Den 29. September 2017 kann man sich schon mal vormerken, zumindest Journalisten, die sich an jenem Tag in Hamburg aufhalten, sollten in Erwägung ziehen, vormittags mal in der Zivilkammer 24 des dortigen Landgerichts vorbeizuschauen.
Petra Reski gegen Jakob Augstein lautet dort das Duell. Im rechtlichen Zusammenhang war es in der Auseinandersetzung zwischen der renommierten Autorin und dem einst renommierten Verleger, Kolumnisten und Spiegel-Gesellschafter zunächst darum gegangen, dass Augstein sich in nassforscher Gutsherrnart geweigert hatte, Reski Rechtsschutz für einen Freitag-Artikel über die Mafia zu gewähren (siehe zum Beispiel dieses Altpapier). „Zapp“ berichtet nun:
„Augstein hatte den Artikel damals als mangelhaft recherchiert dargestellt, sich von der Autorin distanziert und sie im Verfahren nicht unterstützt, da er sich von ihr ‚getäuscht‘ fühlte. ‚Einen schwereren Vorwurf kann man einer Journalistin nicht machen‘, so Reski jetzt zu ‚Zapp‘. ‚Das ist eine schwerwiegende Diffamierung meiner Arbeit.‘“
Die Auseinandersetzung zwischen der in Italien lebenden Autorin und dem Berliner Gutsherrn geht in Hamburg über die Bühne, weil man sich dank des Fliegenden Gerichtsstands das Gericht aussuchen kann, vor das man zieht. Es ist in der Regel jenes, dessen bisherige Rechtsprechung darauf schließen lässt, dass man dort erfolgreich sein wird.
Dass sich ein Kläger diesbezüglich auch verkalkulieren kann, zeigt ein gerade zuende gegangenes juristisches Duell zwischen Jörg Baberowski, dem Berliner „Talkshow-Professor“ (Frankfurter Rundschau), und dem Bremer AStA in Köln. Dem „umstrittenen Asylkritiker“ (FR again) hatte die Art und Weise missfallen, wie man ihn politisch eingeordnet hatte. Dass der Berliner Akademiker „gerade in Köln gegen die Bremer Studierenden klagte“, hänge damit zusammen, dass die Pressekammer des dortigen Landgerichts „bundesweit den Ruf hat, besonders häufig Publikationsverbote zu verhängen“, schreibt die FR. Baberowski oder sein Advokat hatten aber wohl nicht auf dem Schirm, dass die zweite Instanz nicht immer auf Linie der ersten ist:
„In einer Berufungsverhandlung vor dem Kölner Oberlandesgericht (OLG) zog Baberowski jetzt einen in erster Instanz zunächst erfolgreichen Verbotsantrag gegen den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Universität Bremen zurück (…) Baberowskis Anwalt kam damit einer drohenden Niederlage vor dem OLG zuvor.“
Mit den Folgen des Urteils hält die FR natürlich auch nicht hinterm Berg:
„Der Bremer AStA darf jetzt (…) wieder behaupten, der Historiker aus der Berliner Humboldt-Universität verbreite erschreckend brutale gewaltverherrlichende Thesen, verharmlose das Anzünden und Belagern von Flüchtlingsunterkünften als natürliche Reaktion verärgerter Bürger, begegne Menschen mit blankem Hass, stehe für Rassismus und vertrete rechtsradikale Positionen.“
Wer eine Vorstellung davon bekommen will, warum der AStA in Sachen Baberowski all das behauptet hat, kann einen Blick ins Altpapier-Archiv werfen (hier und hier).
[+++] Um auf juristischem Terrain zu bleiben: Demnächst in die zweite Instanz, und zwar in Berlin, geht die Sache Birte Meier vs. ZDF. Im Februar hatte das Berliner Arbeitsgericht ihre Klage in Sachen Lohndiskriminierung abgewiesen (siehe Altpapier). Die Edition F erläutert nun, „warum die Journalistin Birte Meier mit ihrer Klage gegen das ZDF auch anderen Frauen hilft“. So lautet die Headline von Helen Hahnes Artikel. Neben einer „breiten medialen Solidaritätswelle für Birte Meier“, schreibt sie,
„gab es (…) auch Irritationen, ausgelöst auch durch eine fehlerhafte, mittlerweile korrigierte Pressemeldung des Berliner Arbeitsgerichtes. So entstand der Eindruck, die fest-frei beschäftigte Journalistin habe sich nur mit einem mittlerweile pensionierten Kollegen und anderen festangestellten Kollegen verglichen. Dies ist aber gar nicht der Fall, Birte Meier hat ihr Gehalt auch mit dem von Kollegen, die in dem gleichen Beschäftigungsverhältnis wie sie stehen, verglichen.“
Um die Rolle der gemeinnützigen Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die Meiers Klage unterstützt, geht es in dem Beitrag auch.
