Wie sollen Journalisten umgehen mit der „Kampfansage“, die die Polizei ihnen in Hamburg während des G20 gemacht hat? Ralf Hutter schlägt in einem als „Essay“ rubrizierten Beitrag für Übermedien (€) einen weiten Bogen, ehe er sich der Beantwortung dieser für Medienvertreter zentralen Frage nähert. Hutter schreibt:
„Die Medienentwicklung hat es mit sich gebracht, dass sich die Produktionsmittel für Journalismus verallgemeinert haben. Wie die Polizei arbeitet, wird heute von viel mehr Menschen dokumentiert, die der Staatsmacht erst mal kritisch gegenüber stehen. Dabei verlangen diese neuartigen Journalistinnen und Journalisten dieselben Privilegien wie die althergebrachte Presse (…) Es ist eine ungelöste, vielleicht sogar unlösbare Frage, wer in Situationen, in denen die Polizei kein großes Publikum haben will, Zugang zum Ort des Geschehens bekommen soll, um die Ereignisse dokumentieren zu können. Die Medienentwicklung lässt den Unterschied zwischen Meinungs- und Pressefreiheit immer mehr verschwinden. Es wird deshalb kompliziert für die Polizei, angesichts der Ereignisse anscheinend zu kompliziert.“
Die Frage, ob sie „deshalb neuerdings so brutal gegen Journalisten“ vorgehe, sei „falsch gestellt“, meint Hutter.
„Wir sollten nicht von einer Sonderbehandlung ausgehen (…) Die Polizei behandelt die Presse so, wie sie die Allgemeinheit behandelt. Letzteres ist der eigentliche Skandal. Die Polizei verhält sich vermutlich nicht wesentlich anders als bisher. Die beiden Unterschiede zu früher sind: Ihr Vorgehen wird nun viel häufiger gefilmt, und Journalisten gehören öfter zu den Opfern von Polizeigewalt.“
Kurzer Exkurs: Ob die Tatsache, dass das „Vorgehen“ der Polizei „nun viel häufiger“ gefilmt wird, eine nachhaltige Wirkung bzw. politische Konsequenzen haben wird, ist aber noch mal eine andere Frage. Sebastian Leber schrieb im Tagesspiegel am Sonntag gerade mit Bezug auf Olaf Scholzs berühmte „Polizeigewalt hat es nicht gegeben“-Äußerung:
„In einer Welt ohne Smartphones und Internet käme Olaf Scholz mit seiner Lüge vielleicht durch. Aber die Masse der Indizien, die Bürger inzwischen zusammengetragen haben, wird sich nicht wegreden lassen.“
Für jene, die in den vergangenen rund zwei Wochen offline waren: Ein musikalisch originell untermaltes Destillat dessen, was „die Bürger inzwischen zusammengetragen haben“, findet sich hier. Nun ist ja Scholz' Kalkül hinter seinem Statement bzw. die Entscheidung für „einen Ton, den man aus Ankara oder Moskau kennt“ (ein Polizist in einem gerade frisch reingekommenen Vice-Interview), dass die Medien und Netzwerke, die Beweisvideos aufgreifen oder einbetten - beziehungsweise, um es verkürzt, aber nicht unzulässig verkürzt zu formulieren: der Qualitätsjournalismus - letztlich zu schwach sind, um mit ihrer Haltung bei einem signifikanten Teil der Bevölkerung durchzudringen. Kann sein, dass sich bald herausstellen wird, dass sich Scholz verkalkuliert hat. Ich bin diesbezüglich aber nicht optimistisch.
