Aus eigener Erfahrung kann berichtet werden: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, zeitsparend NetzDG genannt, wird nicht schöner, wenn man sich zu besonders frühen Uhrzeiten am Tag mit ihm beschäftigt. Damit die Mitglieder des Bundestages das selbst überprüfen können, wurde der Termin für dessen Verabschiedung nun auf kommenden Freitag, acht Uhr, gesetzt.
"Wenn das Gesetz am Freitag wie geplant im Bundestag verabschiedet wird, sollte die SPD nicht lange feiern. Das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz dürfte sich dank Gerichtsverfahren bald wieder in den Schlagzeilen befinden, ähnlich wie die verfassungsrechtlich umstrittene Vorratsdatenspeicherung“,
schreibt Hendrik Wieduwilt heute auf der Medienseite der FAZ (Blendle, 0.45 Euro), während Minister Heiko Maas gestern beim Journalismusdialog schon mal zu Protokoll gab, welche Gerichte dafür in Frage kämen:
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Journalismusdialog? Muss man den kennen? Jetzt schon, denn die Veranstalter heißen „Gruner + Jahr, Media Group Medweth, SPIEGEL-Verlag, ZEIT Verlagsgruppe“ und sind im vergangenen Jahr gemeinsam aus dem Fachverband Publikumszeitschriften des VDZ ausgestiegen, weil ihnen die Art und Weise nicht passte, wie der neue Chef Stephan Holthoff-Pförtner an sein Amt kam (Altpapier). Was nicht der einzige Punkt ist, in dem VDZ und Allianzler anderer Meinung sind. So sagte Julia Jäkel laut der umtriebigen Meedia-Redaktion in ihrer Keynote zur Eröffnung gestern:
„,Wir benötigen eine Technikfolgenabschätzung auch für Facebook. Das wäre nicht fortschrittsfeindlich, sondern im Gegenteil: Es hätte aufklärenden Charakter.’ Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz der Bundesregierung sei bei der Regulierung von Facebook & Co. nur ein ,erster, kleiner Schritt’.“
Dazu Georg Altrogge beim gleichen Portal:
„Die G+J-Chefin besetzt damit für sich und ihre Branche ein Thema, zu dem es durchaus kontroverse Ansichten unter Verlegern gibt. So ist bekannt, dass Springer-CEO Mathias Döpfner, zugleich Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) von einem Facebook-Gesetz wenig hält und die Gefahr sieht, dass das Social Network auf diese Weise Verlagen gleich gestellt würde. Döpfner sprach in diesem Zusammenhang von einem drohenden ,globalen Superzensor’. Auch die Zeitschriftenverleger-Vereinigung kritisierte des Vorhaben von Heiko Maas jüngst, VDZ-Geschäftsführer Stephan Scherzer nannte die Gesetzesvorlage gar ,eine Katastrophe’. Jäkel – und mit ihr die Initiatoren des ,Journalismusdialog’ – bezieht eine dazu konträre Position und unterstützt offen den Kurs der Bundesregierung und vor allem den von Minister Maas, was im politischen Berlin sicherlich nicht ohne Wirkung bleibt.“
Womit wir nun zumindest wissen, dass in der Öffentlichkeit auftretende SPD-Politiker nicht die einzigen Fans des NetzDG sind.
Auch inhaltlich wurde gestern über das Gesetz gesprochen. Von den vielen mittlerweile bekannten Kritikpunkten (s. diverse Altpapiere) soll an dieser Stelle jedoch nur einer genannt sein (Joachim Huber, Tagesspiegel):
„Dass Facebook in vorauseilendem Gehorsam nun sehr viel mehr Beiträge löschen könnte als nötig, um jeden rechtlichen Ärger zu vermeiden, hält Maas für unrealistisch. Im Moment entscheide Facebook nach der Devise ,Wir löschen im Zweifel nicht’, so der Minister. ,Wenn wir uns jetzt hinstellen und sagen, wir machen lieber gar nichts, dann überlassen wir es Facebook, die Grenzen der Meinungsfreiheit zu diktieren.’“
Genau die gegenteilige Tendenz hat jedoch Spiegel Online entdeckt, als es sich für diesen Artikel einmal genau angesehen hat, welche Tweets und Accounts Twitter in Deutschland sperrt bzw. zurückhält. Philipp Hummel:
„Twitter verweist bei den zurückgehaltenen Inhalten auf die im jeweiligen Land geltende Rechtslage. Ein großer Teil der Accounts und Tweets in den Listen macht Stimmung gegen Ausländer, insbesondere Asylbewerber.
