Interviews mit interessanten Menschen bleiben ein beliebter Medieninhalt. Sie werden weiterhin gerne in schriftbasierten Medien gelesen, im Radio gehört und im Fernsehen selbst dann in mindestens ausreichendem Ausmaß eingeschaltet, wenn es nichts weiter zu sehen gibt als talking (sowie listening) heads. Interviews als Live-Ereignis vor "rund 70.000 Menschen" sind noch relativ selten. Der Erfolg des großen Obama-Merkel-Interviews in Berlin könnte ihnen einen Schub gegeben haben.
Unmittelbar vom Kirchentag wird natürlich ausführlich hier nebenan berichtet. Barack Obamas Auftritt nimmt aber auch überall sonst breiten Raum ein, schon weil er so schön spiegelbildlich die tagesaktuellen Äußerungen seines Nachfolgers im Amt des US-amerikanischen Präsidenten kontert, an dessen Lippen deutsche Medien ja weiterhin hängen. Zwischenzeitliche Fragen in Folge eines Rückübersetzungsproblems, ob Donald Trump die Deutschen nun "evil" oder "bad" genannt hat, sind inzwischen zugunsten des (womöglich weniger bösen) "bad" beantwortet. Wobei ein "very" aber jedenfalls einmal vorm Adjektiv stand ... Falls Sie das interessiert: Am nächsten dran an Trumps Mund beim Treffen "mit der EU-Spitze" war der Spiegel.
Der Kirchentags-Auftakt an sich, das Obama-Merkel-Ereignis und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm als der Interviewer, der dabei "nicht nur Wohlfühlfragen" stellte, erfuhren bereits auch medienmedial Lob, also für den Fernsehinhalt, den sie ebenfalls darstellten:
"Die Sender handeln mit diesem Programm richtig, weil sie am Feiertag Gedankenfutter liefern. Aber auch das stimmt: ARD und ZDF sorgen nicht selbst dafür, sie besorgen nur die Übertragungstechnik. Über den Programmauftrag darf weiter nachgedacht werden",
gibt mit Joachim Huber (Tagesspiegel) einer der besten Kenner des ARD/ ZDF-Programms, die wir haben, zu Bedenken.
Hier nebenan steht eine durchaus auch kritische Zusammenfassung des Obama-Merkel-Ereignisses:
"Barack Obama ist von vielen gesehen worden, doch sein Auftritt wird vermutlich eher nicht in die Geschichtsbücher eingehen",
schließt evangelisch.de-Redakteurin Lena Ohm. Sollten Ihnen der Sinn doch eher nach einem reinen Wohlfühlartikel stehen: Klicken Sie zu Springers welt.de. Die Fanboy-Perspektive, die Uwe Schmitt strengstens einnimmt, könnte wiederum mit der weiteren Agenda Barack Obamas bei seinem Deutschland-Besuch zusammenhängen.
Schließlich wurde der Alt-US-Präsident, kaum in Berlin gelandet, "am Mittwochabend im Journalisten-Club bewirtet", begrüßt von "einem der wohl engagiertesten Transatlantiker Deutschlands". Das berichtet kress.de (dessen Redaktionsleiter Bülend Ürük wirklich mal ein wohlmeinender Kollege vor seiner ungehemmt ausgeschriebenen Springerphilie schützen müsste).
Und nach der Stippvisite in Berlin war Obama dann nach Baden-Baden gejettet, um als Nachfolger u.v.a. Jogi Löws (Altpapierkorb im April) den bekannten Deutschen Medienpreis in Empfang zu nehmen. Einen Blick auf die üppige Fotogalerie vom Roten Teppich vor der dezenten Media-Control-Fotowand müssen Sie werfen; die tapferen Charisma-Bemühungen vieler prominenter Gäste lassen Obamas unfassbares Charisma auch im unbewegten Bild umso schöner funkeln. Sollten Sie gerade knapp 114 Minuten Zeit haben, halten die Ausrichter dieser Veranstaltung auch das Ganze als Bewegtbild bereit. Zu hören gäbe es u.a. die Laudatio des frisch gebackenen Alt-Präsidenten Joachim Gauck.
Doch die Weltlage ist bekanntlich nicht so, dass ausschließlich ausgelassen auf roten Teppichen gepost werden kann ...
[+++] Am krassesten, zumindest von Europa aus gesehen, geht es in der Türkei zu, etwa auch direkt an der Grenze zur EU:
"Murat Capan ... sei bei seiner versuchten Flucht in die EU festgenommen worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Er habe als Teil einer achtköpfigen Gruppe versucht, beim Ort Uzunköprü illegal die Grenze nach Griechenland zu überqueren",
meldet Spiegel Online. Capan ist einer der beiden unglücklichen Chefredakteure, die wegen einer Zeitschriftentitelseite, die Jan Böhmermann nicht einmal müde belächeln würde, gerade zu sage und schreibe 22 Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden ist (APkorb vom Dienstag).