Zurück zum Übermedien-Text: Hutter meint, das Vorgehen der Polizei
„sollte uns an die vornehmste Aufgabe des Journalismus erinnern: ein Gegengewicht zur Macht zu sein, sie zu kontrollieren. Wenn jetzt sogar ein Bild-Chefreporter von „gezielter“ und „aggressiver“ Gewalt gegen die Presse twittert – wie in Hamburg wiederholt geschehen – sollte sich die Branche klarmachen, dass die Polizei in Kontexten wie den eben genannten weniger Hüterin der Verfassung und der Rechtsprechung durch das Verfassungsgericht ist, als eine Partei in einem Kampf. Wer nun über diesen Kampf berichten will, soll und darf sich nicht völlig unkritisch und voreilig auf eine Seite schlagen. Doch genau das ist wieder zu beobachten.“
Womit wir bei den „Umfallern“ wären, wie Leo Fischer sie in seiner aktuellen Kolumne für das Neue Deutschland nennt, also jenen linksliberalen und bürgerlich-liberalen Publizisten (und Politikern), „die ihre Liebe zur harten Hand entdeckten“ bzw. „ihre demokratischen Manieren bei den G20-Krawallen verloren haben“.
Sowohl auf Fischer als auch auf Sascha Lobos Spiegel-Online-Kolumne aus der vorvergangenen Woche über das netzöffentliche Post-G20-Volksempfinden (siehe Altpapier) bezieht sich Michael Seemann in seinem mspr0-Blog, er kommt angesichts der „maßlosen Kommentare“ und dieser „allgemein steigenden Lust am Totalitären“, die er „der Einfachheit halber“ den „Faschodrive“ nennt, zu folgender Erkenntnis:
„Die Hamburgereignisse (wurden) ein ideales Ventil für den inneren Nazi mit der perfekten bürgerlichen Tarnung. Und das macht es so gefährlich. Daraus kann sich etwas entwickeln, das ich für fast noch gefährlicher halte, als die AfD. Eine aus der bürgerlichen Mitte entspringende Bewegung, die Schulter an Schulter mit dem Establishment Amok gegen das Grundgesetz rennt – mit der Rechtfertigungsstrategie, es zu verteidigen.“
Zumindest einen entfernten G20-Bezug hat ein Beitrag Dirk von Gehlens für SZ.de, der die Leser dazu animiert, sich für ein "Live-Experiment“ im von der SZ geschaffenen „Democracy Lab“ im August und September zu bewerben:
„Man muss Wolfgang Bosbach dankbar sein. Der Talkshow-erfahrene CDU-Politiker hat mit seinem theatralischen Abgang aus der letzten Maischberger-Sendung vor der Sommerpause (#bosbachleavingthings) ein wunderbares Bild geliefert für eines der zentralen Probleme in diesem Land: Deutschland kann nicht streiten!“
Das Projekt, das von Gehlen hier vorstellt, klingt nicht uninteressant, aber Bosbachs „theatralischer Abgang“ (siehe zuletzt dieses Altpapier), taugt imho nicht für einen derart allgemeinen Befund, das Verhalten des Politikers ist vielmehr dadurch zu erklären, dass die Gäste in den Kuschelzonen des TV-Polittalks sonst praktisch nie mit für sie wirklich unbequemen oder herausfordernden Positionen konfrontiert werden. Oder, wie es Jutta Ditfurth, Bosbachs Gegenspielerin in jener Sendung, in der vergangenen Woche in der Jungle World formulierte:
„Ich bin immer wieder überrascht, wie abgehoben solche Leute leben. Der würde keine normale Kneipendiskussion überstehen.“
[+++] Das Aufmacherthema auf der Medienseite der gedruckten SZ heute: der „Kampf um die Deutungshoheit von Frauenbildern“, der in den Medien „gerade erst begonnen hat“. In Silke Burmesters Text geht es unter anderem um die RTL-2-Sendung „Curvy Supermodel“ (siehe aktuell auch stern.de), die sie als „Fleischbeschau“ bzw. „Kamelmarkt“ bezeichnet. Andererseits:
