Namen, die nach Witzen schreien
Das Deutschlandradio bekommt einen neuen Intendanten, der seine journalistische Vergangenheit mit zur Arbeit bringen will. Die Briten in ihrer Gesamtheit fanden Jeremy aus der Tonne wählbarer als die Titel-Gestalter der Sun und haben die Info-Grafiken schön. In den USA stellte sich der einstige Chef des FBI als nicht ganz dicht heraus. Und sonst? Geht es um Körperformen, Nazi-Schlampen und gesetzesuntreue „Tatort“-Kommissare.

Es gibt sie noch, die Wahlen, die nach viel Theater im Vorfeld so enden, wie man es erwartet hatte: Gestern Mittag, um kurz vor zwei, wurde Stefan Raue zum neuen Intendanten des Deutschlandradios gewählt - ganz knapp, mit 26 von 36 Stimmen bei einer benötigten Zwei-Drittel-Mehrheit, wobei nicht alle Wahlberechtigten - aus unbekannten Gründen - auftauchten. 

Den sich aufdrängenden Namenswortwitz hat Turi2 schon untergebracht, sodass wir es nicht machen müssen. Wer eine kurze Erinnerung braucht, warum der Nachfolger von Willi Steul im Hörfunkrat nicht nur Begeisterung auslöste, schaut etwa gestern unten in den Altpapierkorb oder rüber zur Medienkorrespondenz, die die Problematik ausführlich auseinanderdröselt 

(„Vom achtköpfigen Verwaltungsrat des Deutschlandradios war Stefan Raue am 27. April einstimmig zur Wahl zum neuen Deutschlandradio-Intendanten vorgeschlagen worden. Laut dem Deutschlandradio-Staatsvertrag muss sich der Verwaltungsrat im Verfahren zur Intendantenwahl mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit auf einen Personalvorschlag einigen, der an den Hörfunkrat weiterzuleiten ist. Nachdem Raue vom Verwaltungsrat, der von ZDF-Intendant Thomas Bellut geleitet wird, vorgeschlagen worden war, regte sich Widerstand im Hörfunkrat“)

oder auch zu faz.net, wo Michael Hanfeld rekapituliert: 

„Gegen den Kandidaten Raue persönlich richtete sich das leichte Aufbegehren im Hörfunkrat, das sich im Wahlergebnis widerspiegelt, freilich nicht. Es wurde vielmehr vermisst, dass nicht auch der Programmchef des Deutschlandfunks, Andreas-Peter Weber, für die Nachfolge des scheidenden Intendanten Willi Steul zur Auswahl stand. Namentlich bemängelt hatte dies der Chef der Staatskanzlei in Stuttgart von den Grünen, Klaus-Peter Murawski.“

Auf seiner gedruckten Medienseite (0,45 € bei Blendle) legt Hanfeld noch nach:

„Eingesetzt hatte sich für ihn, der ein SPD-Parteibuch besitzt, dem Vernehmen nach zuletzt sogar die Parteizentrale der Sozialdemokraten. Im Wahljahr Posten zu besetzen erscheint offenbar als dringend erforderliche Pflichtübung. Das spricht der angeblichen Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zwar Hohn, ist aber so (…). Solange sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei Spitzenpersonalien etwas zu sagen haben, machen die Parteien von ihrem Gewohnheitsrecht Gebrauch.“

Womit mal wieder bewiesen wäre, dass der FAZ-Medienredakteur so wenig Ermüdungserscheinungen beim Aufregen über das öffentlich-rechtliche System an den Tag legt, dass man es einfach bewundern muss. Und wir zu der Frage überleiten können, was inhaltlich von diesem neuen Intendanten zu erwarten ist, der aktuell noch trimedialer Chefredakteur des MDR sein Amt nennt.

Joachim Huber zitiert im Tagesspiegel zu diesem Zweck aus der offiziellen Pressemitteilung: 

„Zentrale Entwicklungschancen sehe er in der weiteren Profilierung der Programmangebote, der Arbeit an einer digitalen Zukunft mit Formaten, die in ihrer Ästhetik und Dramaturgie den Nutzungsgewohnheiten auch jüngerer Zielgruppen entsprechen, dem Zusammenwachsen der beiden Standorte sowie der Diskussion über die Zukunft des Auftrags und der Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland."

Hallo, sind Sie noch da?!

