Ein bisschen befremdlich ist es schon, aber doch gute Tradition: Wenn Journalisten sich gegenseitig mit Preisen bedenken, laden Sie sich als Redner gerne Politiker ein, welche diese zu kritischer Berichterstattung auch ihnen gegenüber ermahnen, was die Journalisten wiederum wie begeisterte Fanboys über Twitter verbreiten. So geschehen auch gestern Abend, als in Hamburg der um seinen Vornamen beraubte Nannen-Preis verliehen wurde und Außenminister Sigmar Gabriel schöne Sachen sagte wie
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Und
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Oder
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Aber auch
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Womit dem oben Kritisierten gleich eine Einschränkung entgegengestellt wäre. Denn auch wenn Journalisten und Politiker es sich verdammt nochmal nicht zu kuschelig zusammen machen sollten, ist es doch auch schön, zu wissen, dass hierzulande beide Seiten etwas von der Pressefreiheit halten.
Preise wurden auf der Preisverleihung natürlich auch verliehen, an - wer hätte das gedacht? - Die Zeit, Stern, Geo & Co (Voilà), aber auch ein
„Sonderpreis an die türkische Fernsehmoderatorin Banu Güven, die seit 2014 für den kurdischen Fernsehsender IMC arbeitete. Im September 2016 wurde der Sender laut ,Stern’ von der Polizei wegen angeblicher Nähe zu Terrororganisationen geschlossen. Güven machte in sozialen Medien weiter, unter anderem mit einem Podcast auf Facebook.
Sie und ihre türkischen Kollegen seien in großer Sorge um ihre Zukunft, berichtete Güven. Sie erinnerte an mehr als 150 in der Türkei inhaftierte Journalisten und an ihren Freund, den früheren Zeitungsherausgeber Hrant Dink, Nannen-Preisträger 2006. Im darauffolgenden Jahr war er in Istanbul auf offener Straße erschossen worden. ,Es geht uns etwas an, was dort passiert. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir nichts tun’, sagte „Stern“-Chefredakteur Christian Krug zu den aktuellen Entwicklungen in der Türkei.“ (dpa/faz.net).
In diesem Sinne unterbrechen wir das Programm an dieser Stelle für einen Veranstaltungshinweis: Anlässlich des Tages der Pressefreiheit am kommenden Mittwoch, 3. Mai, lädt die Initiative Freundeskreis #FreeDeniz um 17 Uhr zu Kundgebung und Solidaritätskonzert vor das Brandenburger Tor in Berlin.
„Die Kundgebung wird unter anderem unterstützt von der ,taz’, Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, der ,Welt’ und der ,Bild’. Damit soll nicht nur Solidarität mit Yücel, sondern auch mit allen weltweit inhaftierten Journalisten demonstriert werden“,
meldet Springers Welt, womit ein weiterer Beweis für ungewöhnliche Allianzen erbracht wäre, die sich angesichts der Lage in der Türkei im Allgemeinen und Deniz Yücel im Speziellen gerade formen und die am Mittwoch hier schon Thema waren.
Um das Gleichgewicht zu wahren, sei zudem Doris Akrap aus der taz zitiert:
„Aber es geht uns nicht nur um Deniz. Er ist nicht alleine. In der Türkei sitzen über 150 Journalisten wegen ähnlich absurder Vorwürfe im Knast. Weltweit sitzen mindestens 350 Journalisten im Gefängnis. Das ist irre. Jeder weiß, dass es ohne Pressefreiheit keine Meinungsfreiheit gibt, keine Demokratie und damit kein gutes Leben. (…) Kommen auch Sie. Kommt alle. Feiert und zeigt den inhaftierten Journalist*innen, dass wir sie nicht vergessen. Und denjenigen, die meinen, sie könnten uns unterkriegen: Das schafft ihr nicht.“
[+++] Mit Dingen, die unter Männern in vermeintlich trauter Runde besprochen und vereinbart werden, nimmt Helmut Kohl es sehr genau. Gerade sein Biograf hätte das wissen können. Und doch mochten Heribert Schwan und sein Ko-Autor Tilman Jens nicht darauf verzichten, gegen Kohls Willen in ihrem Bestseller „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" aus Gesprächen, die Schwan als beauftragter Ghostwriter 2001 und 2002 mit Kohl geführt hatte, zu zitieren. Die Zitate waren schon kurz nach der Veröffentlichung 2014 vom Landgericht Köln kassiert worden. Nun folgte gestern die Festlegung des Schadensersatzes in Höhe von einer Million Euro - weniger als die geforderten fünf Millionen, aber mehr als irgendwann sonst.
