Renate Künast ist etwa Unglaubliches gelungen. Nein, sie durfte nicht die Bundeswehr in Incirlik besuchen, sondern nur die Armee an Minions, die im Auftrag von Bertelsmanns Arvato im Auftrag von Facebook (siehe z. B. dieses und dieses Altpapier) Quatsch und Hass aus dem Netz löschen. Aber das Theater, dass dieser Visite vorausging, scheint den Vergleich zu rechtfertigen.
„Ein bisschen klingt es, als ginge es um einen Besuch in Nordkorea. Oder in einer Geheimdienstzentrale. An einem geheimen, verbotenen, streng abgeschirmten Ort jedenfalls. Dieser Ort liegt mitten in Berlin, nahe des Flughafens Tegel. In einem Blockbau sitzt dort kein amtlicher Oberspion oder Diktator, sondern eine Dienstleistungsfirma namens Arvato. Besser bekannt ist sie als Facebook-Helfer“,
schreibt Daniela Vates für die Dumont-Medien, hier die Berliner Zeitung. Ähnlich dramatisch auch Till Krause für sueddeutsche.de:
„Mehr als zwei Jahre hat Künast, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, um Einlass ins Facebook-Löschzentrum gebeten, das die Bertelsmann-Firma Arvato am Berliner Wohlrabedamm betreibt.“
Warum das so lange gedauert hat? Künast selbst meint im Interview mit Stefan Fries bei @mediasres, „(i)ch kann da nur eins vermuten, nämlich, dass Facebook in Wahrheit am Anfang noch was zu verbergen hatte, weil sie noch nicht gut aufgestellt sind. Also kann ich sagen, spät, aber immerhin“, was impliziert, dass die Situation nun besser ist, als in den oben in den Altpapieren verlinkten Investigativ-Geschichten von Mobile Geeks und dem SZ-Magazin Ende vergangenen Jahres beschrieben wurde. Und tatsächlich meint Künast (ebenfalls im Deutschlandfunk):
„Sie sehen da Mitarbeiter, Sie sehen Bedingungen, Sie hören ein System, Sie können mit Leuten drüber reden, wie ist das Managementsystem, und sie haben mir gegenüber gesagt in der Präsentation mit der Policy-Chefin aus Dublin, dass es keine Verpflichtung für Klickzahlen und Tempo gibt. Das haben mir die Mitarbeiterinnen direkt auch gesagt, und da behaupte ich mal, das wollen die nicht, dass ich später rausfinden würde, dass ich angelogen wurde. Insofern glaube ich, dass man das glauben darf.“
Tja (wiederum Till Krause, sueddeutsche.de):
„Doch der Druck ist teilweise noch gestiegen, berichten einige Quellen: Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Arvato ein weiteres Löschzentrum in Marokko eröffnet. Die Vorgesetzten machen klar: Wer aufmuckt, der riskiere eben, dass die Arbeit dorthin verlagert werde. So berichten mehrere derzeitige und ehemalige Mitarbeiter übereinstimmend.“
Ein Büro in Casablanca war praktischerweise als Anlaufstelle schon vorhanden, und falls man noch ein bisschen weniger Arbeits- oder gleich Menschenrechte möchte, hat man schon einen Fuß in China oder bei unseren aktuell liebsten Pressefreiheitsfreunden in der Türkei. Da wird sich schon jemand finden, der Deutsch bzw. den grammatikalischen Unfug versteht, den diejenigen, die Deutschland besonders lieben, für Deutsch halten. Und wenn ich diese Stellenausschreibung richtig verstehe, wird in Berlin ja auch bereits Englischsprachiges gesichtet und gelöscht.