„(Die GFF) versucht dafür zu sorgen, dass die Öffentlichkeit die korrekten Informationen erhält und übersetzt die komplexe juristische Gemengelage in etwas, das auch ein Laie verstehen kann. So erklärt sie zum Beispiel das Konzept der sogenannten Stufenklage: Die Journalistin klagt nämlich zunächst einmal auf ihr Recht auf eine Auskunft über das Gehalt vergleichbarer männlicher Kollegen. Denn bisher hat sie zwar mündliche Aussagen männlicher Kollegen, die bestätigen, dass sie mehr verdienen als ihre weibliche, ansonsten gleichgestellte, Kollegin, aber mündliche Aussagen reichen vor Gericht natürlich nicht aus, um genaue Ansprüche zu beziffern. Die Journalistin möchte daher erst einmal das ZDF durch das Gericht verpflichten, ihr diese Auskunft zu gewähren. Erst dann kann sie Anspruch auf die Lohndifferenz stellen. Die Lohnauskunft ihres pensionierten Kollegen ist gerade die einzig schriftliche Lohnabrechnung, die die Klägerin vorliegen hat.“
[+++] Vor vier Wochen ging es hier bereits kurz um historische Recherchen zu einer Kooperation der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) mit Nazi-Deutschland. Der AP-Mitarbeiter Matti Friedman beschäftigt sich für das Tablet Magazine nun mit der Frage, inwieweit der Fall auch mit Blick auch auf aktuelle branchenethische Debatten lehrreich sein kann:
„Did the Associated Press (…) collaborate with the Nazis during World War II? A report and new counter-report on this subject offer a few striking lessons—not just for students of history but for anyone concerned with the way news coverage shapes our perception right now.“
„The most relevant example from my own experience as an AP correspondent in Jerusalem between 2006 and 2011 is Gaza, which is controlled by Hamas, and where the AP has a sub-bureau. Running that sub-bureau requires both passive and active cooperation with Hamas. To give one example of many, during the Israel-Hamas war that erupted at the end of 2008, our local Palestinian reporter in Gaza informed the news desk in Jerusalem that Hamas fighters were dressed as civilians and were being counted as civilians in the death toll—a crucial detail. A few hours later, he called again and asked me to strike the detail from the story, which I did personally; someone had clearly spoken to him, and the implication was that he was at risk. From that moment on, more or less, AP’s coverage from Gaza became a quiet collaboration with Hamas (…) Our coverage shifted accordingly (… ) Hamas military actions were left vague or ignored, while the effects of Israeli actions were reported at length, giving the impression of wanton Israeli aggression, just as Hamas wanted.“
Darüber hinaus schreibt Friedman:
„The report on WWII is an opportunity to look again at the automatic bias in favor of ‚access‘, and to ask if things might not be done differently. In the case of Gaza, for example, is the right choice really to have staffers inside, when their reporting can be controlled by Hamas? Or would it be more productive for the AP and others news organizations to report from outside Gaza while working sources on the inside and making use of external players (Egyptian intelligence, Israeli intelligence, Palestinian reporters in the West Bank) to give a more accurate picture of events?“
[+++] Die „Berichterstattungswelle“ (Altpapier gestern), die jene ausgelöst haben, die es für angemessen halten, dass Arte oder der WDR endlich den Dokumentarfilm "Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" zeigen, wird heute von Michael Hanfeld in der FAZ angetrieben. Der Antisemitismus werde „gerade zum ‚normalen‘ Alltagsphänomen“, schreibt der Medienressortchef.
„Wer sich damit befasst, kann es sich nicht bequem machen und Neonazi-Aufmärsche abfilmen, sondern muss unangenehme Fragen stellen, so wie die Autoren Joachim Schröder und Sophie Hafner es vorhatten und, wie namhafte Experten bezeugen, es auch geleistet haben. Wir, die Zuschauer, können uns davon nur leider nicht überzeugen, weil der Film nicht gesendet wird. In einer Zeit, (…), in der ein Brandanschlag auf eine Synagoge in Wuppertal, verübt von drei Palästinensern, vor Gericht als ‚nicht antisemitisch motiviert‘ qualifiziert wird, wäre es die zwingende Aufgabe des von uns allen finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der sich so gern als Demokratiegarant geriert (vor allem wenn es ums Geld geht), an dieser Stelle nicht zu kneifen.“
[+++] Im Fußball ist gerade Sommerpause, sieht man einmal davon ab, dass Optik Rathenow und Germania Halberstadt noch um den Aufstieg in die Regionalliga Nordost spielen. Nicht dass hier der Eindruck entstehen soll, das wäre unwichtig. Der MDR jedenfalls streamt heute Abend live.
