Sind Lastwagen, die in Menschenmengen fahren, eigentlich ein Medienthema? Mit dieser, sich mir gerade das dritte Mal innerhalb eines Jahres morgens um kurz nach halb sieben stellenden Frage begrüße ich Sie zu einer neuen Ausgabe des Altpapiers, die wir nicht die letzte nennen wollen, denn wenn der Medienwandel der vergangenen 20 Jahre etwas gezeigt hat, dann die Robustheit von Papier.
Doch bei evangelisch.de erscheint das Altpapier bekanntermaßen heute zum letzten Mal, und das wollte ich nur kurz erwähnt haben, damit Sie sich heute noch mit der Kolumne bei Facebook oder Twitter vernetzen oder sich in unseren E-Mail-Verteiler eintragen können, um sofort Bescheid zu wissen, wann und wo es weitergeht, wenn es denn weitergeht. Denn das soll es, gerne auch in modernisierter Form, womit als Teil des zweiten Werbeblocks der Hinweis auf eine kurze Umfrage folgt, in der Sie hinterlassen können, was Sie sich vom Altpapier bei seiner Rückkehr wünschen. Denn auch wenn vorne Alt steht, kann doch Neues folgen, etwa verrückte Dinge wie das Einbinden von Fotos, Videos oder irgendwas mit Einhörnern, denn ohne die kann man sich im Internet des Jahres 2017 echt nicht blicken lassen.
Womit wir endlich zu den Medienthemen kommen können, die wir nicht selbst stellen, und der Beantwortung der oben angerissenen Frage sowie der medialen Beobachtung, dass Anschläge mit Lastwagen mittlerweile recht professionell gehandhabt werden, was bedeutet, dass alle, alle, wirklich alle mittlerweile das Zeit-Onlinesche WaWiWi anwenden, was nicht bedeutet, dass Andere derweil nicht Klicks schinden, indem Sie zur Abwechslung mal zusammentragen, wie das Netz weint statt lacht.
Doch wenn wir beim Altpapier eines wissen, dann dass es für eine ausführliche Analyse ein wenig Abstand und Zeit braucht. Normalerweise würde ich nun auf die Ausgabe am kommenden Montag verweisen. Aber vielleicht twittert ja alternativ jemand etwas Erhellendes. Wir übernehmen wieder, so schnell es geht.
[+++] Damit zum Alltagsgeschäft und einem unserer Evergreens: der Refinanzierung von Journalismus im Netz.
Das Oberlandesgericht München hat gestern die Berufung von Süddeutscher Zeitung, ProSiebenSat.1 und der RTL-Tochter IP Deutschland abgewiesen, die gegen den Adblocker-Anbieter Eyeo geklagt hatten, weil dieser ihr Geschäftsmodell untergrabe, und gleichzeitig bewiesen, dass Juristen und Journalisten unterschiedliche Vorstellungen von einer verständlichen Ausdrucksweise haben.
„Die von einer der Klägerinnen geltend gemachten urheberrechtlichen Ansprüche scheitern daran, dass die Verwendung von Werbeblockern durch die Nutzer nicht rechtswidrig ist. Denn indem die Klägerin den Nutzern den ungehinderten Zugang zu ihrem Internetauftritt bei Nutzung des Werbeblockers eröffnet lässt und lediglich die Bitte geäußert hat, auf die Verwendung von Werbeblockern zu verzichten, liegt aus der Sicht der Nutzer eine (schlichte) Einwilligung vor.“(Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)
Wer nicht möchte, dass Leute, die dank Werbeblock-Blocker keine Anzeigen sehen, auf der eigenen, werbefinanzierten Seite surfen, sollte halt technisch dafür sorgen, dass das nicht geht, und nicht nur freundlich bitten, es zu unterlassen, könnte man das übersetzen.
Zudem sah das Gericht auch kein Problem darin, dass sich Unternehmen gegen Geld auf Whitelists setzen und demnach auch Blocker-Nutzern Werbung anzeigen lassen können (Meldungen dazu u.a. bei Meedia und Spiegel Online).