Aber die Arbeitsbedingungen des Löschtrupps sind ja nur das eine Problem der Black Box Arvato. Das andere ist die Frage, nach welchen Kriterien gelöscht wird. Ein letzter Blick ins Künast-Interview:
„Danach haben wir gefragt und gesagt, so, wie kann man das nachvollziehen. Facebook selber sagt, die Community-Standards findet man im Internet bei Facebook, und sie machen nichts anderes als diese Community-Standards in Regelungen umsetzen. Sie sagen mir, sie haben keine neue Regelung entwickelt und erfunden, sondern sie setzen das um, was sie in den Community-Standards sagen.“
So steht es übrigens auch in der oben verlinkten Jobbeschreibung („Evaluate content based on our clients guidelines and policies“).
Wer sich in diese einlesen möchte, kann das hier tun und sich an dem Ermessensspielraum erfreuen, den diese Regeln offenbar lassen, siehe z.B. „Dabei berücksichtigen wir bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Bedrohung unter Umständen Faktoren wie den physischen Standort oder die öffentliche Sichtbarkeit einer Person. Beispielsweise nehmen wir Bedrohungen ernst, die sich an Personen aus gefährlichen und instabilen Regionen richten.“
Alles klar?
Nach Jahren der Abschottung geht es am Wohlrabedamm in Berlin nun übrigens zu wie im Taubenschlag. Schon für die kommende Woche hat sie Heiko Maas’ Staatssekretär Gerd Billen angekündigt. Der soll dann wohl zurückmelden, dass das mit dem NetzDG und den bis zu 50 Millionen Euro Strafzahlungen gar nicht nötig ist. Denn ganz ohne Hintergedanken hat Arvato die Tür sicher nicht geöffnet.
[+++] Damit zu allem, was bisher geschah, nachdem bekannt wurde, dass die Champions League ab 2018 nicht mehr bei ARD und ZDF, sondern nur noch gegen Bezahlung bei Sky und DAZN zu sehen sein wird (Altpapier gestern). Bzw. bei Sky nicht nur gegen Geld, wie die Wirtschaftswoche vorab meldet:
„,Wir können uns sehr gut vorstellen, dass wir auf Sky Sport News einzelne Spiele der Champions League zeigen werden’, zitiert das Magazin aus Unternehmenskreisen. Bei Sky heißt es, dass der frei zu empfangende Sender Sky Sport News seit Dezember auch bereits ausgewählte Bundesligaspiele unverschlüsselt ausgestrahlt hat.“
Bleibt nur die Frage, welche das sein könnten, wobei erst einmal zu klären wäre, was Sky, was DAZN zeigen wird, worum die Sender ein großes Geheimnis zu machen versuchen, was das Blog Alles außer Sport (via DWDL) allerdings wenig interessiert:
„Was in der offiziellen Pressemitteilung nicht stand, ist die Aufteilung der Spiele zwischen SKY und DAZN – aus gutem Grund. Alleine die Erklärung dafür, hätte vermutlich zehn Seiten benötigt und deutet darauf hin, wie komplex die Verhandlungen zwischen SKY und DAZN gewesen sein müssen, dass eine derartige Kopfgeburt von Spielaufteilung dabei heraus kommt.
Ganz simpel formuliert: SKY zeigt alle Konferenzen und etliche Einzelspiele (34 Spiele). DAZN zeigt keine Konferenz und sehr viele Einzelspiele (104 Spiele).
Wenn man tiefer in den Details reinfährt, wird es komplexer. In den Konferenzen darf SKY von keinem Team mehr als 30 Minuten zeigen. D.h. eine rein deutsche Konferenz wird nicht möglich sein – es wird minimum ein drittes Spiel reingenommen werden müssen.“
Und falls Sie sich nun fragen: DAZN - WTF? Dann hat Oliver Voss im Tagesspiegel etwas für Sie vorbereitet. Spoiler:
„Die Briten wollen nichts weniger, als das Netflix oder Spotify des Sports werden.“
[+++] Weil heute der Tag ist, an dem knapp die Hälfte der Republik nicht versteht, warum hier überhaupt etwas erscheint (was übrigens auch erklärt, warum weder SZ noch FAZ heute Erwähnung finden), soll sich nun noch kurz der Luxus erlaubt werden, explizit für die verbliebenen Leser im auch an Feiertagen armen Berlin einen Blick auf den dortigen Zeitungsmarkt zu werfen. Auf Einladung des Regierenden Bürgermeisters wurde genau darüber nämlich am Dienstagabend von diversen Chefredakteuren diskutiert.