„Nach Überzeugung des Gerichts durfte nur Kohl selbst entscheiden, welche seiner Aussagen veröffentlicht werden sollten und welche nicht. Schwan habe mit dem Buch seine Verschwiegenheitspflicht und seine Pflicht zur Geheimhaltung verletzt. Schwan selbst hatte immer erklärt, wenn Kohl etwas wirklich Vertrauliches gesagt habe, habe er ihn jedes Mal aufgefordert, den Kassettenrekorder auszustellen“,
meldet die dpa via Meedia. Detlef Esslinger präzisiert in der SZ auf S. 4:
„Dass es nun eine Million Euro wurden, bedeutet zweierlei: Erstens, dass die Richter hier ,eine besondere Schwere’ des Eingriffs ins Persönlichkeitsrecht sehen, wie sie in der Pressemitteilung zum Urteil schrieben. (…) Kohl habe ein Recht auf Genugtuung. Dies wiege hier schwerer als das öffentliche Interesse. Zwar solle die Presse mit der Entscheidung nicht eingeschüchtert werden, doch müsse hier ,eine spürbare Konsequenz’ folgen. Indem die Richter Kohl aber nur 20 Prozent der geforderten Summe zugestanden, bedeutet das Urteil zweitens zugleich, dass Kohl 80 Prozent der Kosten des Rechtsstreits tragen muss, Schwan, Jens und Random House jedoch nur 20 Prozent.“
Wenn Journalisten nicht das schreiben, was Politiker sich vorgestellt hatten, kann es richtig teuer werden - so kann sich das Verhältnis zwischen beiden Parteien also auch darstellen, scheint dieser Fall zu vermitteln. Doch auch das präzisiert Esslinger, diesmal im dazugehörigen SZ-Kommentar:
„Der Journalist Schwan war einst nicht als Journalist bei Kohl, sondern als Geschäftspartner. Nur deshalb erfuhr er Dinge, die ein Journalist niemals erfahren hätte. Er ist nicht der Erste, der sich mit Kohl zerstritt, wohl aber der Erste, den dies zu einem gigantischen Vertrauensbruch animierte. Was ist rätselhafter: dass Schwan diese Schändlichkeit nicht begriff, oder dass er dieses Prozessrisiko einging?“
Die Frage, wie vertraulich etwa Hintergrundgespräche behandelt werden müssen, ist ja eine derzeit schwelende Debatte - Tagesspiegel-Redakteur Jost Müller-Neuhof hat gerade erst eingeklagt, dass zumindest veröffentlicht werden muss, wer wann und wo mit der Bundesregierung konferierte (Altpapier). Nun nutzt Reinhard Müller die Gelegenheit, sich in seinem FAZ-Kommentar zum Team Vertraulichkeit zu bekennen:
„Aber wenn Vertraulichkeit zugesichert war, dann ist die Veröffentlichung der Bruch einer Abrede und eine Bloßstellung. Hier ging es zwar um ein Buchprojekt – doch hat die (noch nicht rechtskräftige) Entscheidung größere Bedeutung. Außer im Fall überragenden öffentlichen Interesses muss Vertrauliches vertraulich bleiben. Davon leben gerade Autoren, die Missstände schonungslos aufdecken wollen.“
Dem zum Trotz wird es immer wieder Fälle geben, in denen Journalisten sich für eine Veröffentlichung entschließen sollten, würde ich behaupten. Lästernde Zitate über Wissenslücken beim Essbesteck-Einsatz würde aber auch ich nicht dazu zählen.
