YouTube, die größte Videoplattform des Planeten, will zukünftig weniger Verschwörungstheorien empfehlen. Im offiziellen Blogeintrag dazu schreibt YouTube, Nutzer*innen hätten sich beklagt, zu viele ähnliche Empfehlungen zu bekommen. Deshalb will die Plattform mehr unterschiedliche Themen in die empfohlenen Videos aufnehmen.
Und außerdem möchte YouTube weniger Inhalte weiterverbreiten, die gerade so am Rand ihrer Upload-Regeln (bei YouTube sind das die "Community Guidelines") vorbeischrammen. Das sind dann Videos, die "grenzwertige Inhalte" enthalten und "Inhalte, die Nutzer*innen schaden könnten". Als konkrete Beispiele nennt YouTube Videos, die irgendwelche Wunderheilungen versprechen, die Erde für flach halten oder nicht existierende Verschwörungen hinter 9/11 aufdecken wollen. Diese Videos werden zwar weiter auf YouTube zu sehen sein, sollen aber nicht mehr als Empfehlung für "nächstes Video" angezeigt werden. So will YouTube der Balance zwischen Meinungsfreiheit und ihrer Verantwortung gegenüber Nutzern gerecht werden.
Interessanterweise ist auch Facebook auf einem ähnlichen Kurs. Der "Guardian" berichtet über eine wachsende Zahl von Anfragen an Facebook, gegen Anti-Impf-Bewegungen vorzugehen. Unter anderem mit dem Argument, dass Pharmafirmen selbst verboten ist, über die Nebenwirkungen ihrer Medikamente zu lügen. Das solle auch für die Verbreitung von gesundheitsschädlichen Falschinformationen auf Facebook gelten, auch in geschlossenen Gruppen – dazu gehört unter anderem die Mär, Impfungen seien schädlich.
Masern: Vermeidbar, auch auf Facebook
2018 ist die Zahl der gemeldeten Masern-Fälle in Europa auf das Dreifache des Vorjahres gestiegen, laut Weltgesundheitsorganisation vor allem in der Ukraine. Und auch weltweit meldete die WHO eine Verdoppelung der Masern-Fälle. Masern sind durch Impfungen komplett vermeidbar. Vor allem in den USA gibt es aber eine zunehmende Aversion gegen die Immunisierung. Das "Center for Disease Control" (CDC) meldet viermal so viele ungeimpfte Kinder unter zwei Jahren wie noch 2001.
Facebook hat tatsächlich reagiert. Anti-Impf-Inhalte fallen unter Faktencheck-Vorbehalt und werde hauptsächlich in geschlossenen Gruppen diskutiert, steht in dem von Sarah Frier verbreiteten Facebook-Statement. Facebook wolle dafür sorgen, dass entsprechende Gruppen nicht mehr zum Beitritt empfohlen werden und Anti-Impf-Inhalte in den Suchergebnissen schlechter platziert wird, und stattdessen qualitativ hochwertigere und verlässliche Informationen angezeigt werden. Auch Facebook spricht von einer "herausfordernden Balance" zwischen Meinungsfreiheit und der Sicherheit der Menschen auf der Plattform.
Weder YouTube noch Facebook gehen so weit, die sachlich falschen Inhalte tatsächlich zu löschen. Aber, wie Journalismus-Professor Jay Rosen auf Twitter anmerkte, geben sie Schritt für Schritt zu, dass sie eben soch selbst redaktionelle Verantwortung tragen, auch wenn sie keine eigenen Inhalte produzieren.
Was ist eine "Conversion" für die Kirche?
Die Entwicklung zeigt aber auch, dass selbst für die größten Plattformen neben der Zahl der erreichten Personen auch die Qualität der Interaktion zunehmend eine Rolle spielt. Für die Überlegungen, welche KPIs eigentlich die richtigen sind, ist das wichtig. Wenn eine Plattform oder ein Medium der eigenen gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden möchte, müssen die Verantwortlich auch berücksichtigen, welche Inhalte oder Produkte eigentlich auf den Markt gebracht werden und welche Folgen das hat.
"KPI" steht für "Key Performance Indicator" und meint die Schlüsselzahlen, die das eigene Handeln bestimmen sollen und worauf hin digitale Plattformen und Inhalte optimiert werden. Das können allgemeinde KPIs sein wie eine höhere Gesamtreichweite oder niederschwellige Indikatoren wie das Abonnieren eines Newsletters oder Facebook-Likes. KPIs können auch qualitativ sein, so lange man sich einigt, wie sie denn definiert und gemessen werden können. (Wer sich fragt, welche unterschiedlichen KPIs gängig sind, kann dafür z.B. den KPI-Finder vom Bundesverband Digitale Wirtschaft nutzen.)
In Läden (online und offline) ist die wertvollste KPI in der Regel eine "Conversion", also die Umwandlung des Besucher-Interesses in einen Kauf. In der evangelischen Kirche haben zumindest die meisten Medienhäuser ihre eigenen KPI-Ziele. Aber gilt das auch für Gemeinden? Oder gar für die ganze Kirche? Wie würden wir eine "Conversion" definieren – Gottesdienstbesuch? Seelsorgegespräch? Taufe? Kirchensteuerzahler? (Die buchstäbliche "Konversion" von einem Glauben in einen anderen würde ich ganz unten auf die Liste schreiben.)
Das Ziel "Verbreitung des Evangeliums und Hilfe bei den Sorgen des Alltags" steht nicht infrage. Vor Ort ist die Aufgabe dann immer: Was hilft uns dabei, und wie messen wir das? Und dabei nicht vergessen, was YouTube und Facebook gerade entdecken: Wenn wir mit Unsinn viele Menschen erreichen, bringt uns das weder als Organisation noch als Gemeinschaft weiter.
Save your Internet und andere Termine
Eine ganz andere Form von Qualität nimmt gerade der Widerstand gegen die Beschlüsse des EU-Parlaments an, mit der Urheberrechtsreform und dem berüchtigten Artikel 13 weiter ins Gesetzgebungsverfahren zu gehen. Der Hashtag #NieMehrCDU, den große YouTuber (allen voran Gronhk) ins Leben gerufen haben, spülte sich auf Anhieb in die Trends. Denn gerade die deutschen CDU-Vertreter hängen offenbar an der weiterhin rückwärtsgerichteten Reform. Die YouTuber tragen ihren Protest jetzt auf die Straße; für den 23. März sind Demonstrationen geplant, um die abschließende Abstimmung im EU-Parlament doch noch gegen #Artikel13 zu drehen. Laut Piraten-Abgeordneter Julia Reda (@senficon), die den Prozess intensiv öffentlich begleitet, müssten 35 EU-Parlamentarier ihr Abstimmungsverhalten ändern. Das sind wenig genug, dass die aktuelle Protestwelle doch noch Erfolg haben könnte. Es bleibt spannend. Und wer am 23. März noch nichts anderes vorhat…
Wer vorher, am 14. & 15. März, auch noch nichts vorhat, ist herzlich eingeladen zur ökumenischen Tagung "Kirche im Web" mit Barcamp, dieses Mal im Franz-Hitze-Haus in Münster. Das Thema ist "Kirche als Marke", die Diskussion wird spannend!
Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!
Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.
P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!