Ob aber alle betroffenen Inhalte gegen deutsche Gesetze verstoßen, ist zweifelhaft: Tweets mit Verschwörungstheorien über den Anschlag auf ein Konzert in Manchester vor wenigen Wochen, schlechte Hitler-Witze oder Warnungen vor den vermeintlichen Folgen der ,Willkommenskultur’ dürften viele als geschmacklos empfinden, einiges dürfte auch unzutreffend sein. Warum solche Aussagen aber nicht vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sein sollten, ist nicht klar. (…) Während auf der einen Seite vermutlich von der Meinungsfreiheit gedeckte Inhalte zurückgehalten werden, bleiben andererseits übelste Beschimpfungen sogar nach einer Prüfung durch Twitter stehen. Beispiele dafür gibt es zuhauf.“
Aber wie sagte ebenfalls Julia Jäkel, diesmal zitiert von Hannah Beitzer auf der Medienseite der SZ?
„Wir müssen um diese großen Plattformen eine gesellschaftliche Debatte führen. Die darf nicht mit einem Gesetz enden“.
Gesprächsbedarf wird es auch nach Freitag genug geben. Wobei es sich als hilfreich erweisen könnte, nicht nur um, sondern auch mit den entscheidenen Playern zu debattieren.
[+++] Dass in dieser Woche noch ein weiteres Thema mit Medienbezug bereitsteht zur Verabschiedung durch den Bundestag, erkennt der FAZ-Leser heute an der großen Anzeige aus Seite 5, auf der „Die Verlage in Deutschland“ von der „sehr geehrte(n) Bundeskanzlerin Merkel“ sowie dem „sehr geehrte(n) Herr(n) Vizekanzler Gabriel“ fordern, „jetzt unsere Enteignung durch das verfassungswidrige Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz“ zu stoppen.
Wenn der Sozialismus vor der Tür steht, ist bei deutschen Verlagen für Etikette und Vornamen keine Zeit mehr.
Dabei klingt die Überschrift „Zeitungstexte bleiben in der Hand der Verlage“ über dem Text von Hendrik Wieduwilt auf Seite 2 (Blendle, 0,45 Euro) gar nicht so dramatisch - vor allem nicht im Vergleich zur Anzeige an gleicher Stelle Mitte Mai, als die FAZ in eigener Sache ebenfalls gegen das Gesetz mobil machte und das beliebte Geschützt „Gefährdung der freien Meinungsbildung“ auffuhr (Altpapier). Nun schreibt also Wieduwilt:
„Eine umstrittene Neuregelung zum Urheberrecht im Zusammenhang mit Bibliotheken wurde dem Vernehmen nach entschärft. Die geplante ,Wissenschaftsschranke’ sah vor, dass online frei zugängliche Inhalte von Presseverlagen durch die Deutsche Nationalbibliothek archiviert und Nutzern digital zur Verfügung gestellt werden dürfen. Sie sollten künftig pauschal über Verwertungsgesellschaften ,angemessen vergütet’ werden. Kritiker, darunter auch diese Zeitung, sahen darin eine Gefahr für die Pressefreiheit.“
An dieser Front war die Lobbyarbeit also erfolgreich. Die Buchverlage müssen derweil weiterhin damit leben, dass laut Gesetzesentwurf „(b)is zu 15 Prozent eines Buches (…) künftig laut Gesetzentwurf von Bildungseinrichtungen ohne Rücksprache mit Verlag oder Autor digitalisiert, heruntergeladen und ausgedruckt werden können“, wie sich das Börsenblatt des deutschen Buchhandels beschwert.
Allerdings (Leonhard Dobusch, Netzpolitik.org):
"Entscheidend für die Einigung der Koalitionsfraktionen war letztlich die Befristung der Reform auf fünf Jahre samt Evaluierung der Effekte der Reform nach vier Jahren."
Entschieden wird die Sache ebenfalls am Freitag, 8.45 Uhr, gleich nach dem Durchwinken des NetzDG.
[+++] Bevor es zum Korb geht, möchte Focus-Chef Robert Schneider uns noch einen Beitrag präsentieren zum Thema „Whatever you need to tell yourself“. Bitteschön:
„So wie beim Spiegel das politische Cover gelernt ist, ist es beim Focus der Nutzwerttitel, der regelmäßig erfolgreich ist. An dieser Tradition halten wir fest.“
„Wir haben regelmäßig große politische Titelgeschichten.“
„Jede Zeit hat ihre eigene Erzählform, ihre eigene Sprache. Wir reagieren, indem wir uns permanent hinterfragen und weiterentwickeln.“
„Wir sind optischer geworden oder haben eine zweite Info-Ebene herausgearbeitet, die modernes Wissen vermittelt. Unsere Bildsprache ist deutlich frischer als zuvor.“
„Ein Netzwerk an freien Autoren ist unverzichtbar. Stichwort Schwarmintelligenz. Wir erweitern durch unser großes Netzwerk den Horizont möglicher Kompetenzen und Fachrichtungen und können für jedes Thema den besten Experten heranziehen.“
Leider können wir hier nur Ausschnitte präsentieren. Das ganze Werk finden Sie als Interview mit Marvin Schade bei Meedia.