„Man kann (…) auch sehen, wie einige der gerade mal Anfang 20-jährigen Frauen trotz eines omnipräsenten Dünnheits- und Idealmaßterrors ein geradezu beneidenswertes Körpergefühl haben und jede Faser ihres Körpers schön finden. Da ist eine große Akzeptanz des Ichs - und in Anbetracht der dicken Pos und Beine kein ‚obwohl‘ und kein ‚trotz‘ Für den Feminismus der Gegenwart sind Körperbilder ein gewaltiges Thema. Magazine wie Missy bemühen sich redlich, Frauen das erlernte und ständige Sich-Infragestellen über vermeintliche Unzulänglichkeiten auszutreiben. ‚Body Shaming‘ und ‚Body Positivity‘ sind die Schlagworte. Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski hat zu dem Thema kürzlich einen mehr als 900 000 Mal geklickten Text geschrieben. Nicht erkennend, dass die Deutungshoheit der Körperbetrachtung ein höchst politisches Thema ist, warf Spiegel-Kollege Jan Fleischhauer daraufhin dem aktuellen Feminismus vor, sich unpolitisch in Gedöns zu verlieren.“
Dass „der Kampf um die Deutungshoheit von Frauenbildern“ in den Medien stattfindet
„und nicht wie früher dort, wo ihn keiner sieht, hat die Ursache darin, dass Männer, die in den Medien institutionelles Manspreading betrieben haben (sich breitmachen, damit neben ihnen keiner Platz hat) merken, dass sie ihr Refugium verteidigen müssen.“
„Vollendete ‚Gerechtigkeit‘ wird sich in den Spitzenpositionen einer dem Markt unterworfenen Branche jedenfalls nie erreichen lassen.“
Um die Deutungshoheit in der Gender-Debatte und dort kursierende falsche Vorwürfe geht es aktuell in einem NZZ-Essay unter der Überschrift „Feminismus ist nicht das Gegenteil von Wissenschaft“. Dominique Kuenzle - ein Mann, falls das eine Rolle spielt - schreibt:
„Wer aus der Tatsache, dass der Feminismus seine Werthaltung auf seiner Etikette mit sich herumträgt, folgert, dass dessen Vorgehensweise unwissenschaftlich und ideologisch sein muss, schliesst ideologisch. Ja, klar, nicht jeder geschmacklose Witz müsste gleich zu einem Online-Shitstorm und zum Ende einer Karriere führen. Ja, klar, die Gender-Studies sollten an ihrer sperrigen und elitär anmutenden Sprache arbeiten und sich deutlicher positionieren im Verhältnis zu den empirischen Wissenschaften. Aber die explizite Werthaltung des wissenschaftlich orientierten Feminismus, seine Anerkennung der normativen und empirischen Komplexität der zentralen Fragen sowie die geforderte Reflexion über mögliche Verzerrungen durch unbewusste Interessen und Stereotype markieren in vielen Hinsichten das Gegenteil einer Ideologie.“
Kuenzle macht daher folgenden „Vorschlag“:
„Betrachten wir die Diskussion um Gender-Fragen doch als einen empirisch informierten öffentlichen Diskurs, bei dem wir grundsätzlich auf die Kraft der Evidenz und der besseren Argumente vertrauen, während wir anerkennen und praktisch berücksichtigen, dass die Reflexion über explizite Werte sowie unbewusste Interessen, Vorurteile, kognitive Verzerrungen und ideologische Mechanismen integraler Bestandteil der Forschung und Diskussion sein muss.“
[+++] Das vor einem Monat erschienene Buch „Lügen im Netz. Wie Fake News, Populisten und unkontrollierte Technik uns manipulieren“ nimmt die Welt-Redakteurin Naemi Goldapp zum Anlass, die Autorin, die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig, zu interviewen. Diese sagt unter anderem:
