Volker Jung, Kirchenpräsident der EKHN und Aufsichtsratsvorsitzender des GEP, hat ein neues Buch geschrieben: "Digital Mensch bleiben" heißt es. Es ist eine gute Zusammenfassung der aktuellen Diskussionsstränge, die sich um digitale Ethik ranken. Volker Jung nimmt dabei eine pragmatische Position gegenüber dem ganzen Thema Digitalisierung ein, um "Grenzen zu ziehen und auch Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen" (S. 44). Was tut Menschen gut, was schadet ihnen? Diese Messlatte empfiehlt der Kirchenpräsident für den Umgang mit der Digitalisierung.
Die ausgewogene Sichtweise zieht sich durch das ganze Buch. Gemeindebriefe auf Papier wird es noch eine Weile geben, aber Kirchenmitglieder "und alle anderen, die Kontakt suchen", müssten auch digital erreicht werden (S. 73). Beim autonomen Fahren, schreibt Jung, werde es Probleme geben, wenn autonome Fahrzeuge und menschliche Fahrer im Mischverkehr unterwegs sind. "Vermutlich werden aber auch da Menschen häufiger Unfälle verursachen" als die autonomen Fahrzeuge (S. 75). Jung sieht zugleich die Chance, "in Verbindung mit Car-Sharing-Konzepten und Elektromobilität den Verkehr ökologisch und strategisch umzugestalten."
Verkehr, Arbeit, Medizin, Künstliche Intelligenz: Immer wieder verweist Jung darauf, dass am Ende der Mensch entscheiden muss, wie welche Technik eingesetzt werden muss. Mit Bezug auf 1. Mose 2,7 macht der Theologe dabei deutlich, dass Technik menschengemacht ist, aber "menschliches Leben sich nicht nur materiell beschreiben lässt" (S. 100).
Am deutlichsten wird Jung in der Zurückweisung von Yuval Noah Hararis These aus "Homo Deus", dass der Mensch sich allmählich gottgleiche Fähigkeiten aneignet (z.B. ewiges Leben, Kontrolle des Wetters und der Umwelt, Gedanken lesen). Es ist eine theologische Auslegung, die Jung zu einer klaren Schlussfolgerung führt: Der Gedanke, Menschen könnten alle Probleme ihrer Welt technisch lösen, greift zu kurz. "Die Auflösung des Dilemmas liegt nicht darin, dass der Mensch sich selbst erlöst", schreibt Jung, sondern dass Menschen "auf Erlösung vertrauen, die ihnen von Gott her zukommt" (S. 36ff.)
Sehr klar ist Jung auch bei der Forderung, dass immer erkennbar bleiben müsse, wer ein Mensch und wer ein Roboter ist. Er möchte aber, so schreibt er, weder Euphoriker noch Apokalyptiker sein, wenn es um Digitalisierung geht. Nicht ablehnen, aber auch nicht unkritisch hineinstürzen. Bedenken kennen, aber sich davon nicht abschrecken lassen.
Das führt dazu, dass Jung sehr ausgeruht über ein heiß diskutiertes Thema schreibt. Sein letztes Kapitel heißt "Was jetzt zu tun ist". Die Kapitelüberschrift ist vielversprechender als das eigentliche Kapitel, aber aus der Ausgewogenheit lassen sich konkrete Vorschläge herauslesen: gute umfassende Bildung für alle - nicht nur Progammierung, aber auch; kein generelles Handyverbot an Schulen, sondern eine sinnvolle Einbindung der Geräte; Menschen müssen über die Verwendung ihrer Daten aktiv bestimmen können; im Netz und in der analogen Welt "für eine respektvolle Kommunikationskultur" eintreten; öffentlich-rechtliche Medien zusätzlich im Internet ermöglichen; und die repräsentative Demokratie durch verlässliche partizipative Prozesse ergänzen.
"Digital Mensch bleiben" scheint nach der Lektüre der rund 130 Seitem gar nicht schwer. Vielleicht auch deshalb, weil das "Mensch sein" bisher nur in Zukunftsvisionen des Transhumanismus und "Homo Deus" infrage gestellt wird. Alles andere, was die Digitalisierung derzeit mit der Gesellschaft macht, lässt sich mit den bisherigen Maßstäben des Menschseins bewältigen, so lange Technik dem Menschen dient und nicht umgekehrt. Als Theologe findet Jung immer wieder den Rückbezug zu biblischen Geschichten als Gegenentwurf zur absoluten Technik-Gläubigkeit des Silicon Valley. Mit seinem Buch gibt er die pragmatische Blaupause für die Gegenwart aus, ohne sich allzuweit in die Zukunft vorzulehnen.
Volker Jungs Buch "Digital Mensch bleiben" ist im Claudius-Verlag erschienen und für 14 Euro direkt beim Verlag oder im Buchhandel erhältlich (ISBN: ISBN 978-3-532-62826-3).
Vielen Dank für’s Lesen und Mitdenken!
Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.
P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!