Beendet ist der Kampf um das Sehen und Nicht-Sehen von Werbung damit aber noch nicht, wie Torsten Kleinz bei Heise Online erklärt:
„Im langjährigen juristischen Tauziehen steht es nun vier zu eins: Das Oberlandesgericht Hamburg hatte im Sinne von Eyeo entschieden, das Oberlandesgericht Köln zumindest teilweise für den Verlagskonzern Axel Springer. Die letzte Entscheidung ist es aber nicht: So haben alle Seiten erklärt, notfalls bis zum Bundesgerichtshof zu ziehen. Eine Verhandlung wird für kommendes Jahr erwartet, ein Termin steht jedoch noch nicht fest.“
[+++] Um noch kurz beim Aufeinandertreffen von alten Medien, neuen Mediengewohnheiten und Erlösstrategien zu bleiben: In ihrer Spiegel-Daily-Kolumne deckt Ulrike Simon eine ganz unglaubliche Praxis der Werbeindustrie auf. Schnallen Sie sich besser an, vor allem, wenn Sie in den vergangenen sagen wir doch Jahrzehnten ein Blog oder sonst ein inhaltsgetriebenes Angebot im Internet unterhalten haben.
Doch nun: Simon:
„Der Verleger und Chefredakteur des Monatsmagazins ,Cicero’ kennt die Begehrlichkeiten einer Branche, mit deren Einnahmen auch die Moral sinkt, er ist ja nicht naiv. Aber so einen Fall hat er noch nicht erlebt. ,Das ist eine völlig neue Dimension’, sagt [Christoph] Schwennicke und beginnt zu erzählen.
Eine Agentur aus Trier meldete sich neulich bei seinem Verlag. Ihr Name: seo2b. SEO steht für Search Engine Optimazation, also Suchmaschinenoptimierung.
Die Agentur bot an, Texte für die Webseite von ,Cicero’ zu liefern: ,Diese werden nicht gekennzeichnet und als normaler redaktioneller Content behandelt.’“
Holy shit! 250 Euro sollte es pro Beitrag geben, und Sie werden nicht glauben, was diese enthalten und bewirken sollten, nämlich Links bzw. eine verbesserte Auffindbarkeit der Verlinkten bei Google. Das ist wirklich eine völlig neue Dimension - oder, um die Einordnung ausnahmsweise mal Thommy Knüwer zu überlassen:
###extern|twitter|tknuewer/status/898261644199047169###
Der mediale Graben ist weit und wird nicht kleiner, und wer sich - seltsame Überleitungen: check! - darüber hinaus dafür interessiert, ob sich die neue Paywall auf Zeit.de rechnet, kann sich die das thematisierende aktuelle Printausgabe des Fachmagazins DNV - Der Neue Vertrieb online hier bestellen.
[+++] Und nun? Nun drängt sich so langsam der Eindruck auf, dass die heutige Kolumne auch „Wetten, dass..?“ und die darin vertretenden Themen Joe Cocker sein könnten, die, wenn sie schon mal da sind, auch ein Medley der vergangenen Hits präsentieren müssen.
Ganz recht, nun geht es auch noch um Facebook und Filterblasen, mit deren Existenz auch wir uns immer wieder beschäftigt haben, nur um jetzt festzustellen: So schlimm ist es gar nicht. Ist zumindest der Schluss, zu dem die gestern vorgestellte Studie „Ganz meine Meinung? Informationsintermediäre und Meinungsbildung“ der Landesanstalt für Medien NRW mit der Johannes Gutenberg-Universität aus Mainz kommt.
„Die Bedeutung sogenannter Intermediäre wie Facebook für die Meinungsbildung (Stichworte: Echokammern, Filterblasen) wird überschätzt“,
lautet die Zuspitzung in der Pressemitteilung der LfM. Das Gesamtwerk in seiner 255-seitigen Schönheit ist hier abzurufen und wurde, hoch lebe die Transparenz, jetzt noch nicht komplett durchgearbeitet. Ein Blick ins Fazit (ab Seite 179) offenbart aber schon weitere, schöne Erkenntnisse wie „Insgesamt wird deutlich, dass politisches Engagement ein vergleichsweise unwichtiges Nutzungsmotiv ist“ oder „knapp die Hälfte der Befragten hat höchstens 100 Facebook-Freunde“ oder auch
„Facebook ist zweifelsohne zu einem wichtigen Faktor für die Meinungsbildung geworden. Allerdings ist Facebook in aller Regel lediglich eine Zusatzquelle, und nicht die alleinige Informationsquelle für politische Themen. (…) Damit sind die Voraussetzungen für Filterblasen mit Blick auf die Informationsrepertoires bislang nicht gegeben.“
Puh. Nochmal Glück gehabt. War die große Sorge vor Fiterblasen wohl selbst eine.
[+++] Wir hatten „You Can Leave Your Hat On“, wir hatten „Up Where We Belong“, folgt nun einer der größten aktuellen Hits: die Pressefreiheit in der Türkei, heute mit Silke Burmester bei @mediasres und der Frage, warum Deniz Yücel das Gesicht der 160 eingesperrten Kollegen ist, und nicht etwa Mesale Tolu.