Ja, ich frage mich auch immer, wie aus journalistischen Häusern solche Worthalden in die Öffentlichkeit gekippt werden können. Das ist doch keine Information der Presse, sondern kommt heraus, wenn man den Affen von Herrn Grupp fünf Minuten mit dem Baukasten „Buzzwording für Fortgeschrittene“ alleine lässt.

Aber zum Glück gibt es Ulrike Simon, die für ihre Spiegel-Daily-Kolumne unüberlesbar gestern beim Wahlvorgang dabei war und das erwähnte „Zusammenwachsen der beiden Standorte“ sinnvoll ergänzt zu

„Beim Deutschlandradio, sagte er dem Hörfunkrat, wolle er die sich argwöhnisch beäugenden Mitarbeiter an den Standorten Köln und Berlin versöhnen, etwa mit standortübergreifenden Projekten“

sowie aus „Auftrags und der Struktur des Blablabla“ macht


„(e)r sagte, dass das werbefreie Deutschlandradio mit seinem anspruchsvollen Kultur- und Politikjournalismus eine zentrale Rolle spielen müsse in der aktuellen Debatte um die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Legitimationskrise sei in Wahrheit eine Krise der Multiplikatoren, zu denen das Deutschlandradio von allen Öffentlich-Rechtlichen den besten Zugang habe. Ein ,Modell Denkfabrik’ schwebe ihm vor, eine öffentlich-rechtliche Akademie, bei der das Deutschlandradio als Gastgeber und Absender die Diskurse zu zentralen Fragen der Zeit führt“.

Zudem erwähnt sie, dass der oben bereits genannte Raue-Kritiker Murawski letztendlich doch für diesen gestimmt habe. „Inhaltlich und intellektuell habe der Kandidat einen hervorragenden Eindruck hinterlassen. Das habe ihn überzeugt.“

Wer ähnliche Ideen lieber in der direkten Rede von Raue selbst zu hören bekommt, klickt rüber zu @mediasres und damit in Raues zukünftigen Beritt, wo er im Gespräch mit Sebastian Wellendorf aber auch erklärt:

„Ein Journalist als Intendant, der wird es sich nicht verkneifen, mal ab und zu auch ein paar Ideen einzubringen. Und ich habe schon ein paar Ideen, die ich gerne mit den Kolleginnen und Kollegen diskutieren würde. Aber das dann, wenn ich das Amt auch antrete“.

Sowie, angesprochen auf die Debatte um seine Wahl, in Aussicht stellt: 

„Ich habe den Eindruck, dass die beiden Gremien - der Verwaltungsrat und der Hörfunkrat - aufeinander zugegangen sind und verabredet haben, über Änderungen im Wahlprocedere auch nachzudenken.“

[+++] Es folgt ein kurzer Blick auf die zweite Wahl des gestrigen Tages, was sich aus zwei Gründen auch aus Medienmediensicht lohnt. 

Zum einen scheinen die Tabloids, vor wenigen Monaten noch für kraftvoll genug zum Herbeischreiben des Brexits gehalten, doch nicht allein einen Wahlausgang bestimmen zu können. 

„The tabloid, owned by Rupert Murdoch’s News Corp, published an editorial on its front page under the headline ,Don’t Chuck Britain in the Cor-bin’ alongside 10 bullet points that described the Labour leader Jeremy Corbyn as a ,terrorists’ friend’, ,useless on Brexit’, ,puppet of unions’ and ,Marxist extremist’. The article said readers could ,rescue Britain from the catastrophe of a takeover by Labour’s hard-left extremists’“,

beschrieb schon gestern früh Graham Ruddick im Guardian die Titelseite der Sun (einen kurzen Überblick über die Krawall-Titel auf Deutsch hat Meedia). 

24 Stunden später kann Jeremy aus der Tonne Mrs „Strong and stable leadership“ zum Rücktritt auffordern

Zum anderen vergeht kein Wahlabend im britischen Fernsehen, ohne dass man als deutscher Zuschauer angesichts des Einsatzes der BBC in die Tischkante beißt und sich fragt, warum ARD und ZDF Jörg Schönenborn und Co. eigentlich nicht durch ein virtuelles Parlament turnen lassen.

###extern|twitter|marcusgilmer/status/872922770715398145###

Oder über eine virtuelle Landkarte.

###extern|twitter|tibor/status/872929712632455168###

Oder die Zwischenergebnisse außen an die Fassade ihres Sendezentrums beamen:

###extern|twitter|BBCNewsPR/status/872926098920701952###

Auch wenn Brenda from Bristol das anders sehen mag: Angesichts des sichtbaren Spaßes an politischer Berichterstattung mit großem Aufwand ist es schon immer schön, wenn die Briten mal wieder wählen. 

