„Es ist jetzt schon magisch“
Erleben wir gerade, dass die taz und Springer zum ersten Mal „zusammen dieselbe Sache unterstützen“? Warum findet jene Form der Medienkritik, die derzeit besonders notwendig ist, überwiegend in Nischenmedien statt? Außerdem: Ein Sportmoderator, der Distanz wahrte und auf seine Sprache achtete, wird 90 Jahre alt. Die Urteile über „Katharina Luther“ fallen unterschiedlich aus.

Zu den unschönen Phänomen des heutigen Informationsfernsehens gehört die Redundanz. Ob in Magazinbeiträgen oder 30- oder 45-Minütern: Gern wird etwas gesagt, was der Zuschauer sowieso sieht, und auch so manche Information wird doppelt, wenn nicht gar dreifach präsentiert. Der Sportmoderator und -reporter Ernst Huberty, der heute 90 Jahre alt, war nie redundant, und er wirkte zudem in einer Zeit, in der die Sportberichterstattung noch ohne einen Anflug des Zweifels dem Informationsfernsehen zugeordnet werden konnte.

„Heute wird jeder Torschuss von Wolff Fuss und Konsorten zum Event stilisiert, früher sagte Huberty lediglich: ‚Wohin der Ball ging, Sie sahen es.‘ Und man fragt sich, was daran altmodisch sein soll. Huberty war Distanz, und Distanz ist eine sportjournalistische Tugend“,

schreibt Peter Ahrens bei Spiegel Online, und das erschließt sich auch jenen, die das haushohe Glück haben, nie von Wolf Fuss gehört zu haben. Dietrich Leder (Medienkorrespondenz) ergänzt:

„Dass man bei der Fernsehberichterstattung im Kommentar nicht das erwähnen muss, was der Zuschauer selbst im Bild sehen kann, wurde zu einem Credo, an das sich Huberty als Kommentator von Live-Spielen hielt. Beispielsweise als er 1970 bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Mexiko das Halbfinalspiel zwischen Deutschland und Italien kommentierte, das später als ‚Jahrhundertspiel‘ bezeichnet wurde. Huberty lässt viele Pausen. Er erwähnt Spielernamen, weist auf individuelle Besonderheiten hin, dramatisiert aber nicht, lässt das Ereignis selbst sprechen.“

Ahrens nimmt Hubertys Geburtstag zum Anlass, generell zurückzublicken auf die Bundesliga-Berichterstattung der „Sportschau“ in 1970er Jahren:

„Die Redaktion (wählte) im Vorfeld drei Spiele aus (…), über die dann in der Sendung in Bild und Ton berichtet wurde. Unvergessen der Spannungsmoment, wenn Huberty die drei Fußbälle aus der Studiodekoration umdrehte und dann sichtbar wurde, für welche Spiele man sich diesmal entschieden hatte. Meistens waren es genau die Partien, die dann vorzugsweise im Duisburger Wedaustadion 0:0 ausgingen, während gleichzeitig auf dem Betzenberg sieben Tore gefallen waren. Worüber die Zuschauer leider nur mit einer dürren von Huberty maximal emotionsfrei vorgelesenen Agenturmeldung Kenntnis bekamen.“

Dieser Gedankengang ließe sich fortführen mit Dietrich Leder:

„Ernst Huberty achtete wie kein anderer im Sportfernsehen auf die Sprache – als Moderator wie als Kommentator. So wie er nie laut wurde, zeigte er sich nie jovial, biederte er sich nie an, weder bei den Sportstars noch beim Publikum. Auch die ihm darob zuteilgewordenen Komplimente wehrte er mit der ihm eigenen Ironie ab: Dass er nie laut geworden sei, liege doch nur daran, dass Schreien damals noch nicht in Mode gewesen sei.“

Um es relativ kurz mit Michael Hanfeld (FAZ) zu sagen:

„So unaufgeregt wie Ernst Huberty könnte heute niemand mehr im Sportfernsehen vor die Kamera treten.“

Was man aber auch sagen muss, und Harald Pistorius (Westdeutsche Zeitung) tut es:

„Niemand wird sich die betuliche, etwas biedere ‚Sportschau‘ der sechziger und siebziger Jahre zurückwünschen, doch so war Fernsehen damals: Auf behagliche Weise ritualisiert, vorhersehbar und verlässlich. Wie die ‚Tagesschau‘, ‚Dalli-Dalli’ und ‚Der Kommissar.‘“

Wobei: „Auf behagliche Weise ritualisiert, vorhersehbar und verlässlich“ - das trifft als pauschale Einschätzung natürlich auch fürs Fernsehen von heute zu.

[+++] Ernst Huberty wäre unter normalen Umständen also der Mann des Tages, aber da die Umstände anders sind, bleibt dies vorerst Deniz Yücel (siehe Altpapier von Montag und Dienstag) - auch wenn er natürlich froh wäre, wenn er es nicht mehr wäre.

Nachrichtlich ist unter anderem zu vermelden, dass Cem Özdemir von der Bundesregierung in Sachen Yücel eine „klare Sprache“ gefordert hat (Die Welt). Außerdem hat sich die Kurt-Tucholsky-Gesellschaft, die Yücel 2011 für seine Fähigkeit der „angenehmen Entlarvung“ mit einem Preis ausgezeichnet hat, zu Wort gemeldet. Bei Kolumnisten und Bloggern - beim Altpapier-Kollegen Ralf Heimann im Bildblog, in Margarete Stokowskis Spiegel-Online-Kolumne und bei Samael Falkner (Prinzessinnenreporter) - weiterhin ein Thema: das Frankfurter Würstchen, das sich am Sonntag entlarvte, und zwar auf nicht angenehme Weise.

