Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,
alle zwei Jahre treffen sich in einem christlichen Tagungshaus namens Schönblick in Schwäbisch Gmünd Medienmacher, die mehrheitlich aus dem evangelikalen Spektrum kommen, weswegen der Titel "Christlicher Medienkongress" zwar nicht falsch, aber auch nicht umfassend ist. (Von den katholischen Kollegen zum Beispiel keine Spur.)
"Spiegel"-Kolumnist Jan Fleischhauer hat einen Eröffnungsvortrag gehalten (ziemlich genau diese Kolumne), diverse christliche Medien haben ihre "Best Practice"-Beispiele vorgestellt, von amen.de über den adeo-Verlag bis zu unserem Protestant-O-Mat, und am Samstag gab es ein Podiumsgespräch mit Ulrich Parzany und GEP-Geschäftsführer Jörg Bollmannn.
Mir ist in den 48 Stunden Kongresszeit aufgefallen, dass bei manchen Menschen, die dort waren, eine große Gewissheit herrscht. Nämlich die Gewissheit, dass sie das Evangelium Jesu Christi verbreiten und dass das alles ist, was zählt. Der Zweifel, der sich aus einer journalistischen Sicht der Dinge ergibt, ist diesen Medienmachern fremd – denn sie haben ja schon die Wahrheit, nämlich die Wahrheit Jesu Christi.
Das Problem ist, dass es nicht immer abschließende Wahrheiten gibt, gerade nicht, wenn wir über Ereignisse wie in Köln zu Silvester reden. Bei vielen Großereignissen ist nicht auf den ersten Blick klar, was da eigentlich passiert ist – und so ändert sich auch der Wissensstand, hin zu neuen Wahrheiten.
Übrigens auch im großen Rahmen: Die Erde ist schließlich nicht flach. Allerdings unterscheidet sich die Methode der Wissenschaft, Hypothesen aufzustellen und sie an der Realität zu überprüfen und gegebenenfalls zu falsifizieren, von der journalistischen Methode in einem wesentlichen Punkt: Journalisten brauchen keine Hypothesen, um über Ereignisse zu berichten. Stattdessen beginnen sie - in der nachrichtlichen Berichterstattung, nicht in Kommentaren – bei Null und erweitern den Wissensstand durch Recherche so lange, bis keine Erweiterung mehr möglich ist. Im Optimalfall.
Die Frage, der sich Journalisten dann stellen müssen, ist: Ab wann berichten sie? Wann wissen sie genug, um zu sagen: So könnte es tatsächlich gewesen sein? In der Zeit der Aufmerksamkeits-Ökonomie, in der wir leben und arbeiten, ist dieser Punkt sehr schnell erreicht. Deswegen ist auch das Publikum selbst, das nach Informationen sucht, in der Verantwortung, zu erkennen: Es kann sein, dass diese Informationen nicht vollständig sind - oder sogar falsch.
Deswegen ist die Berichterstattung über Ereignisse wie in Köln, die natürlich auch auf den Christlichen Medienkongress abstrahlte, so schwierig. Denn man kann immer noch nicht sagen: Wir wissen alles, was da wirklich passiert ist. Dass sich nach #kölnhbf beispielsweise die Zahl der Täter in manchen Köpfen als "mehr als Tausend" festgelegt hat, ist ein solches Beispiel. So sehr, dass einer der Fragesteller aus dem Publikum auf dem Kongress von "zweitausend" Tätern sprach und sich darüber echauffierte, dass die Medien diese Wahrheit doch angeblich verschweigen würden.
Das wird zusätzlich dadurch erschwert, dass es sehr unterschiedliche journalistische und unjournalistische Herangehensweisen an Berichterstattung gibt. Wie verlässlich und sorgfältig eine Quelle ist, lässt sich auch für geübte Leser nicht immer erkennen, gerade dann, wenn sie sich nicht an journalistischer Berufsethik ausrichtet oder – noch schlimmer – nur so tun als ob. So etwas bekommt man am besten mit, wenn man diese Quellen länger verfolgt und einordnen kann, was sie berichtet. Bei Ereignissen, die die Medienmaschine so sehr überhitzen wie #kölnhbf fällt das ab und zu auch bei den Mediennutzern hinten runter.
Auf dem Kongress erhielt ich ein Lob von zwei Kollegen mit freikirchlichem Hintergrund für die "faire Berichterstattung" in unserer Freikirchenserie auf evangelisch.de. Ich habe zurückgefragt: Woher kommt denn die Grundannahme, wir würden keine "faire Berichterstattung" machen? Weil wir auf der "anderen Seite" stehen? Das tun wir vielleicht, aber das enthebt uns doch nicht und nie der Verantwortung, in unseren Recherchen und den entstehenden Inhalten und im Umgang mit den Menschen, die uns dabei begegnen, wahrhaftig zu bleiben. Selbst wenn wir eine klare Haltung haben. Da treffen sich die 10 Gebote und der Journalismus: Du sollst nicht lügen. Auch wenn es keine abschließende Wahrheit gibt.
Zum Thema "Wahrheit und Medien" sprachen übrigens auch Ulrich Parzany und GEP-Geschäftsführer Jörg Bollmann auf dem Abschluss-Podium am Samstag. Den Vortrag von Jörg Bollmann finden Sie hier, den Vortrag von Ulrich Parzany hier auf evangelisch.de.
Bis dahin wünsche ich euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!
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Ich werfe immer am Samstag an dieser Stelle einen Blick auf die vergangene Woche und beantworte außerdem Ihre Fragen zu evangelisch.de, so gut ich kann. Ich wünsche euch und Ihnen einen gesegneten Start ins Wochenende!