„Man kann sehen, dass einzelne AfD-Politiker überraschend häufig nicht ganz richtige Beiträge teilen. Frauke Petry hat etwa im Frühjahr die komplett falsche Behauptung verbreitet, das Bundeskriminalamt habe bestätigt, dass Flüchtlinge krimineller sind als Deutsche. Ein solcher Bericht des BKA existierte aber gar nicht.“
Interessant auch folgende Passage:
„Oft heißt es ja: Da fallen ja nur die Dummen rein. Die Wissenschaft bestätigt das aber nicht. Es ist eher so, dass politisch engagierte und überzeugte Nutzer am ehesten Gefahr laufen, auf Falschmeldungen herein zu fallen. Sie sind besonders von ihrer Weltsicht überzeugt. Wir wissen zum Beispiel aus den USA, dass das Thema Klimawandel keine Bildungsfrage ist. Auch extrem gut gebildete Republikaner glauben nicht daran, dass es ihn gibt.“
Um einige aktuelle Beispiele für die Verbreitung von Falschbehauptungen und kühnsten Interpretationen aufzulisten: Als „ein Lehrstück über Fake News“ sieht Jakob Augstein (Spiegel Online) die Berichterstattung in Sachen Schorndorf (siehe unter anderem dieses und dieses Altpapier), der „Faktenfinder“ von tagesschau.de geht auf die „Propagandaschlacht um den Brenner“ ein - in der sich Menschen zu Wort melden, die von Tausenden nach Österreich „strömenden“ Afrikanern reden, während der Pressesprecher des Tiroler Landeshauptmanns sagt, es gebe “hinsichtlich illegaler Grenzübertrittversuche etwa 15 bis 25 Aufgriffe pro Tag an der Tiroler Landesgrenze“ -, Christian Werthschulte seziert in einem Facebook-Post die Berichterstattung über die Schließungen eines Buchladens in Berlin und eines Restaurants in München, und die Washington Post schließlich hat einen “quick guide to President Trump’s false Twitter claims today“ zusammengestellt. Gemeint sind am Montagabend und Dienstagmorgen verbreitete Wortmeldungen.
Bleiben wir kurz noch bei Trump. Über Sean Spicer, der gerade seine Rücktritt als Sprecher des Präsidenten erklärt hat, schreibt Nina Rehfeld auf der FAZ-Medienseite (derzeit nicht frei online):
"Spicers Auftritte waren oft das, was die Amerikaner ein 'Trainwreck' nennen: eine Katastrophe, deren Faszination sich Amerikas Komiker nicht zu entziehen vermochten. Man konnte dem Pressesprecher geradezu ansehen, wie er seinen Chef im Nacken spürte und wie er sich nach Kräften mühte, den Trumpschen Duktus vom Pressepodium aus in die Welt zu tragen."
Altpapierkorb
+++ „Türkei-Korrespondent müsste man jetzt sein …“ lautet die Überschrift eines Textes, den Deniz Yücel in der Haft seinen Anwälten diktiert und den Die Welt veröffentlicht hat. Man darf den Beitrag auch als Kritik an der derzeitigen Türkei-Berichterstattung deutscher Medien verstehen. „Nicht übersehen“ dürfe man zum Beispiel „die Bemerkung des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci, wonach die Ankündigungen der Bundesregierung nur heiße Luft seien, weil in einer liberalen Wirtschaftsordnung keine Regierung den Unternehmen vorschreiben könne, in welchem Land sie investieren. Genau diese Frage müsste man an die deutsche Wirtschaft weiterreichen. Zum Beispiel könnte man in der Konzernzentrale von Bosch nachfragen, warum der für die Türkei zuständige Bosch-Manager (…) erklärte, sein Unternehmen werde an den für dieses Jahr geplanten Investitionen in Höhe von etwa 600 Millionen Euro festhalten, und behauptete, in der Türkei sei alles prima, wofür er von den Regierungsmedien gefeiert wurde. Bei dieser Gelegenheit könnte man eruieren, ob die Pressemeldungen zutreffen, wonach in der türkischen Niederlassung von Bosch 25 Mitarbeiter entlassen worden seien, weil sie sich einer Gewerkschaft angeschlossen hätten. Man könnte die Konzernführung fragen, ob sie unter idealen Investitionsbedingungen die Friedhofsruhe einer Diktatur versteht und ob sie sich nicht wenigstens ein bisschen schämt.“