[+++] Politiker und Journalisten, zum Dritten:
„Mit Ausnahme des brillianten Zeit-Geschäftsführers Rainer Esser hat Helmut Schmidt mir klügere und vorurteilsfreiere Fragen über den Online-Journalismus gestellt als irgendjemand sonst bei der Zeit.“
Das sagt Wolfgang Blau, mittlerweile Chief Digital Officer bei Condé Nast, im Interview mit Oliver Nermerich bei t3n sowie erschreckend viel über die Online-Begeisterung von Zeit-Redakteuren, zumindest noch vor ein paar Jahren (Blau ist ja schon seit 2013 nicht mehr Chefredakteur von Zeit Online).
Auch sonst lohnt sich das Interview, einfach weil Online viel zu selten so sehr als Chance für mehr Qualität im Journalismus angeführt wird:
„t3n Magazin: In einem Interview sagtest du kürzlich, dass der mobile Journalismus vermutlich die besten Texter der Branche hervorbringen und am Ende auch zu besserem Printjournalismus führen wird. Warum?
Auf dem Smartphone ist der jeweils sichtbare Textausschnitt in der Regel so klein, dass der erste Absatz exzellent sein muss, oder der Leser ist weg. Bei Magazinlesern oder Deskop-Usern ist das anders. (…) Auf dem Smartphone muss hingegen zwischen jedem weiteren Scrollen der jeweils sichtbare Textausschnitt wieder so gut sein, dass ein User die unbewusste Entscheidung trifft, noch einmal zu scrollen.“
Außerdem geht es um Chatbots, die mal nicht die Demokratie zerstören, sondern dem Journalismus nutzen könnten, und das ist doch eine schöne Abwechslung.
+++ Liest sich wie das üble Geschacher einer inzestuösen Familie um die Vererbung des Hofes, ist aber Ulrike Simons RND-Kolumne zu der Frage, wer Volker Herres als ARD-Programmchef nachfolgen könnte, dessen Vertrag 2018 ausläuft. +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite meldet derweil Rüdiger Soldt über den neu zu besetzenden Intendantenposten beim Deutschlandradio: „Der Chef der Staatskanzlei in Stuttgart, Klaus-Peter Murawski, will sich in der Hörfunkratssitzung am 8. Juni in jedem Fall ,widerständig’ verhalten, falls, wie berichtet, vom Verwaltungsrat der Chefredakteur des Mitteldeutschen Rundfunks, Stefan Raue als Intendant vorgeschlagen wird.“ Zudem auf der Seite: Oliver Jungen über den Serien-Summit („Qualität sei hierzulande kein Erfolgsgarant – ganz im Gegenteil. Peter Nadermann, der Geschäftsführer der Produktionsfirma Nadcon Film, machte die Schuldigen in den öffentlich-rechtlichen Sendern aus: Man betreibe hier Erwartungserfüllung statt Publikumserziehung. Die Folge sei, dass Ambitioniertes abgelehnt werde, anders als etwa in Skandinavien.“) +++
+++ Neuer Ärger wegen Puls, dem Richtung UKW-Frequenz von BR Klassik strebenden jungen Radioangebot des Bayrischen Rundfunks: 38 Privatradios klagen gegen den Umzug. „Die Privaten sehen durch das neue Angebot des öffentlich-rechtlichen Konkurrenten ihre Werbeeinnahmen gefährdet: Zwar solle Puls selbst werbefrei sein, es werde aber Hörer von den Privatsendern abziehen, was direkte Auswirkungen auf die Preise der Spots haben werde. (…) Mit zwei Hebeln soll versucht werden, dem BR den Frequenztausch zu verbieten: mit den Regelungen des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und mit dem Kartellrecht.“ (Stephan Handel, SZ Medienseite). Gestern wurde vor dem Oberlandesgericht München verhandelt; Entscheidung ist wohl Ende Juli. +++
+++ Wer sich beim SWR über das Programm beschweren möchte, muss eine kostenpflichtige Hotline anrufen. Kolumniert bei @mediasres Silke Burmester. +++