Zur Eröffnung sagte Michael Müller laut Tagesspiegel, er "lese Nachrichten lieber gedruckt in der Zeitung als auf dem iPhone oder iPad“, was für Papier-Fans weniger beruhigend ist als anzunehmen, denn Müller muss das sagen. Er hat 15 Jahre in der familieneigenen Druckerei gearbeitet.
Generell haben sich die Berliner Zeitungen in ihrer Nachberichterstattung auf einen happy sound verständigt; am erhellendsten finde ich dabei das Ergebnis in DER Berliner Zeitung:
„Eine Stunde lang diskutierten die Chefredakteure sehr kollegial. Sie waren sich einig darin, dass für alle, auch die Zeitung der Konkurrenz, in Berlin Platz ist und die Zeitung heute im Allgemeinen besser ist als vor zehn Jahren. Genau wie die Stadt. Ideen, wie es weitergeht, gab es viele. Konzepte, wie man damit Geld verdienen kann, die sind gefragt.“
Schöner als mit dieser Phrasenhölle kann man das zentrale Problem dieser Zeitung im Speziellen eigentlich nicht verdeutlichen.
Ihre beiden Hauptkonkurrenten haben immerhin noch neue Ideen, die über das Zusammenlegen und Stellenstreichen hinausgehen, und setzen nun auf die zukunftsweisenden Zeitungstraditionen Fortsetzungsroman (Tagesspiegel) bzw. mehr Bezirksberichterstattung (Morgenpost), was bei Horizont Ulrike Simon dokumentiert, die auch die schöne Zusammenstellung parat hat:
„Einig waren sich [Morgenpost-Chef] Carsten Erdmann und [Tagesspiegel-Chef Lorenz] Maroldt hingegen, dass es in Redaktionen heutzutage mehr Spezialisten bedürfe. Maroldt sagte, die Idee des integrierten Newsrooms habe sich daher wohl verbraucht.
Den hat [Berliner-Zeitungs-Chef] Jochen Arntz gerade eingeführt.“
In einem Kommentar bei Radio Eins ergänzte sie noch:
„Es war schon erstaunlich, in welch rosigen Farben die Chefs von ,Tagesspiegel’, ,Berliner Zeitung’, ,Morgenpost’ und ,B.Z.’ die Zukunft ihrer Blätter malten. Okay ... was hätten sie anders machen sollen: Etwa sagen, wie es wirklich ist?“
Wo kämen wir hin, wenn Journalisten das täten? Aber wenn man auf Einladung seines Hauptberichterstattungsgegenstandes im zentralen Berichterstattungsgebiet sitzt, will man natürlich nicht sagen, dass einem die Kohle fehlt, selbigem noch genauer auf die Finger zu schauen.
Berlin-Exkurs Ende.