+++ Um die Medienthemen-Tagesordnung des Deutschen Bundestags für Freitag noch zu vervollständigen: Um 10.15 Uhr steht die Änderung des Telemediengesetzes auf dem Programm - das ist das mit der Störerhaftung. Die Koalition hat sich laut Spiegel Online nun wie folgt geeinigt: „Anbieter von WLAN-Hotspots sollen von der Haftung für mögliche Rechtsverstöße ihrer Mitnutzer verschont bleiben, selbst wenn sie ihr WLAN-Netz ohne Passwortschutz aufsetzen. Eine Passwortpflicht, die vor allem Innenpolitiker der Union gewollt hatten, ist damit vom Tisch.“ Netzpolitik.org berichtet natürlich ebenfalls („Endlich mal wieder eine gute Nachricht aus dem Bundestag.“) +++
+++ Aus der Reihe „Die Öffentlich-Rechtlichen sind kein Selbstbedienungsladen (auch wenn sie von manchen Mitarbeitern so verstanden werden)“: „Wegen Betrugs in 13 Fällen, Steuerhinterziehung in fünf Fällen sowie Untreue und Bestechlichkeit“ (Tagesspiegel) muss sich der einstige Unterhaltungschef des MDR, Udo Foht, vor Gericht verantworten, wurde gestern bekannt. „Foht soll einen selbstständigen Autor jahrelang beruflich und finanziell begünstigt haben. Er habe diesem meist auf Umwegen über verschiedene TV-Produktionsfirmen Geld zukommen lassen. Dadurch entstand zwischen 2008 und 2011 ein Schaden von 250.000 Euro“ (Spiegel Online). Seinen Job verlor er schon 2011. +++
+++ Per einstweiliger Verfügung hat Discovery Sky untersagen lassen, damit zu werben, alle Spiele und alle Tore der nächsten Bundesliga-Saison zu zeigen. Wie jetzt - Sky zeigt nicht mehr alles?! Diese Reaktion auf die Meldung von Montagabend sowie ein wenig weitere Analyse zum Thema hat Thomas Lückerath bei DWDL. Die dpa-Zusammenfassung der Lage gibt es bei Horizont. Dass Sky meint, seine Kommunikation schon längst an die Aktualität angepasst zu haben, steht bei digitalfernsehen.de. +++
+++ WDR und Arte sind nicht die einzigen Sender, die sich mit Sendungen über Antisemitismus blamieren können, wie Sat1, Claus Strunz und „akte 20.17“ nun bewiesen haben (Walter Bau, Hamburger Abendblatt). +++
+++ „Der ,Spiegel’ hat mich einen ,Verletzten’ genannt. Das ist nur die halbe Wahrheit. Auch wenn es nicht cool klingt: Ich bin in der Tat ein Idealist und war es immer. Das treibt mich“. Werber Gerald Hensel im Interview mit dem österreichischen Standard über „Kein Geld für rechts“ und die Folgen (u.a. dieses und dieses Altpapier) sowie sein neues Projekt „Fearless Democracy“. +++
+++ Das Radio-Feature „Nein heißt Nein“ über sexuelle Gewalt, für das Christine Auerbach vom BR am Samstag den Courage-Preis des Journalistinnenbundes erhält, stellt Anna von Garmissen bei kress.de vor. Nachzuhören in der ARD-Mediathek. +++
+++ Über eine App, die Schülern die Problematik der Fake News nahebringen soll, aber gar nicht so toll ist, berichtete gestern @mediasres. +++
+++ Wer gerne Texte liest, in denen oft erwähnt wird, dass die Gesprächspartnerin lacht und ihre Kleidung zurechtzuppelt, sollte diesen Tagesspiegel-Artikel von Yasmin Polat über Perspective Daily nicht verpassen. Das Online-Magazin ist für den Grimme Online Award nominiert, der am Freitag vergeben wird. +++ Außerdem analysiert Joachim Huber schon einmal, was das TV-Duell Merkel versus Schulz alles verspricht. +++
+++ Sehr begeistert von der Wochenzeitung Die Zeit sowie dem Gedächtnis ihres Chefredakteurs zeigt sich Oliver Gehrs in seiner Übermedien-Kolumne. +++
+++ „Ein Märchenfilm für vegetarische Streaming-Fans, so könnte man die Netflix-Produktion Okja beschreiben.“ (Quelle: SZ Medienseite) +++
+++ Meanwhile, back at the FAZ-Medienseite: Axel Weidemann über „Incorporated“, die neue Serie des US-amerikanischen Abo-Senders Syfy: „Der Vorspann informiert darüber, dass der Klimawandel den Planeten verwüstet hat. Weltweite Hungersnöte und stürzende Regierungen sind die Folge. Miami ist im Meer versunken, Champagner (so viel zum Verständnis der geographischen Herkunftsbezeichnung) kommt aus Norwegen, und Fleisch und Wasser sind Luxusgüter. Multinationale Großkonzerne sind an die Stelle der Regierungen getreten. Sie kontrollieren neunzig Prozent des Planeten.“ +++
+++ In seinem Blog Universal Code schreibt Christian Jakubetz noch einmal über die Ergebnisse des aktuellen Digital News Reports (Altpapier). +++
Frisches Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.