[+++] Nach dem großen Whistleblowing-Special gestern auch noch zu erwähnen ist, was das gestrige Public-Viewing Ereignis in den USA, die Aussage des Ex-FBI-Chefs James Comey, zu Tage förderte (Quelle: Washington Post):

„Comey’s prepared remarks and his testimony Thursday confirmed many details that had been reported by The Washington Post, New York Times and other media organizations since he was fired. On Thursday, Comey acknowledged that this was not entirely a coincidence. Comey said he shared copies of his memos documenting his Trump meetings with a ,close friend’ — a professor at Columbia Law School — so this person could share the information with a reporter. (…)

In a later line of questioning, Comey was again asked about his move to have his notes released to a media organization. Comey said instead he felt the document belonged to him as a personal recollection of his conversation with the president, and not the FBI. ,As a private citizen, I felt free to share that. I thought it was very important to get it out,’ Comey said.“

Ganz recht: Der ehemalige FBI-Chef hat bewusst Notizen von Treffen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten an die Presse weitergeleitet, was Mattathias Schwartz und Ryan Devereaux bei The Intercept zu dem Schluss kommen lässt:

„Beneath the mask of the by-the-book, duty-driven Comey was a more cunning man, an operator who quickly identified a dangerous adversary and plotted several moves ahead in order to get the best of him. (…)

Comey knew exactly what would happen if he leaked the memo. ,Didn’t do it myself for a variety of reasons,’ he said, ,but I asked him to because I thought that might prompt the appointment of a special counsel. So I asked a close friend of mine to do it.’“

Die Realität schlägt „House of Cards“ mal wieder um Längen. Aber das wissen wir ja alle schon, also schnell zum


Altpapierkorb.

+++ Die Argumente für und wider die Ausstrahlung der Arte-Doku „Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" (ausführlich am Dienstag, zuletzt gestern im Korb Thema im Altpapier) hat Markus Ehrenberg für den Tagesspiegel zusammengetragen. Auch Claudia Tieschky greift das Thema auf, für die SZ-Medienseite, und findet: „Beim Versuch, die Argumente beider Seiten nachzuvollziehen, gerät man dann allerdings schnell in ein unfassbares Strukturgewirr.“ Bei der FAZ gibt es dazu noch die Meinung von Charlotte Knobloch („Arte befinde sich ,auf einem gefährlichen Irrweg’, die formale Kritik an dem Film erscheine fadenscheinig und vorgeschoben“), und Klaus Vater nutzt derweil die Gelegenheit und fragt sich bei Carta, was diese Ausgewogenheit sein soll, die der Doku fehlen soll. +++

+++ „Vier Minuten später lag er von zwölf Kugeln durchsiebt auf dem Parkplatz. Hingerichtet um zwölf Uhr mittags. Es war bereits der sechste Journalistenmord in diesem Jahr in Mexiko und wie in den meisten anderen Fällen war es auch eine perfide Inszenierung – am helllichten Tag, in aller Öffentlichkeit. Jeder sollte sehen: Wer schreibt, was er will, der stirbt.“  Boris Herrmann berichtet für die Medienseite der SZ über Javier Valdez und Journalismus in Mexiko. +++

+++ „Die Europäische Kommission ist über den deutschen Gesetzentwurf alles andere als glücklich. Über den Alleingang gegen Hetze im Netz. Gerade prüft die Kommission, ob die Pläne mit dem europäischen Recht vereinbar sind und als sich die Justizminister aller EU-Mitgliedstaaten am Donnerstag in Luxemburg trafen, präsentierte Maas beim Mittagsessen seinen Gesetzesentwurf – die Mehrheit seiner Kollegen aber unterstützte ihn bei dem Vorhaben nicht.“ (SZ, S. 7) +++

+++ Ätzende Frauen-Magazine sind ätzend. Aktuell hat das am Beispiel Körperformen-Kommentare durch die Klatsch-Postille Inside Nils Pickert für Pink Stinks aufgeschrieben. +++

+++ Womit sich der Presserat nun auch beschäftigen muss: Online-Umfragen von Online-Zeitungsangeboten und die Frage, wie glaubwürdig diese sind, wenn sie sich einfach mit ein bisschen Cookie-Gelösche manipulieren lassen (Patrick Guyton, taz). Außerdem würdigt dort zu ihrem 20. Geburtstag Peter Praschl die Jungle World. +++