+++ Damit hinterher niemand sagt: Wichtiges Medienthema, warum steht es nicht im Altpapier?! Der EuGH hat entschieden: Das Angebot von The Pirate Bay kann durchaus eine Verletzung des Urheberrechts darstellen (Meldung: Zeit Online). Kommentar von Alexandra Hiller bei Netzpolitik.org: „Wenn es durch die Architektur von The Pirate Bay lange nicht möglich war, sie rechtlich anzugreifen, so wird nun über die Sperrung des Zugangs zur Seite ein zusätzlicher Angriff gefahren. Das ist in etwa so, als würde jemand meine Arbeit nicht mögen und mir deshalb das Fahrrad, mit dem ich zur Arbeit komme, anketten, und meine Arbeit damit illegalisieren wollen.“ +++
+++ Noch eine Meinung zur umstrittenen Arte-Doku (zuletzt AP gestern) hat Mirna Funk bei Zeit Online: „Deswegen ist dieser Film propagandistisch und manipulativ. Er lässt dem Zuschauer keinen Raum, sich ein Bild von Antisemitismus zu machen. Er will die Deutschen belehren.“ Zudem kommentiert Anja Reschke sozialmedial, warum sie die Veröffentlichung durch Bild.de für falsch hält. Bei Zapp gab es gestern Abend noch einmal eine Zusammenfassung der Lage. +++
+++ Warum die dpa in Zukunft häufiger bei Straftaten Nationalitäten nennen wird, erklärt Nachrichtenchef Froben Homburger bei kress.de. +++
+++ Die aktuelle Ausgabe epd medien gibt sich monothematisch zum NetzDG. Neben dem Gesetzesentwurf im Wortlaut stehen Stellungnahmen von Facebook („Facebook versteht, dass Regierungen in Deutschland und in aller Welt Maßnahmen hiergegen ergreifen müssen. Facebook hält den Gesetzentwurf zur effektiven Bekämpfung von Hate Speech und Falschmeldungen aber für ungeeignet“), der Reporter ohne Grenzen („Die Organisation hält den von der Bundesregierung gewählten Ansatz zur Bekämpfung der Hasskriminalität in sozialen Netzwerken für ungeeignet, weil er gravierende Folgen für die Kommunikationsfreiheit im Internet haben kann“) und des DJV („Der Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit, wie auch der Schutz der Medienfreiheiten ist gegenüber anderen Rechtsgütern, etwa einer effektiven Strafverfolgung, nicht stets vorrangig. Maßnahmen wie solche, die im vorliegenden Referenten-Entwurf vorgeschlagen werden, sind jedoch sorgfältig mit diesen Grundfreiheiten abzuwägen und in Einklang zu bringen“). +++
+++ Der Evangelische Pressedienst (epd) verliert nach 18 Jahren seinen Chef Thomas Schiller (Meldung hier nebenan). +++
+++ Der Rundfunkbeitrag ist zu bezahlen, nur nicht in bar, hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschieden. (Joachim Huber, Tagesspiegel) +++
+++ Noch mehr Fußball (in diesem Fall: 3. Liga), der zu neuen Plattformen wandert (in diesem Fall: die Telekom) hat Timo Niemeier bei DWDL. +++
+++ „Vierzig Seiten ist das Dummy stark, optisch wie sich das für eine Luxus-Fibel gehört wertig aufgemacht – und bei der Cover-Gestaltung dem vor einiger Zeit relaunchten G+J-Vielfliegermagazin Lufthansa exclusive verdächtig ähnlich“, schreibt Gregory Lipinski bei Meedia über den neuesten Zugang aus dem Hause Spiegel, die Lifestyle-Beilage S-Magazin. Zu diesem sowie weiteren Neuheiten gleichen Ursprungs ebenfalls bei Meedia Stefan Winterbauer: „Was alle drei genannten Print-Innovation gemeinsam haben, ist zu allerst einmal, dass es keine Innovationen sind.(..) Das ist die zweite Gemeinsamkeit der Print-Innovationen aus dem Hause S.: Sie passen null zur Marke Spiegel.“ +++
+++ Mit Trump im Amt geht es den rechten Medien in den USA - schlecht. Berichtet für die taz Malte Göbel. +++
+++ Beim Redaktionsnetzwerk Deutschland hat man es für eine gute Idee gehalten, Horst Lichter, wahlweise Fernsehkoch oder -trödler zu interviewen, und ihm Knallerinformationen entlockt wie diese hier: „Bei jedem Drehtag mache ich unheimlich viel Blödsinn, da wird viel gelacht. Ich habe aber auch ein Ohr für die Sorgen meiner Mitarbeiter, ob es nun Kameraleute, Praktikanten oder Kabelträger sind.“ +++
Das nächste Altpapier erscheint am Freitag.