+++ „Die Freien müssen immer mehr leisten für Hörfunk, Fernsehen und jetzt Multimedia. Es ist ein immenser Arbeitsdruck, der sich allerdings nicht in angemessenen Honoraren widerspiegelt. Als Gruppe sind wir bisher nicht so in Erscheinung getreten, das wollen wir jetzt ändern.“ Zitiert Thomas Klatt in der taz den SWR-Journalisten Stefan Tiyavorabun, Sprecher des neuen ARD-Freienrates. Außerdem rezensiert Anne Fromm SZ Familie, das Doppelmagazin für Eltern und Kinder: „Weniger hip als Nido, nicht so bieder und pädagogisch wie Eltern. (…) Das liest sich alles schön weg, transportiert aber immer auch ein exklusives Familienbild.“ +++
+++ Bevor Focus Online sich am Auflagen- und Bedeutungsverlust der Bild-Zeitung erfreute, hätte es besser mal „Focus“ und „IVW“ gegoogelt, meint bei Meedia Marvin Schade. +++
+++ „Die Reportage wird als journalistisches Genre immer wichtiger. Nachrichten verlieren an Bedeutung, es gibt sie immer und überall, in Form der Wahrheit ebenso wie der Lüge. Reportage gibt es in Form der Lüge eigentlich nicht. Reportage heißt immer auch, etwas persönlich in Augen- schein zu nehmen.“ Fritz Wolf schreibt in der aktuellen Ausgabe epd medien über die Fernsehreportage im Allgemeinen und Artes „Re“ im Speziellen. +++
+++ Der Springer-Verlag hat in seine Verlagsgrundsätze ein paar „Wirs“ eingefügt, dokumentiert das Bildblog. +++
+++ Print verkauft sich doch. Zumindest, wenn es in den Farben des Regenbogens daherkommt, belegt Mats Schönauer bei Übermedien. +++
+++ Über Jakob Gokl, der für die Schaumburger Zeitung/Lippischen Landeszeitung richtigen Lokaljournalismus (mit Recherche und so!) machen darf, berichtet bei kress.de Anna von Garmissen. „Als sich vor einigen Jahren eine Untergruppe der Reichsbürger, die sich selbst als ,Germaniten’ bezeichnet, im Verbreitungsgebiet des Blatts niederließ und in einem heruntergewirtschafteten Hof eine ,Botschaft’ eröffnete, durfte Gokl sich immer wieder aus dem Tagesgeschäft herausziehen, um über die rechtsextreme Bewegung zu recherchieren. Herausgekommen sind Berichte über Hausbesetzungen und Zwangsversteigerungen, über sektenartige Verflechtungen, gewaltaffine Anhänger abstruser Verschwörungstheorien und einen Betroffenen, der versucht auszusteigen.“ +++
+++ Nikolaus von Festenberg hat im Tagesspiegel mal wieder einen großen Auftritt. Diesmal bespricht er die ARD-Krimis „Allmen und das Geheimnis der Libellen“ sowie „Allmen und das Geheimnis des rosa Diamanten“, die kommenden und den darauf folgenden Samstag um 20.15 Uhr laufen: „Es beweist Risikobereitschaft, dass ausgewiesene TV-Ritter im Orden gesellschaftlicher Relevanz-Fiktionisten wie Nico Hofmanns Ufa Fiction, der Drehbuchautor Martin Rauhaus (,Die Eisläuferin’) und der Regisseur Thomas Berger (,Neben der Spur’) dem Leidenskanten Heino Ferch (,Spuren des Bösen’) eine Perücke aufsetzen und ihn einen scharlatanesken Schweizer Adeligen spielen lassen, der nach der Null-Problemo-Devise handelt: Spiel mir das Lied vom Spielen.“ Auf der Medienseite der SZ meint Katharina Riehl: „Johann Friedrich von Allmen ist eine wirklich hübsche Figur, was man selbstverständlich ausschließlich seinem Erfinder Martin Suter zugutehalten muss. Wahr ist aber auch, dass die beiden Filme (…) noch mehr aus ihr machen als die Romane.“ +++
Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag. Schönes, langes Wochenende!