+++ Eine Art Kampfansage an die eigenwilligen, gerade erst hier im Korb erwähnten Presserechtsinterpreten des Landgerichts Hamburg hat das Bundesverfassungsgericht formuliert, das die eigenwilligen Interpretationen in den vergangenen Jahren immer wieder korrigiert hat. Beziehungsweise: „Das Bundesverfassungsgericht hat der Pressekammer des Landgerichts Hamburg einen Warnschuss verpasst. Künftig können schon gegen einstweilige Verfügungen Verfassungsbeschwerden eingelegt werden, wenn Medien glauben, dass sie im Verfahren unfair behandelt wurden.“ Das schreibt Christian Rath in der taz. Wichtig ist dieser „Warnschuss“ insofern, als das Landgericht Hamburg "eine zentrale Rolle spielt, wenn es um Klagen gegen Medien geht“. Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts gibt es in voller Schönheit hier.
+++ „Haller beklagt, dass die Stimmen (der) ‚besorgten Bürger‘ in den Medien zu kurz gekommen seien. Unfreiwillig komisch wird es im Fazit, wo es heißt, die ‚gewalttätige Szene in den östlichen Bundesländern‘ sei ‚pauschal als Dunkeldeutschland etikettiert und ausgegrenzt‘ worden (S. 133). Hätte man sie denn besser als konstruktives Element der Zivilgesellschaft betrachten sollen?“ - die Neuen Deutschen Medienmacher sticheln gegen die „besorgten Wissenschaftler“ um Michael Haller, die die Studie „Die ‚Flüchtlingskrise‘ in den Medien verfasst haben (siehe zuletzt Altpapier von Dienstag).
+++ „Finis Germania“ und kein Ende: Anlässlich des Eingriffs der Spiegel-Chefredaktion in die Spiegel-Bestsellerliste (siehe erneut Altpapier von Dienstag) hat Claudia Tieschky fürs SZ-Feuilleton an der Ericusspitze nachgefragt und Folgendes erfahren: „Die Spiegel-Bestseller (seien) eine kuratierte Liste, heißt es beim Spiegel, nach den Regularien könne die Chefredaktion eingreifen.“ DLF-Literaturredakteur René Aguigah sagt in der DLF-Sendung „Studio 9“, man sollte, wie es in der schriftlichen Zusammenfassung des Interviews heißt, „‚Dinge, die man bekämpfen will, nicht gleichzeitig noch skandalisieren‘. Dies habe den Effekt, dass es ‚umso lauter und umso fruchtbarer wird – das ist Werbung.‘“
+++ Der Anlass für die aktuelle Spiegel-Online-Kolumne der heute oben schon erwähnten Margarete Stokowski sind Online-Kommentare zum Suizid des Linkin-Parks-Sängers Chester Bennington: „Viele Medien haben inzwischen einen etwas feinfühligeren Umgang mit Suizid, sie nennen zum Beispiel keine konkreten Todesumstände, weil man weiß, dass solche Beschreibungen zu Nachahmungen führen, und sie setzen Kontakte von Hilfsangeboten unter ihre Meldungen. Aber noch weiter unter den Meldungen geht die Hölle ab. Onlinekommentare zu Menschen, die sich getötet haben, sind bisweilen so scheußlich, dass sie sich nicht allein dadurch rechtfertigen lassen, dass Online-Kommentare per se zumeist keine Perlen sind. Wenn die oder der Verstorbene Kinder hatte, erfolgreich war, besonders schön oder talentiert war oder zuletzt nochmal lachend gesehen wurde, ist das Unverständnis bei vielen besonders groß. Unter dem Tagesschau-Facebook-Post zu Benningtons Tod schrieben viele Menschen ‚R.I.P‘ und ähnliches, aber auch: Suizid sei eine egoistische Tat. Menschen, die sich selbst töten, hätten es nicht verdient, dass man über sie berichtet, man solle sie anonym verscharren. Jemand, der wie Bennington sechs Kinder hinterlasse, sei räudig und feige. Und so weiter.