Den Herausgeber der Sözcü, der zu seinem Glück in London weilte, als seine Mitarbeiter in der Türkei verhaftet wurden, Burak Akbay, hat Hasnain Kazim ebenfalls für SPON interviewt. Am interessantesten vielleicht ist, was die Bezeichnung "nationalistisches Boulevardblatt", die wir hier am Montag zitierten, bedeutet: zum Beispiel Fotomontagen von "Angela Merkel mit Hitler-Bärtchen und Nazi-Uniform" nach der Armenien-Resolution im Bundestag. Und dass selbst solch ein Journalismus inzwischen von Erdogans Meute verfolgt wird. Akbays Aussagen wie die, dass "kein Vertrauen mehr in die türkische Justiz" hat, überraschen da wenig.
Sonst noch aus der Türkei zu vermelden ist, dass am 14. Juni in Istanbul das Gerichtsurteil unter anderem gegen Can Dündar verkündet werden soll, der zu seinem Glück in Deutschland weilt. Mehrere derselben Sache, also des Publikmachens der Zusammenarbeit türkischer Geheimdienste mit islamistischen Terroristen, angeklagte Cumhuriyet-Journalisten sitzen "seit mittlerweile mehr als 200 Tagen in Untersuchungshaft", also doppelt so lange wie Deniz Yücel. Im selben Artikel weist die TAZ außerdem auf einen Hungerstreik in einem türkischen Gefängnis hin: In dem befände sich der französische Fotoreporter Mathias Depardon, weil er aus seiner Abschiebehaft "bislang nicht abgeschoben wird und der französischen Botschaft auch der Zugang zu ihm verweigert wird".
Dass Staatschef Erdogan seinem frischgebackenen französischen Kollegen beim NATO-Gipfel mit den erwähnten Trump und Merkel versprochen habe, den Fall rasch untersuchen zu lassen, berichtet (auf französisch) lemonde.fr.
Falls Sie sich fragen, ob es türkischen Medien denn an Inhalten, wenn so viele Journalisten aller Couleurs hinter Gittern sitzen, hat die TAZ noch einen interessanten Bericht über die "aufwendige Desinformationspolitik", die dort betrieben wird:
"Zugpferd der Desinformationsstrategie ist die Medienkonzentration der regierungsfreundlichen Medienhäuser: allen voran Staatssender TRT, die Nachrichtenagentur Anadolu", eben oben erwähnt, "und die unzähligen Privatsender und Zeitungen",
berichten Canset Icpinar und Ebru Tasdemir. Und die türkischen Staatsmedien, an denen globale Trends ja ebenfalls nicht vorbeigehen, adaptieren enteprechende Begriffe ebenfalls. So haben sie etwa den Internetauftritt factcheckingturkey.com samt Twitter-Account @FactCheckingTR ersonnen. Wer für künftige Argumentationen einen Beleg dafür, dass Factchecking auch erst mal nur ein Wort ist und alleine noch überhaupt nichts bedeutet, braucht, sollte sich das merken.
Getwittert wird dort auf Englisch, denn Desinformations-Strategien müssen natürlich außer national immer auch global funktionieren. Die TAZ berichtet insofern über die Einladung "amerikanischer Journalist*innen" durch die türkische Regierung sowie über Anzeigen in der FAZ. Zufällig gibt's heute ein tagesaktuelles Beispiel dafür: Im Wirtschaftsressort der FAZ auf Seite 21 wirbt ganzseitig der CEO Turkey von Vodafone, einem der der Anzeige zufolge "größten Direktinvestoren in der Türkei", für die Internetseite turkeydiscoverthepotential.com.
Heißt auch: Wer die Lage in der Türkei für finster hält und gerne nicht Kunde bei Firmen ist, die aus seiner Sicht schlimme Entwicklungen unterstützen, könnte sich nun andererseits überlegen, ob er noch Kunde bei Vodafone bleiben oder werden möchte ...