+++ Alice Weidel von der AfD hat sich damit arrangiert, bei „Extra 3“ als Nazi-Schlampe bezeichnet werden zu dürfen und ihre Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts Hamburg zurückgezogen (Pressemitteilung NDR). Tagesspiegel und Meedia berichten (u.a.). +++

+++ Aus der Reihe „Ja was denn nun?!“: „Die Gleichung ist einfach: je leistungsfähiger die Medien, desto geringer die Nachfrage nach alternativen Informationsquellen. Die öffentlichen Sender und die Abonnementszeitungen im nördlichen Europa erzielen denn auch weiterhin hohe Werte punkto Glaubwürdigkeit.“ Schreibt Rainer Stadler in seiner NZZ-Kolumne. Hingegen Christian Jakubetz in seinem Blog: „Die Frage, ob man ,den Medien’ vertraut, ist in dieser Form einigermaßen idiotisch. Zu pauschal, zu wenig spezifiziert. Bei Wunder, dass bei solchen Umfragen regelmäßig herauskommt, was man will.“ +++

+++ Ist der Kampf ostukrainischer Separatisten legitim? Für alle, in deren Filterblase es auf diese Frage nur eine Antwort gibt, lohnt es sich, bei The Buzzard vorbeizusurfen. Das von Vocer und dem Media Lab Bayern geförderte Startup trägt Artikel aus allen Meinungsspektren zusammen und kennzeichnet sie in diesem Fall mit „Ja“ und „Nein“ bzw. „Prowestlich“ und „Prorussisch“. Noch läuft die Beta-Phase. „Besonders innovativ ist der Ansatz, Menschen aus den sozialen Blasen, in denen sie sich befinden, herauszuhelfen, und ihnen schnellen Zugang zu alternativen Sichtweisen zu verschaffen“, meint Vocer. Schonmal schön ist, dass durch deutschsprachige Zusammenfassungen auch der Zugang zu Medien geschaffen wird, deren Sprache man nicht beherrscht. +++

+++ Erinnert sich noch jemand an diese Instant Articles? Die werden den Journalismus auch nicht retten, auf jeden Fall nicht finanziell, hat für Meedia Marvin Schade aus Facebook-Zahlen herausgelesen. +++

+++ „Keine Szenen wie vom Fremdenverkehrsamt gesponsert. Kein Neuschwanstein von der Postkarte. Kein Kini und kein Lohengrin. Kein ,Mia san mia’. Nach Möglichkeit dem Klischee ausweichen, die Themen ein wenig von der Seite angehen und ironisch brechen, so lautete das Rezept.“ Fritz Wolf im aktuellen epd medien (derzeit nicht online) über „24h Bayern“. +++

+++ Die Daten und Infos sind da, man muss sie nur technisch sammeln und anders aufbereitet als als Todholz an den Leser bringen - das hält Lorenz Matzat für die Zukunft des Lokaljournalismus, wie er bei kress.de (als Cross-Post aus seinem Blog) darlegt: „Vielmehr muss es darum gehen, den ,wahren’ Journalismus von dem Service und der reinen Berichterstattung (ohne Analyse und Einordnung) zu befreien. Die aus den Datenströmen gewonnenen Informationsteilchen sind nicht dafür gedacht, zu Beiträge zusammengesetzt zu werden. Nein, sie dienen als eigenständige Einheiten dazu, den einzelnen User spezifisch bedienen zu können: Die Sperrung einer bestimmten Straße wegen Bauarbeiten ist nur für wenige Prozente der ,Leserschaft’ interessant, aber für diese eben sehr relevant.“ Kann man mal drüber nachdenken; die kritische Recherche ersetzt das aber nicht (weiß Matzat aber auch). +++

+++ Über den Facebook-Messenger, mit dessen Hilfe Springers Welt nun Artikel verteilt, informiert bei Horizont David Hein. +++

+++ Überraschung! „Tatort“-Kommissare nehmen es mit geltenden Gesetzen nicht so genau. Das hat ein Uni-Projekt zusammenanalysiert, worüber die Rheinische Post berichtet: „Auf Platz eins der Verstöße der ,Tatort’-Kommissare landet genau diese unzureichende Belehrung von Tatverdächtigen. Verbotene Ermittlungsmethoden landen auf Platz zwei, unzulässige Durchsuchungen auf Platz drei. Auch Hausfriedensbrüche und Verkehrsdelikte stehen auf der Liste der Vergehen.“ +++

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.