Nazis raus - jetzt auch auf YouTube
"Nazis raus" sollte auch die nächsten 75 Jahre nach dem D-Day gesellschaftlicher Konsens bleiben. Das sieht YouTube jetzt offenbar auch so.

Die Social-Media-Schlagzeilen der Woche kommen von YouTube. Die weltgrößte Webvideo-Plattform hat sich (endlich) entschieden, Neonazis und "supremacists" von YouTube zu verbannen. Konkret verbietet YouTube alle Videos, in denen behauptet wird, dass eine gesellschaftliche Gruppe einer anderen Gruppe überlegen sei und damit Diskriminierung oder Segregation begründet wird. Explizit dabei aufgeführt sind "videos that promote or glorify Nazi ideology". Außerdem will YouTube alle Videos entfernen, die gut dokumentierte Ereignisse wie den Holocaust leugnen. (Hier der Link zur Ankündigung von YouTube. Wie konsequent sie das umsetzen, bleibt noch abzuwarten.)

Weniger Schwierigkeiten hat YouTube allerdings mit Videos, in denen ein schwuler Autor regelmäßig beleidigt wird. Steven Crowder hat 3,8 Millionen Abonnenten auf der Plattform und nennt sich selbst "The NUMBER ONE conservative late nicht comedy show". Carlos Maza ist Autor und Host bei Vox Media und produziert die Show "Strikethrough" für Vox (6 Millionen Abonnenten), die nach eigener Beschreibung "die Herausforderungen für Nachrichtenmedien in der Trump-Ära" thematisiert.

Maza hat auf Twitter dargestellt, wie Crowder ihn seit Jahren konstant als den "Schwuchtel-Latino von Vox" und ähnliches bezeichnet, bis dahin, dass Follower von Crowder Maza und seiner Familie bedrohliche Nachrichten schicken, weil seine Adresse veröffentlicht wurde - ein klassischer Fall von Doxxing.

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Nachdem The Verge das thematisierte, hat YouTube den Fall geprüft und auf Twitter geantwortet: Sie hätten zwar verletzende Aussagen gefunden, aber die Videos verstießen nicht gegen YouTubes Richtlinien. Allerdings hat YouTube den YouTube-Kanal von Crowder dann einen Tag später von der Monetarisierung ausgeschlossen. Denn tatsächlich verstößt persönliche Belästigung nicht prinzpiell gegen die Richtlinien von YouTube, aber gegen die Bedingungen für das Partner-Programm. Und nur darüber lassen sich Werbeanzeigen auf Youtube-Videos schalten.

Cowder nennt das nun "corporate censorship".

Ralf Schuler, Leiter des Parlamentsbüros der "Bild", äußerte sich auch zu Maza vs Crowder:

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Dass YouTube also entscheidet, hasserfüllte Inhalte auf der eigenen Plattform nicht mehr zuzulassen, stört den "Bild"-Journalisten demnach. Nun ist YouTube aber ebenso eine private Plattform wie beispielsweise die "Bild"-Zeitung und Zensur ein staatliches Mittel, das es in Deutschland laut Grundgesetzt nicht gibt. Auch die "Bild" ist nicht verpflichtet, jeden Artikel abzudrucken, der ihnen zugeschickt wird. Was CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer neulich so unbedacht forderte, nämlich eine unterschiedliche Behandlung von analogen Massenmedien und digitalen Massenmedien, äußert Ralf Schuler hier in etwas anderer Form: Demnach dürften nämlich Zeitungen weiterhin Tendenzbetriebe sein, soziale Netzwerke aber nicht. Dabei sind beides Massenmedien.

Schulers Tweet zeigt aber wieder auf, dass die Rolle der Social-Media-Plattformen schwammig ist. Facebook besteht ja konsequent darauf, keine Medienfirma zu sein. Denn dann müssten sie mehr Verantwortung übernehmen für das, was sie an Inhalten zulassen und verbreiten. YouTube tut das jetzt, indem sie die weitgehende Freiheit der Veröffentlichung um Nazi-Inhalte einschränken. Im Fall Crowder entscheidet sich YouTube, dessen Inhalte nicht mehr als Werbeplattform zu nutzen. Das darf YouTube ohne Probleme tun, denn die Videoplattform ist eine private Firma, die jedes Recht hat, Inhalte zuzulassen oder nicht.

Trotzdem ist YouTube ebenso wie Facebook aber ein wesentlicher Teil der Informationsgesellschaft. Da ist es durchaus kritisch, wenn nur ganz bestimmte Inhalte zu sehen sein wären. Plattformen, die so groß sind, haben auch eine Verantwortung, gesellschaftliche Vielfalt und Diversität zu zeigen und zu fördern.

"Nazis raus" sollte Konsens bleiben

Dazu gehört dann aber, dass sie die roten Linien des gesellschaftlichen Diskurses und des persönlichen Umgangs miteinander widerspiegeln. Das heißt dann eben, Nazis und Rassisten konsequent die Plattform zu verweigern. Es heißt auch, Leute kein Geld mit persönlichen Angriffen verdienen zu lassen, die sich von einer argumentativen Auseinandersetzung wesentlich unterscheiden. Das wollen wir im alltäglichen Umgang miteinander ja auch nicht.

Meinungsfreiheit bedeutet schließlich immer noch nicht, alles unwidersprochen überall platzieren zu dürfen. Besonders nicht menschenfeindliche, diskriminierende und suprematistische Inhalte, die in unserer westlichen Demokratie nicht akzeptabel sind.

Nazi-Autoren müssen ja auch erstmal einen Nazi-Verlag finden, der ihre Bücher druckt. Wenn YouTube jetzt kein solcher Ort mehr sein will, ist das eine positive Entwicklung. Ja, auch eine große Social-Media-Plattform kann zu weit gehen im Einschränken von Inhalten. An der Schwelle sind wir jetzt aber noch lange nicht angekommen. "Nazis raus" sollte jedenfalls auch die nächsten 75 Jahre nach dem D-Day gesellschaftlicher Konsens bleiben.

Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!

Update 8. Juni.: Wie der Guardian berichtet, löscht YouTube offenbar auch historisches dokumentarisches Material über den Nationalsozialismus. Der Algorithmus kann offenbar nicht zwischen Videos über Nazis und Videos von Nazis unterscheiden. So waren die neuen Richtlinien wohl nicht gedacht. Es zeigt einmal mehr, dass das Erkennen von Kontext eine zutiefst menschliche und noch nicht automatisierbare Funktion ist: Nicht jedes Video mit Hitler glorifiziert automatisch Nazis. Geschichte muss schließlich sichtbar bleiben, damit wir dafür sorgen können, dass sie sich nicht wiederholt.


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!