+++ Wieder eine Zahl mehr zum IRT-Skandal, also dem (Altpapier) um das Institut für Rundfunktechnik, bei dem vor allem der Bayerische Rundfunk sich über Jahrzehnte hinweg um dreistellige Millionensummen behumpsen ließen, ohne es im geringsten zu bemerken: "Mehr als zweihundert Millionen Euro hätten dem Institut seit 1996 für die Verwertung seiner Mpeg-Audio-Patente zugestanden. Doch wusste der Anwalt, wie der Bayerische Rundfunk mitteilt, die Verträge so zu gestalten, dass dem IRT in den Jahren 2003 bis 2014 gerade einmal 13,75 Millionen Euro zuflossen", melden FAZ und die SZ. Nun werde aber "mit Hochdruck" geprüft, "ob Fehler bei der Beurteilung des Potentials der Patente und seiner Verwertung gemacht wurden ...", lässt der Justitiar des Bayerischen Rundfunks als Mitglied einer nun einberufenen "internen Ermittlergruppe" verlauten. Vielleicht sollte einfach der Rundfunkbeitrag um einen Betrag erhöht werden, der es den Öffentlich-Rechtlichen zukünftig erlaubt, die Potenziale ihrer vielen vielen Tochterfirmen und -institutionen besser einschätzen zu können. +++
+++ Facebook-Neuigkeiten: "Facebook unterscheidet bei der Sperrung von Holocaustleugnung zwischen Ländern, in denen sie verboten ist und Ländern, in denen dieses Verbot von staatlicher Seite auch kontrolliert wird." Nur in letzteren, nämlich in Deutschland, Frankreich, Israel und Österreich, wird gesperrt (heise.de mit Bezug auf den Guardian). +++ Derselbe Guardian und die NYT zählen zu denen, die bei Facebooks "Instant Articles"-Angebot nicht mehr mitmachen. Aber Spiegel Online sehe weitherin "mehr Vorteile als Nachteile." "'Die Erkennbarkeit der Marke geht auf Facebook ein Stück weit verloren', sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Wiebke Loosen vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg. Schon jetzt sei es so, dass viele Nutzer auf die Frage, woher sie ihre Nachrichten bekommen, schlicht 'Facebook' antworteten ..." (DPA/ heise.de). +++ Wo Facebook US-amerikanisches Videomaterial einkauft, um die Verweildauern seiner Nutzer weiter zu erhöhen, meldet der Standard via theverge.com. +++
+++ Die New York Times hat" forensische Fotos von Teilen der Bombe", mit der in Manchester ein Islamist viele Menschen tötete, veröffentlicht, bevor die britische Polizei das für richtig hielt. Diese "Manchester Leaks" (Süddeutsche) haben zumindest zeitweise die Zusammenarbeit der eigentlich beim Ausspähen engstens kooperierenden Briten und US-Amerikaner belastet. +++ Wie 4chan-Trolle die Trauer der echten Opfer und angeblicher, aber völlig Unbeteiligter ausnutzen, berichtet die FAZ-Medienseite (siehe auch APkorb vom Mittwoch). +++
+++ Zurück zum Kirchentag: "Hart aber fair" sei es zugegangen, "jedenfalls verglichen mit Talkshow-Runden im Fernsehen", bei der AfD-Diskussion auf dem Kirchentag, über die ebenfalls diverse Medien berichten. "'We shall overcome' sang ein Chor im hinteren Teil der Kirche, ließ sich jedoch von den Ordnungskräften hinausgeleiten. Ein Ordner schützte die Steckdosen der Technik, nachdem Besucher gehört hatten, wie einer der Sänger beim Hinausgehen sagte: 'Wir müssen hier den Stecker ziehen'" (evangelisch.de, wo es überdies um einen "Twitter-Sturm" wegen eines Tweets zu dieser Veranstaltung geht). +++ Ebenfalls auf dem Kirchentag befürchtete Innenminister Thomas de Maiziere "eine Beeinflussung der Bundestagswahl durch Fake News", "wenn etwa drei Tage vor der Bundestagswahl 'durch böswillige Aktionen vielleicht von außerhalb Deutschlands' beispielsweise ein hochrangiger Politiker der Steuerhinterziehung beschuldigt würde" (Standard). +++
+++ Zurück zu Trump: Hat ihn die am Dienstag im Altpapierkorb via welt.de zitierte Studie, derzufolge er nirgendwo in der Berichterstattung so schlecht wegkäme wie in der ARD so zornig auf die Deutschen gemacht? Dabei stimmt sie gar nicht richtig (Stefan Niggemeier, uebermedien.de; TAZ). +++
+++ Die EU hat wieder an ihrer Richtlinie für audiovisuelle Medien gefeilt (FAZ-Wirtschaft). +++
+++ "Unter dem 'Anschluss der Zukunft' versteht die Deutsche Telekom also surfen mit einem Drittel weniger Geschwindigkeit" (Thomas Knüwer,
indiskretionehrensache.de) +++ Das Telekom-Angebot namens "Stream On" (siehe zuletzt dieses AP) verstoße gegen die Netzneutralität, weil "bei näherer Betrachtung ... gerade für kleine Inhalteanbieter viele Fallen im Zero-Rating-Angebot" lauerten (netzpolitik.org). +++
+++ "Nahezu alle wichtigen Fernsehduelle der jüngeren Vergangenheit, ob zwischen Trump und Clinton in den USA, zwischen Van der Bellen und Hofer in Österreich und zwischen Macron und Le Pen in Frankreich waren mittelschwere Katastrophen, die mit Hilfestellung bei der Meinungsbildung nicht viel zu tun hatten. Ganz abgesehen von den zwischenmenschlichen Abgründen ..." (Christian Meier fordert bei welt.de neue Format-Ideen, hat aber noch keine). +++
+++ Der neue Netflix-Film mit Brad Pitt als US-amerikanischer Kommandeur in Afghanistan wirke "in etwa so, als zeige einem jemand zwischen zwei Miss-Piggy-Bildern das Foto eines geschlachteten Schweins: Man hat keine Ahnung, was man damit anfangen soll, aber man weiß, dass man es weder besonders lustig noch besonders erschütternd findet" (Süddeutsche). +++
+++ Und das neulich hier erwähnte große epd medien-Interview mit der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, die darin "wie ein Pressemitteilungs-Roboter" klänge, steht inzwischen frei online. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.