Eine der großen Auseinandersetzungen der vergangenen Saison - die zwischen dem Dortmunder Hierarchen Hans-Joachim Watzke und den vom Verein mittlerweile entlassenen Trainer Thomas Tuchel - findet aber weiterhin auf der medialen Bühne statt.
„Der hässliche Dortmunder Scheidungskrieg, der nur Verlierer hinterlässt, ist auch ein Kampf, der über die Medien geführt wird. Und manchmal scheint es: auch von ihnen“,
schrieb dazu Michael Horeni am Sonntag in der FAS. Der letzte Satz bezog sich auf den Umgang von Pro-Watzke-Journalisten mit einer Äußerung des Spielers Marco Reus. Zur Pro-Watzke-Fraktion gehört auch Hendrik Steinkuhl (meedia.de), der in einem Artikel nun darlegt, inwiefern seine die deutlich kleinere sei. „Das Gros der Sportjournalisten“ halte es mit Tuchel.
„Die Ächtung von BVB-Chef Watzke ist ein Sündenfall des Sportjournalismus“,
schäumt Steinkuhl.
„Watzke, das scheint Konsens zu sein, ist ein eitler Technokrat, vielleicht sogar ein Sonnenkönig, der es nicht duldet, wenn neben ihm jemand heller strahlt.“
Mein Eindruck: Pro Tuchel sind die FAS, Die Zeit und die taz („Warum werden Genies in Deutschland krankhaft als Soziopathen denunziert?“ - Peter Unfried am Wochenende mit Bezug auf Tuchel), pro Watzke sind die SZ und der Spiegel (hier geht es zu einem kostenpflichtigen Artikel des Magazins, den die FAS teilweise süffisant aufgreift). Insofern würde ich Steinkuhl nicht zustimmen. Folgende Passage seines Textes ist aber allemal recht unterhaltsam:
„Moritz Müller-Wirth und Cathrin Gilbert (…) machen sich in der Zeit vollständig lächerlich, indem sie Thomas Tuchel zu einem Wiedergänger Hanno Buddenbrooks stilisieren: ‚Da ist Tuchel, der Feingeist, der in seinem Trainingsanzug so zerbrechlich aussieht wie ein Jugendspieler und Fußball auch als Philosophie betrachtet […] ein Trainer, der in einem brutalen Business wie aus Porzellan gemacht scheint.‘“
[+++] Die Formulierung mit dem Porzellan hätte - um mal wieder einen eleganten Übergang hinzulegen - Wolf Schneider bestimmt nicht zugelassen. Aktuell äußert dieser sich in einem kress.de-Interview über die „Spiegel-Sprache“, die sich verändert habe, und zwar „zum Besseren - zum ziemlich guten sogar. Schon Stefan Aust hat Augsteins Sprachmarotten überwiegend beerdigt. An denen aber gibt es nichts zu würdigen.“ Was in dem von Paul-Josef Raue schriftlich geführten Gespräch noch zu finden ist? Wortwechsel wie diese:
„Soll ein Journalist (…) Wörter erfinden?
„Eher nicht."
Ich würde sagen: eher ja. Dass „die großartigsten Einstiege“ für Geschichten „nicht szenisch“ seien, wie Schneider auch noch sagt, würde ich dagegen unterschreiben. Andererseits: Der Superlativ „großartigste“ ist wohl zulässig, man hätte nur nicht vermutet, dass Schneider ihn benutzt.
Altpapierkorb
+++ Im Wirtschaftsteil der SZ (€) befasst sich Caspar Busse mit der Digitalstrategie des Hauses Axel Springer: Der Konzern „expandiert seit Jahren im Internetgeschäft, in Firmen mit Namen wie Stepstone, Ladenzeile.de, Number 26 oder Thrillist. Viele haben mit dem eigentlichen Mediengeschäft kaum etwas zu tun (…) Inzwischen hält die Firma rund 200 Beteiligungen an großen und kleinen Online-Unternehmen weltweit. Gibt es für dieses Sammelsurium von Firmen überhaupt ein Muster? Oder sind das alles nur digitale Wetten, die irgendwann aufgehen müssen?“ Der Mann, der „President Axel Springer USA“ auf der Visitenkarte stehen hat, sagt gegenüber Busse: „Wir sind heute (…) auch in den USA nicht mehr Axel Who?“ Für die aktuelle Ausgabe des journalist (ab S. 40) habe ich mich ebenfalls mit Springers Investitionen im digitalen Bereich befasst, allerdings eher mit Blick auf die (im weiteren Sinne) journalistischen Inhalte.
