Die Pflicht zur Wahrheit
Auf Facebook darf man jetzt auch ganz offiziell lügen, jedenfalls wenn es nach Facebook geht. Und was ist eigentlich ein "YouTuber" genau?

Was ist eigentlich ein YouTuber? Rezo ist einer, das haben in den vergangenen 14 Tagen seit der "Zerstörung der CDU" sicher alle mitbekommen.

Aber sonst so? YouTube kann alles sein. Dort machen Menschen Videos zur Unterhaltung oder Unterrichtung, über Verschwörungstheorien, Beauty-Produkte, Videospiele oder mittelalterliche Schwerter. Musikvideos sind ein Riesending, außerdem Sporthighlights und praktische DIY-Tipps. Es gibt journalistische Redaktionen, die ihre Inhalte dort verbreiten, ebenso wie Einzelpersonen, die ihre persönliche Überzeugung dort in die Welt setzen. Manche verdienen damit Geld, die meisten nicht.

"YouTuber" sagt nichts darüber aus, was für Inhalte jemand mit welchem Anspruch jemand produziert. Um einzuschätzen, wie akkurat ein Video auf YouTube über beispielsweise politische Vorgänge ist, muss man entweder den Absender bereits kennen oder tatsächlich in die Quellen einsteigen - wenn denn welche angegeben sind. (Rezo war da übrigens vorbildlich.)

YouTube (und Tik Tok und Twitch und Snapchat) sind zutiefst personalisierte Medien, in denen sich Sender und Empfänger auf Augenhöhe begegnen können. Natürlich gibt es Redaktionen, die für diese Plattformen erfolgreich Inhalte erstellen. Sie sind aber nicht die Kreativen, die für wiederkehrende Besuche sorgen. YouTube ist bei Menschen unter 20 mit Abstand das beliebteste Ziel im Internet (JIM-Studie 2018), und ein wesentlicher Grund dafür sind die Online-Promis, die in der analogen Medienlandschaft der Kramp-Karrenbauers dieser Welt keiner kennt. Ohne diese Menschen wären die Plattformen nicht ansatzweise so spannend. Ohne sie hätten Redaktionen gar keinen Grund, aus ihrer eigenen, geschlossenen, selbst vermarktbaren Inhaltswelt auszubrechen, denn sonst wären die jungen Zuschauer nicht dort.

Eine journalistische Redaktion ist ebenso wie eine politische Partei allerdings erstmal ein gesichtsloses Wesen. Sie müssen sich darauf einlassen, dass auf YouTube die Person hinter den Inhalten eine ganz andere Rolle spielt als auf der Webseite einer Medienmarke. Martin Fehrensen hat das deutlich ausführlicher betrachtet - zum Weiterlesen sei sein Text in der taz empfohlen.

Facebook sieht keine Verpflichtung zur Wahrheit

Dass Plattformen und Redaktionen unter grundverschiedenen Regeln arbeiten, zeigt sich auch an der jüngsten Facebook-Kontroverse. Es machte in den vergangenen Tagen ein Video von Nancy Pelosi die Runde, Vorsitzende der US-Demokraten im Abgeordnetenhaus. Das Video war manipuliert, um Pelosi bei einer Podiumsdiskussion als betrunken darzustellen, und auch das bekommt in Summe Millionen von Aufrufen. Weder YouTube noch Facebook noch Twitter sind die Quelle für solche Manipulationen. Jemand muss sich die Mühe machen, absichtlich gefälschte Inhalte in Umlauf zu bringen - und ist definitiv kein Journalist, wenn er Informationen auf diese Weise verfälscht oder sich einfach welche ausdenkt.

Auf den Plattformen aber zu unterscheiden, wer lügt und wer nicht, ist für Nutzer*innen nicht einfach. Anders als den Auftritten echter journalistischer Marken gibt es keinen Anlass, YouTube-Videos grundsätzlich zu vertrauen. Rezo übrigens weiß das, weshalb er seinen Quellenapparat für die "Zerstörung der CDU" komplett zur Verfügung gestellt hatte. Und die zahlreichen Faktenchecks geben ihm weitestgehend recht.

Die Plattformen wollen sich die Frage nach Wahrheit nach wie vor nicht ans Bein binden, auch wenn die Antwort in prominenten Fällen wie dem Pelosi-Video eindeutig ist. Die Washington Post hat dazu ein Statement von Facebook bekommen, das diese Haltung sehr deutlich macht. Facebook sagt öffentlich: "Wir haben keine Regel, die einfordert, dass auf Facebook gepostete Informationen wahr sein müssen." ("We don’t have a policy that stipulates that the information you post on Facebook must be true.") Statt das Pelosi-Video zu löschen, werde es nur weniger oft in Facebooks Newsfeed auftauchen und außerdem die Information bekommen, dass es dazu "additional reporting" gibt, eine zusätzliche Recherche außerhalb von Facebook.

Journalisten und Medienunternehmen haben diese Verpflichtung "to post the truth" von Haus aus aber doch. Welche Regeln gelten dann für "YouTuber"? Wenn sie Journalisten sind, dann gelten ihre Berufsregeln. Wenn sie welche sein wollen, dann auch. Ansonsten gelten immer die gleichen Regeln wie für alle anderen Menschen auch, egal ob Papier oder Pixel: Sie haben das garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) und sollten dabei nicht lügen (8. Gebot). Auf welcher Plattform sie das tun, ist völlig irrelevant. Es gibt da keinen Unterschied zwischen Internet, Fernsehen und Print.

Wie problematisch es ist, dass führende Politiker da leider immer noch einen Unterschied machen, hat Thomas Knüwer mit der besten Übersicht über Rezo, AKKs #annegate gegen die Meinungsfreiheit und das Grundproblem der Unterschätzung des digitalen Raumes aufgeschrieben. Was @tknuewer da schreibt, gilt übrigens auch immer noch für Kirchen mit Blick auf das Leben in digitalen Welten: "Man kann solch ein Denken nicht einfach mit dem Schalter umlegen. Es ist ein zu langer Prozess, der vor zu langer Zeit hätte eingeleitet werden müssen." Da können wir von YouTubern noch was lernen, egal ob sie Beauty machen oder Klimapolitik.

Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!