Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,
unsere Userin Maike hat mich unter meinem Blogeintrag von vergangener Woche nach meinem Verständnis der Rolle von Journalisten gefragt. Ich habe ihr bereits konkret geantwortet, aber die Frage ist es wert, auch hier noch einmal allgemeiner diskutiert zu werden. Denn die Rolle von Journalisten hat sich in der Tat durch das Internet fundamental verändert.
Das Stichwort, um diesen Wandel zu verstehen, ist "Gatekeeper". Gatekeeper-Forschung gibt es im Journalismus seit den 1950ern. Das Prinzip dahinter ist, dass Journalisten die Kontrollstellen dafür sind, welche Informationen veröffentlicht werden. Als David White 1949 die erste Gatekeeper-Studie durchführte, waren die Rahmenbedingungen genau so: Zeitungsjournalisten bekamen die Meldungen von Nachrichtenagenturen (und von ihren eigenen Reportern) auf den Tisch, trafen eine Auswahl und veröffentlichen diese dann. Die Gatekeeper-Forschung sucht nach den Kriterien für diese Auswahl (siehe auch Nachrichtenwert).
Nun ist es aber so, dass diese Gatekeeper-Rolle nur dann wirklich relevant ist, wenn sie wirklich den Flaschenhals kontrolliert, über den Informationen und Inhalte den Nutzer erreichen. Das kann in Zeiten des Internets kein Journalist mehr für sich beanspruchen. Denn im Netz kann - prinzipiell und in den meisten Fällen auch tatsächlich - jede Information von jedem gefunden werden. Journalisten haben schon lange kein Monopol auf den Vertriebsweg von Informationen mehr.
Was sie aber nach wie vor von anderen publizierenden Menschen unterscheidet, ist eine Berufsethik, die regelt, wie diese Informationen zustande kommen und wie sie veröffentlicht werden. Manche Massenmedien ignorieren diese Ethik zuhauf, siehe jüngst die Bild-"Zeitung" und das Facebook-Prügelvideo (hier im Bidblog nachzulesen) oder ganz generell heftig.co. Journalistische Verlagsmedien (zu denen die Bild nicht notwendigerweise gehört, heftig.co erklärtermaßen gar nicht) haben also den Anspruch und die Fähigkeit, einen Qualitätsstandard zu liefern, der in Sachen Wahrhaftigkeit und sachlicher Richtigkeit bei online schreibenden, podcastenden oder youtubenden Privatpersonen seltener zu finden ist.
Trotzdem stehen alle diese unterschiedlich wertigen Informationen gleichberechtigt auffindbar im Netz (und bleiben es hoffentlich auch, siehe Netzneutralität). Journalisten haben also keine Kontrolle mehr über den Nachrichtenstrom, weil eine stark verteilte und vernetzte Informationsstruktur diese Idee abgelöst hat. Die Jedermann-Zugänglichkeit des Publikationskanals "online" erfordert also ein anderes Selbstverständnis. Denn wenn Journalisten eine Information in ihrem Medium nicht veröffentlichen, macht es eben jemand anders. Aus den wenigen "Gates" sind viele offene Schleusen geworden.
Kuratieren geht nicht ohne inhaltliches Profil
Was den Zugang zu Publikum angeht, sind die Algorithmen von Facebook und Google (im Moment wenigstens) die Gatekeeper unserer Zeit. Für den Menschen bleibt dabei eine andere Aufgabe übrig: Kurator. Kuratieren ist vergleichbar mit dem Gatekeepen: Es ist die Auswahl von wenigen Inhalten aus einer großen Menge auf der Basis bestimmter Kriterien, impliziter und expliziter. Der Unterschied ist: Als Gatekeeper erzeugten Journalisten allein dadurch einen Mehrwert für Nutzer, dass sie überhaupt Informationen veröffentlichten, und beriefen sich dafür auch gerne auf weitgehend "neutrale" Selektionsfaktoren. Die haben dann gerechtfertig, dass es andere Inhalte gar nicht gab als die, die Gatekeeper für veröffentlichungswürdig hielten. Das ist beim Kuratieren anders: Die Informationen, die nicht selektiert werden, sind (größtenteils) für die Nutzer trotzdem verfügar. Nur eben nicht so einfach auffindbar und nicht in der gleichen Weise zusammengestellt.
Gatekeeping durch Menschenhand gibt es natürlich trotzdem noch - nämlich dort, wo Inhalte direkt entstehen. Eine Geschichte, die niemand erzählt, ist auch vom besten Algorithmus nicht auffindbar. Deswegen müssen Journalisten in den Redaktionen in dieser Welt, die ohne Internet nicht mehr funktionieren würde, diese Geschichten finden und sie präsentieren, um nicht zu sein wie alle anderen.
Außerdem müssen sie dafür aus dem ganzen riesigen Rest der möglichen Inhalte die Auswahl präsentieren, die ihren eigenen Vorstellungen, der Linie ihres Mediums, den Ansprüchen der Herausgeber, der Geldgeber und der persönlichen und professionellen Ethik und den Ansprüchen der Nutzer am ehesten entgegenkommt. Dieses Kuratieren wird dadurch nicht leichter, dass Nutzer viel schneller weg sind als früher, wenn ihnen der Mix anderswo eher zusagt. Ein Zeitungsabonnement wechselt man nicht einfach so, den YouTube-Kanal allerdings schon.
Aus den Gatekeepern sind Kuratoren geworden. Zu den professionellen Kriterien sind inhaltliche dazu gekommen. Als Gatekeeper musste man sich nicht profilieren, um die eigene Inhaltsauswahl in die Öffentlichkeit zu bringen. Als Kurator ist das unerlässlich, denn ohne Profil geht man in der Masse der Informationen oder spätestens im Facebook-Algorithmus unter.
Ein bisschen abstrakt, daher zum Abschluss noch etwas Konkreteres:
Wann entwickeln wir die Kommentarfunktion weiter?
Ich habe in den Kommentaren zum vergangenen Blogpost bereits angekündigt, dass wir die Anregung von Martinus aufnehmen, die Kommentarregeln für evangelisch.de auszuformulieren und an der Kommentarfunktion direkt bereitzustellen. Ein festes Datum dafür habe ich noch nicht, aber ich möchte das vor meinem Jahresurlaub erledigt haben - der beginnt am 12. September. Hoffentlich geht's schneller, aber wir planen auch noch weitere Ergänzungen der Kommentarfunktion. Dazu nächste Woche hier an dieser Stelle mehr.
Bis dahin wünsche ich Euch und Ihnen ein gutes Wochenende!
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Ich werde immer am Samstag an dieser Stelle ihre Fragen beantworten, so gut ich kann, und wünsche euch und Ihnen einen gesegneten Start ins Wochenende!