Livestreams vom Terror
Auch der Terrorist von Halle hat seinen Angriff auf die Synagoge live gestreamt. Es sind die neuen Bekennerschreiben - und wirksam verhindern lassen sie sich nicht.

Was ist Terrorismus? Die Diskussion über die Definition füllt ganze Bücher. Den gängigen Versuchen ist aber gemein, dass es Merkmale gibt, die immer dazugehören: Gewalt von nicht-staatlichen Akteuren, auch nur angedroht, ein vorher gefasster Plan und das Ziel, eine politische Veränderung zu erzwingen. Dazu gehört die Überzeugung, dass diese Veränderung nur noch mit Gewalt zu erreichen ist, und das öffentliche Bekenntnis zur Tat.

"Durch die Publizität, die sie mit ihren Gewaltakten erzeugen, versuchen Terroristen die Druckmittel, den Einfluss und die Macht zu erlangen, über die sie ansonsten nicht verfügen würden", definiert Bruce Hoffmann in seinem Standardwerk "Terrorismus" (Neuausgabe 2006).

Auch das ist in unserer vernetzten Welt einfacher geworden. Statt eines Bekennerschreibens, das an Parlamente, Regierungen und Medien verschickt wird und die Terroristen hoffen müssen, dass ihre Botschaft dort ankommt und verbreitet wird, können sich auch Gewalttäter direkt an ihr Publikum wenden. Das hat auch der antisemitische Angreifer von Halle versucht und seinen Angriff live ins Netz gestreamt.

Das "Alarmzeichen", wie Annegret Kramp-Karrenbauer den Angriff von Halle absurderweise genannt hat, ist nicht der Anschlag selbst. Ein "Alarmzeichen" (von vielen) ist vielmehr die Tatsache, dass die Rechtsterroristen überzeugt sind, dass ihre antisemitischen und rassistischen Forderungen auf einen fruchtbaren Nährboden fallen. In den Manifesten, die sie parallel zu ihren Morden hochladen, wird das deutlich.

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Die Livestreams sind die modernen Bekennerschreiben. Aber lassen sie sich verhindern? Nicht grundsätzlich, ohne die Fähigkeit zum mobilen Livestream grundsätzlich zu stoppen. Trotzdem müssen alle Livestreaming-Plattformen eine Strategie haben, solche Streams direkt zu kappen. Twitch, YouTube, Facebook, Twitter und Instagram haben alle integrierte Livestream-Funktionen, sie alle müssen damit rechnen, dass Terroristen dort versuchen, ihre Taten direkt zu verbreiten. Im Fall von Halle hatte der Angreifer fünf Live-Zuschauer und 2.200 Zuschauer im Anschluss, bevor Twitch das Video nach eigenen Angaben etwa eine Stunde nach Beginn des Streams abschaltete.

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Daneben gibt es auch eine nichtöffentliche oder halböffentliche Verbreitung in Facebook- oder Whatsapp-Gruppen, auf Discord-Servern oder Telegram, wenn so ein Video oder das zugehörige Manifest erstmal in der Welt sind. Eine Medienwelt ohne Gatekeeper macht es eben auch leichter, Teilöffentlichkeiten zu finden, in denen Gewalt, Antisemitismus, Rassismus und Faschismus nicht geächtet sind. Verschwörungstheorien über den angeblichen "deep state" machen die Runde bei Zehntausenden, ohne dass sie Teil der Gesamtöffentlichkeit sind. Eines der erschreckendsten Beispiele für solche Untergrundnetzwerke hat die die taz-Recherche zu rechtsextremen Netzwerken bei der Bundeswehr aufgedeckt, Stichwort Franco A., "Kommando Heimatschutz", "Hannibal".

Die Vernetzung der Welt lässt sich aber nicht zurückdrehen. Wer sich kommunikativ organisieren will, kann daran nicht gehindert werden, auch von dieser Freiheit lebt eine Demokratie. Aber nicht jede Plattform muss jeden Inhalt zulassen. Außerdem geht es nicht nur um Moderationsrichtlinien. Es geht auch darum, dass alle Behörden klar gegen Rechtsterrorismus vorgehen und Faschisten und Rechtsextreme keinen Platz im Staatsdienst haben. Und darum, dass jeder Mensch sich klar dazu positioniert, dass deutscher Boden kein fruchtbarer Grund für die Saat des Faschismus mehr sein darf. Die angeblichen Einzeltäter sind vielleicht einsam, aber leider eben doch nicht allein, wenn man sich in bestimmten Ecken des Netzes oder inzwischen leider auch in Parlamenten umschaut. Sie müssen persönlich erleben, was sie gewinnen, wenn sie Liebe über Hass stellen – und gleichzeitig, dass Einstellungen von toxischer Männlichkeit bis zur Terrorbereitschaft nicht zu einem demokratischen Deutschland gehören.

Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!


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Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!