„Eine Revolution braucht ein Symbol, braucht ein Gesicht. Ebenso wie der Widerstand und der Kampf für Gerechtigkeit. Es ist ein Glück für die linke Freiheitsbewegung, dass Che Guevara nicht nur ganz gut aussah, sondern auch, dass es dieses ultracoole Foto von ihm gab. Hätte er ausgesehen wie Martin Schulz, würde sein Bild heute wohl kaum noch auf T-Shirts gedruckt.
Auch von Deniz Yücel gibt es ein solches Foto, auf dem er wie der sehr coole Hund aussieht, der er ist. Schnurrbart, Kippe, Sonnenbrille. Ein Foto, das sehr schnell zum Symbol für den Kampf gegen das Unrechtssystem Türkei wurde.“
Der Hinweis auf die Kippe zeigt: sie meint dieses hier. Für mich ist es aber ehrlich gesagt dieses:
###extern|twitter|victor5679/status/898238988510781440###
[+++] Wo bleibt das Positive? Gute Frage. Was Lustiges hätten wir zumindest, bzw. die Medienkorrespondenz, bzw. RTL II, wo Werbesendungsbewusstsein eines Seo2b auf Sprachfertigkeit einer Gerichtspressestelle trifft. Doch lesen Sie selbst:
„Der RTL II-Vermarkter El Cartel Media und die Marke Grana Padano arbeiten seit 2011 erfolgreich zusammen. Immer wieder wird der Hartkäse in Form von Produktintegration im Format ,Die Kochprofis – Einsatz am Herd’ inszeniert. Sternekoch und Kochprofi Frank Oehler kreiert in Promo-Stories innovative Gerichte und agiert außerhalb des Formats als Testimonial für Grana Padano. Jetzt starten das Käsekonsortium und RTL II eine Word-of-Mouth-Kampagne, die mit einem Product Placement erweitert wird.“
So kann man doch guten Gewissens, zumindest vorerst, enden.
+++ „Wer hat im Internet die Macht, Inhalte zu blockieren – und wer sollte es unter welchen Umständen tun?“ Patrick Beuth exerziert das am Beispiel der US-amerikanischen Neonazi-Seite Daily Stormer für Zeit Online durch, der derzeit die Server gesperrt werden. Die Hintergründe in englischer Sprache hat die Washington Post. +++
+++ Nach dem Youtube-Termin Angela Merkels, den wir so gut es ging zu ignorieren versuchten, aber gestern im Korb dann doch erwähnten, hat Markus Reuter bei Netzpolitik.org noch ein paar Fragen: „Warum organisiert mit dem Bundeskanzleramt eine Regierungsstelle einen weithin als Wahlkampfauftritt rezipierten Termin? Wo bleibt hier die Trennung von Staat und Partei? Wird Google demnächst auch den Spitzenkandidaten der anderen Parteien auf seiner Startseite Links zu Wahlkampfterminen einräumen? Oder bleibt dieses Wahlkampfgeschenk des Suchmaschinenmonopolisten nur der Kanzlerin vorbehalten?“ Über den Youtuber-Ausflug in den Wahlkampf sprechen auch Christian Meier und Stefan Winterbauer in ihrem neuen Medien-Podcast bei Springers Welt. +++
+++ Das Berliner Abgeordnetenhaus hat Radio Bremen die Genehmigung für einen Dreh mit einem Politiker der Piratenpartei verweigert, die dort seit der letzten Wahl nicht mehr vertreten ist, jetzt aber die Pressefreiheit in Gefahr sieht. Es berichten DWDL sowie die Piraten selbst. +++
+++ „Seine Zähne sind jetzt sehr stumm geworden, aber früher konnte ich mich mit dem Uli Hoeneß am besten streiten“ und weitere schöne, schiefe und kaum werbliche („Ich freue mich wie ein kleines Kind auf Sky und meine Experten-Rolle“) Zitate hat Alexander Krei für DWDL Reiner Calmund entlockt, der mit der heute beginnenden Bundesliga-Saison jeden Samstag für acht Stunden als Experte im Sky-Studio Platz nimmt. +++
+++ Der Fußball, und wo man ihn nun für wie viel Geld schauen kann, ist auch Florian Kölschs Thema auf der FAZ-Medienseite (0,45 € bei Blendle), wo zudem (ebenfalls bei Blendle) Andreas Rossmann die WDR-Doku-Serie „Mein Verein“ bespricht, mit dem der Sender die Clubs des Reviers portraitiert bzw. in bestem Lichte präsentiert. +++