“ Stokowskis Fazit: „Bei all diesen Kommentaren scheint immer noch nicht klar zu sein, dass Depression eine Krankheit ist und keine Entscheidung, und dass die daraus entstehenden Handlungen nicht leichtfertig getroffene Dummheiten oder Feigheiten sind.“
+++ Volker Nünning gibt für die Medienkorrespondenz einen Überblick über die Reaktionen auf die am 9. Juni in Kraft getretene neunte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), wonach „nun Presseverlage vom Kartellverbot ausgenommen (sind), wenn es um die Zusammenarbeit im Anzeigen- und Werbegeschäft, beim Vertrieb und bei der Zustellung und der Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften geht“.
+++ Ebenfalls nunmehr beim Online-Auftritt der Medienkorrespondenz zu finden: die Information, dass der BR soll am 1. Januar 2018 den ARD-Vorsitz übernehmen wird. Als ARD-Vorsitzender fungiert somit künftig BR-Intendant Ulrich Wilhelm, also der frühere Pressesprecher Angela Merkels. In der einen oder anderen kritischen Auseinandersetzung mit der Politik-Berichterstattung der ARD - den fundierten und vor allem den weniger fundierten - wird dieser Sachverhalt ab dem kommenden Jahr gewiss Erwähnung finden.
+++ Nachdem 2016 im Fernsehen zwei Filme der deutsch-südkoreanischen Dokumentarfilmregisseurin Sung-Hyung Cho gelaufen waren, in denen es unter unterschiedlichen Schwerpunkten um Nordkorea geht („Verliebt, verlobt, verloren“, „Zwei Stimmen aus Korea“), ist im Ersten heute ihr aktueller Film „Meine Brüder und Schwestern in Nordkorea“. zu sehen. Der Tagesspiegel dazu: „Einen ‚Heimatfilm‘“ hat Filmautorin (…) Cho ihre sehenswerte Filmreise genannt, in der sie niemals wertet oder analysiert, sondern lediglich beschreibt, sich den Menschen zugeneigt annähert.“ Die SZ empfiehlt den Film ebenfalls.
+++ „Eigentlich müsste man es als Weltkulturerbe anmelden, das Studio für elektronische Musik des WDR. Nicht nur, weil es weltweit das erste seiner Art war – Hanns Hartmann, der damalige Intendant des Nordwestdeutschen Rundfunks, hatte im Herbst 1951 seine Einrichtung abgesegnet. Auch, weil hier mit Hilfe von Rauschgeneratoren, Ringmodulatoren, Bandschleifen und Oszillatoren am Wallrafplatz die ersten Meisterwerke der elektronischen Musik entstanden, allen voran Karlheinz Stockhausens „Gesang der Jünglinge“ (1955-56). György Ligeti, Pierre Boulez, Luigi Nono, Iannis Xenakis und Mauricio Kagel fanden hier neue Klänge für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.“ Wer sich für Neue Musik im allgemeinen, Stockhausen im besonderen oder die Geschichte des Hörfunks interessiert, wird diesen Artikel aus dem Kölner Stadt-Anzeiger gewiss weiterlesen. Der Anlass des ausführlichen Beitrags ist, dass „das Studio für elektronische Musik mit seinen wuchtigen analogen Gerätschaften“ nun Köln „verlassen“ und in die Nähe von Kerpen ziehen wird.
Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.