"Positioning": Eine Ausleihe aus der Startup-Welt
Startups fragen sich ständig: Was machen wir eigentlich für wen warum? Dieses Framework kann man auch außerhalb von Startups als Denkanstoß nutzen.

Die Startup-Welt hat ihre eigene Sprache, wie die Kirche übrigens. "Angel Investors", "seed money", A-, B- und C-Serien: Es geht meistens ums Geld. Manchmal auch um Marketing und um Arbeitsweisen, seltenst ums Produkt. Ein Blickwinkel, den ich neulich gelernt habe, ist "Positioning" - die eigene Positionierung. Der Begriff ist nicht neu, die Idee dahinter auch nicht, aber für Startups scheint es das Zweiwichtigste nach dem Geld zu sein. "Positioning" meint nichts anderes als die Selbstdefinition, was man für wen warum anbietet. Es ähnelt einem Markenversprechen, einer Unternehmensphilosophie oder einer Zieldefinition. Arielle Jackson hat von ihrer Zeit bei Google diese Formel für "Positioning" mitgebracht:

For (target customer)
Who (statement of need or opportunity),
(Product name) is a (product category)
That (statement of key benefit).
Unlike (competing alternative)
(Product name)(statement of primary differentiation)

Auf deutsch, wegen unserer Grammatik etwas sperriger: Für [Zielkunde], der [das braucht oder Gelegenheit dazu bekommt], ist [Produkt] ein [Kategorie], der/die/das [Haupt-Nutzen] - anders als [Konkurrenzprodukt], dass [wesentlicher Unterschied].

Das kann zum Beispiel für evangelisch.de so aussehen, ausgehend von den Grundlagen unserer Arbeit: "Für ein hochverbundenes Kirchenmitglied, das journalistische Inhalte aus und über die evangelische Kirche sucht, ist evangelisch.de die beste Anlaufstelle im Internet - anders als katholisch.de, die nicht aus evangelischer Perspektive auf Ereignisse blicken."

Das Gute an so einem formularhaften Rahmen ist, dass man jede der Variablen verändern kann und damit das Produkt anders denken muss. Wenn wir in dem obigen Satz über evangelisch.de zum Beispiel die Zielgruppe ändern würden, muss sich auch die Mitbewerberbeobachtung ändern. Wenn wir nicht online wären, bräuchten wir einen anderen Vetriebsweg. In allen Fällen müssten wir auch das Produkt anpassen.

Kirche ist nicht nur "ein Produkt" - aber die Fragen sind ähnlich

Nun sind Startups aber in einer ganz besonderen Situation: Sie haben nur ein Produkt. Das gilt schon für evangelisch.de nicht; wir haben unsere tägliche journalistische Arbeit auf verschiedenen Kanälen (inklusive Social Media), aber auch Einzelprojekte wie den Taufbegleiter mit seinen Apps (Android, iOS), eigene Bereiche wie fragen.evangelisch.de oder Social-Media-Kampagnen, die wiederum alle eine eigene Positionierung haben.

Je weiter man den Blick in der Kirche schweifen lässt, umso unfokussierter wird die Positionierung, weil "Kirche" kein monolithischer Block ist (auch wenn sie von außen als ein einzelnes Gebilde wahrgenommen wird). Ein Werkzeug wie "Positioning" fordert dazu auf, konkreter zu werden als "Kirche ist dafür da, Menschen mit der Taufe die Erlösung zu bringen". Unter anderem deswegen gibt es ja die Vielzahl an Erscheinungsformen von Kirche, von Spezialgottesdiensten in Ortsgemeinden bis zu Fresh Xpressions wie Kirche hoch zwei. Inspirierend finde ich die Frage nach dem "Positioning" auch mit Blick auf die Diskussion über evangelikales, progressives und post-evangelikales Christentum, die unter anderem Rolf Krüger in seinem Blog gut aufgeschlüsselt hat.

Die Diskussion, die er beleuchtet, ist so alt wie die Kirche: Was bedeutet es, die Bibel ernst zu nehmen? Wenn man diese Variable in das Positioning einfügt als [Statement of need or opportunity], ändert sich natürlich das zugehörige Selbstverständnis und was man daraus konkret macht - sei es als Gemeinde oder mit Medienprodukten: "Für Gläubige, die die Bibel als Verbalinspiration verstehen" ist eine andere Positionierung als "Für Gläubige, die die Bibel als Hilfe für ihr Leben verstehen". Auch wenn man selbst kein einzelnes Produkt anbietet und nicht ein ganzes Startup auf eine solche Positionierung gründen möchte, hilft das Werkzeug zur Reflektion und Selbstvergewisserung: Wer sind wir, und warum tun wir, was wir tun? Für die ganze evangelische Kirche gibt es darauf keine einzelne Antwort. Alle Glieder der Kirche können und sollten sich diese Frage immer wieder selbst stellen. Es gibt viele Wege, wie das gelingt. Sich die Klarheit des "Positoning" aus der Startup-Welt auszuleihen, kann ein guter Anfang sein.


Vielen Dank für’s Lesen & Mitdenken!

Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!