+++ Eine weitere neue Saison, die am Wochenende beginnt, ist die der öffentlich-rechtlichen Talkshows. Auf der SZ-Medienseite hat Claudia Tieschky dazu ARD-Chefredakteur Rainald Becker interviewt, der u.a. die Omnipräsenz von Wolle Bosbach und Haul (warum hat sich diese Abkürzung bislang eigentlich nicht etabliert? Ich frage für Hajo und Franjo) Jörges erklärt mit „Sie sind doch selber Redakteurin und wissen aus Ihrer Erfahrung: Es gibt Wünsche, mit wem man reden möchte, und es gibt die Realität, wer zur Verfügung steht. Die Alternative würde bedeuten: Weil ich meinen Wunschgast nicht kriege, lass ich ein Thema sein. Das kann aber auch nicht die Lösung sein.“ Ich bitte um Einführung folgender Bauchbinde: „Haul Jörges. Hatte Zeit“. +++
+++ Wenn Sat1 vor Gericht mit seiner Klage gegen Regionalfenster unterliegt, dann ist das Aufdröseln der Sachlage ein Fall für Volker Nünning von der Medienkorrespondenz, der sich auch noch an Details zu erfreuen weiß wie folgendem: „An einer Stelle im Beschluss heißt es sogar, die klagenden Unternehmen würden eine ,,rigorose’ Auslegung’ von Art. 5 des Grundgesetzes (zur Rundfunkfreiheit) vertreten, ,die nur einseitig und ausschließlich ihre eigenen Interessen in den Blick nimmt, indem sie sich als alleinige Trägerin des Grundrechts geriert’“. +++
+++ Die Funke Mediengruppe, Bollwerk des Qualitätslokaljournalismus, macht mal wieder alles noch besser aka sie lagert aus, und zwar ihr Foto- und Videogeschäft. „Mit der neuen Gesellschaft geht das Unternehmen einen weiteren Schritt der Harmonisierung innerhalb des Konzerns, um so auch die Qualität seiner Bildsprache zu optimieren“, meint sie selbst. „Die bisherige Unit umfasst 20 Stellen. Wie viele Stellen in der neuen Agentur geschaffen werde, stehe noch nicht fest, schreibt der Verlag auf Nachfrage“, hat Turi2 die zentrale Frage zumindest versucht zu klären. +++
+++ Wie mies muss es um den Journalismus stehen, wenn es als Besonderheit verkauft wird, dass Verleger Sätzen sagen wie „Wir stecken alles Geld, das wir verdienen, in die Redaktion“? Gefunden hat das außergewöhnliche Exemplar namens Bernhard Egger, Kopf hinter dem Frutigländer aus der Schweiz, Andres Eberhard für die Medienwoche. +++
+++ „Seit den Anfängen des Radios kommen nicht-lineare Produktionen ins Radio hinein, werden ein paar Mal linear ausgestrahlt, und dann weiter nicht-linear kopiert, zirkuliert, ausgeliehen oder verkauft“ und weitere Gründe, warum das Radio trotz und gerade wegen der wachsenden Begeisterung für Podcasts eine Zukunft hat, hat in der aktuellen Ausgabe epd medien (derzeit nicht online) Wolfgang Hagen. +++
+++ Wie es um Literatursendungen im Fernsehen bestellt ist, beleuchtet Heike Hupertz ausführlich ebenfalls bei epd medien, ebenfalls nicht online. +++
+++ Welche Alternative zu Amazon und Netflix Sie abonnieren müssen, wenn Sie sich für südkoranische Arthouse-Filme interessieren, erklärt Oliver Schütte im Tagesspiegel. Der auch noch ein weiteres Medienthema bereithält, nämlich 60 Jahre Harald Schmidt. +++
+++ Und bei kress.de darf der stellvertretende Zeit-Chefredakteur Bernd Ulrich ein wenig Werbung für sein gestern erschienenes Buch „Guten Morgen, Abendland“ (bitte nicht mit dem Werk gleichen Namens von Nazan Eckes verwechseln!) machen und erklären, was in der Vergangenheit so alles falsch gelaufen ist, u.a. im Journalismus („Wir nennen diese Menschen ,Unterprivilegierte’, ,Marginalisierte’, ,Abgehängte’ oder ,Globalisierungsverlierer’. Das sind alles diskriminierende Begriffe (…). Wir als Medien müssen uns mehr für diese Menschen interessieren - bevor sie sich hier auch so eine hässliche Glocke suchen wie Trump.“). +++
Leider wissen wir noch nicht, wann das nächste Altpapier erscheint. Wir hoffen aber, dass es bald soweit sein wird. Alldieweil recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.