mitte" heraus damit umzugehen, wie die Allianz für Weltoffenheit es will, heißt deswegen: mit allen reden, kompromissbereit bleiben, aber nicht hinter die unveräußerlichen Grundwerte zurückgehen - und die auch vorleben. Dann ergibt sich ein respektvolles Miteinander, das Raum für alle möglichen Lebensweisen bietet. Das heißt auch: Integration braucht Leistung von beiden Seiten. Wer das nicht akzeptiert, stellt sich außerhalb der Mitte, die die Allianz für Weltoffenheit verkörpern will. Ich hoffe, diese Mitte ist auch weiterhin in der Mehrheit, sonst wird's schwierig in den nächsten Jahren mit dem friedlichen Miteinander.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


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