+++ Wie Springers Bild-Zeitung einmal einem früheren Frankfurter Polizeipräsidenten dankte, der „durch und durch“ ein Nazi war, hat der Bildblog aufgeschrieben.
+++ „Welchen Einfluss hat Sensation auf den Erfolg einer Fake-Nachricht? Beispiel ist die vermeintliche Meldung, der Papst befürworte die Wahl Trumps.“ Das hat Der Standard die am Institut für Publizistik in Wien lehrende Medienkompetenzexpertin Julia Wippersberg gefragt. Sie sagt: „Sensation spielt eine große Rolle. Früher hieß es: Wenn man lügt, soll man so lügen, dass man nicht auffliegt. Das scheint heute überhaupt nicht mehr zu gelten. Das Beispiel Papst ist ein gutes – schließlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass er eine Wahlempfehlung abgeben würde. Meldungen könnten skurriler kaum sein.“
+++ Der ägyptische Fotograf Mahmud Abu Zeid, Künstlername Shawkan, sitzt „seit fast vier Jahren in Haft – ohne Urteil“. Darüber berichtet Karim El-Gawhary für die taz. „Nach zwei Jahren Untersuchungshaft ohne Urteil habe Shawkan laut Gesetz eigentlich freigelassen werden müssen, sagt sein Anwalt Karim Abdel Radi der taz. Das Gericht habe das einfach ignoriert. In der ganzen Zeit seien keine Beweise vorgelegt worden, dass Shawkan irgendetwas anderes als seine Arbeit gemacht habe, sagt Abdel Radi weiter.“
+++ Al Dschasira sei nicht mehr unabhängig, sondern „Teil des politischen Handelns von Katar“ - so fasst der Tagesspiegel Äußerungen des Nahost-Experten und ARD-Moderators Constantin Schreiber zusammen.
+++ Jörg Seewald kritisiert auf der FAZ-Medienseite den „Plan der EU, das ‚Territorialitätsprinzip‘ bei Online-Rechten an Filmen zu kippen“. Worum es geht? „Das Territorialprinzip besagt, dass Lizenzen zur Rechteverwertung von Medieninhalten exklusiv und länderbezogen vergeben werden – auch online. Ein Film in der Mediathek von ARD oder ZDF, für den die Sender nur die deutschen Rechte erworben haben, kann bis dato nur über einen Internetzugang angesehen werden, der sich innerhalb Deutschlands befindet. Die geplante EU-Verordnung sieht vor, dass eine Lizenz, die an einen EU-Staat vergeben wird, künftig für die ganze EU gilt.“
+++ Über die Programmreformen bei WDR 2 und WDR 4 berichtet die Medienkorrespondenz - unter besonderer Berücksichtigung der Gemengelage rund um die neue, viermal pro Woche zu hörende Gesprächssendung „WDR 2 Jörg Thadeusz“.
+++ Der WDR gehört auch zu den Gesellschaftern des Grimme-Instituts, aus dessen Kreis die Film- und Medienstiftung NRW demnächst aussteigt, wie ebenfalls die MK berichtet. Die Anteile übernimmt die Stadt Marl, die überregional selten einmal ohne den Grimme-Kontext Erwähnung erfindet, aktuell anlässlich einer Ausstellung mit dem Titel „The Hot Wire“ dann aber doch, und zwar recht umfangreich im FAZ-Feuilleton.
+++ Im „Journal“ der Medienkorrespondenz schließlich würdigt Dietrich Leder den heute 83-jährigen Schauspieler Ernst Jacobi, „der einst ab den 1960er Jahren ein Star des deutschen Fernsehfilms war“ und nun gerade wieder in zwei aktuellen Filmen zu sehen war, darunter Dominik Grafs „Am Abend aller Tage“ (siehe Altpapier)
+++ Arte-Dokumentarfilmfestival (siehe Altpapier), 2. Tag: Claudia Tieschky (SZ) empfiehlt, wenn auch nicht uneingeschränkt, „90 Jahre sind kein Alter“, einen Film über einen Tanzworkshop für Demenzkranke.
+++ Bei Sat 1 startet heute „Dem Tod auf der Spur“, die Show von Michael Tsokos, Leiter des Institut für Rechtsmedizin der Charité. Im Interview mit dem Tagesspiegel sagt er: „Wenn Sie wissen wollen, warum ich jetzt auch noch Fernsehen mache, dann ist die Antwort einfach: Für mich ist das eine Form des Wissenstransfers.“
Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.