Falkner geht in seinem Rant nicht nur auf sogenannte Kollegen ein:

„(Es) gibt da noch die Gruppe der Nicht-Kollegen, auch Leser genannt, die sich heimlich freut. Sie haben allerdings kein größeres Medium an ihrer Seite, das ihre Meinung in fünfhundert Worten und mehr aufgreift, sondern toben sich in den Kommentarspalten aus. Diese Leute, die gerade in allen Posts zur Verhaftung auftauchen und der Meinung sind, wer für die Welt, respektive den Axel Springer Verlag, schreibe, den könne man ruhig wegsperren, das interessiere sowieso niemanden – sind das die Gleichen, die sich über die Rechten beschweren, wenn sie ‚Lügenpresse!‘ skandieren, aber auf der ‚linken‘ Friedensdemo dann doch Applaus spenden, wenn es gegen ‚die Systempresse‘ geht? Ich habe ganz ehrlich keine Geduld mehr mit diesen Menschen. Es ist mir dabei auch völlig egal, aus welchem Spektrum der Hass auf die Presse im Ganzen (und das Gottvertrauen in Blogger und anonyme Quellen) aktuell kommt. Ich fürchte, für jeden, der journalistisch tätig ist, ist bei diesen Menschen nichts mehr zu holen. Sie lesen Zeitung, sie lesen Onlinemagazine, sie schauen fern und am Ende des Tages legen sie alles beiseite und rufen ‚Das hätte ich denen auch sagen können‘ oder wahlweise ‚Als ob die uns die Wahrheit sagen würden‘. Eine Nation voll alterssturer Rentner.“

Womit dann auch der Bogen zu einer allgemeineren Debatte geschlagen wäre. Stokowski meint, und implizit ist es wohl an die türkische Regierung gerichtet:

„Sie können nicht mit Deniz zusammen alle anderen einsperren, die hinter ihm stehen. Während er da sitzt, schließen sich andere Leute zusammen, die noch nie miteinander zu tun hatten, und überlegen, was sie tun können. Und wann haben überhaupt mal die taz und Springer zusammen dieselbe Sache unterstützt? Es ist jetzt schon magisch.“

Ich kann zwar die Begeisterung über die vielfältigen Solidaritätsbekundungen nachvollziehen, aber auf den Begriff „magisch“ wäre ich nicht gekommen.

[+++] Die Frau des Tages? Eindeutig Katharina von Bora (1499-1552), die Ehefrau Martin Luthers. Zumindest wenn man das Volumen der Berichterstattung über den ARD-Film „Katharina Luther“ zum Maßstab nimmt. Die Kollegen von evangelisch.de etwa liefern nach einer multiperspektivischen Betrachtung des Films (siehe Altpapier) nun ein Interview mit der Hauptdarstellerin Karoline Schuch. Und die Berliner Zeitung schreibt:

„Ein Luther-Film ganz aus der Perspektive seiner Frau – das ist erstaunlicherweise immer noch neu und originell. Denn in allen bisherigen Luther-Filmen, ob nun beim international beachteten DDR-Fünfteiler aus dem Jahr 1983 (mit Ulrich Thein als Luther und Barbara Schnitzler als Katharina) oder bei Joseph Fiennes Kinodrama von 2003 (mit Claire Cox als Frau), spielte die Gattin nur eine Nebenrolle.“

Martin Thull bemerkt in der Medienkorrespondenz, dass der Regisseurin Julia von Heinz für ihren Spielfilm „zwar 15 Minuten mehr als die üblichen 90 Minuten zur Verfügung standen“, für „ein solch pralles Leben wie das der Katharina von Bora“ sei dies „dennoch eine unzureichende Zeitspanne“. Donnerndes Lob gibt‘s bei epd medien, also dem anderen kirchlichen Fachdienst. Rudolf Worschech schreibt:

„Regisseurin Julia von Heinz (...) und Kamerafrau Daniela Knapp haben sich für eine bewegliche Handkamera entschieden und nicht für das Ausstellen von Production Values, von historischen Accessoires. Es gibt nur wenige Totalen in "Katharina Luther"; stets folgt die Handkamera den Figuren, bleibt dicht an ihnen dran, arbeitet mit Unschärfen und Lichtreflexen, hebt Details hervor und lässt auch mal die Hauptcharaktere im Dunkeln. Das gibt dem Film nicht nur eine Nähe und Intimität, sondern auch eine Dynamik, mit der die Regisseurin einer Zeit des atemberaubenden Umbruchs gerecht wird. Dieser Mut macht ‚Katharina Luther‘ schon jetzt zu einem Solitär des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.“

Daran anknüpfend ließe sich mit Nikolaus von Festenberg (Tagesspiegel) präzisieren:

„(Die Macher) reformieren (…) erst mal die gängige TV-Mittelalterdarstellung, ganz im Geist Luthers. Weg mit dem Dämmer des Genres, hin zur Übersetzung ins Verständliche. Eine torkelnde Handkamera (Daniela Knapp), die transparenten Szenenbilder (Christian Kettler) arbeiten gegen vulgärhistoristische Gewissheiten. Der Dialog verzichtet auf Befindlichkeitsfloskeln.“

Ebenfalls positiv gestimmt: Ulla Hanselmann von der Stuttgarter Zeitung (Das „sinnliche Biopic“ zeige eine „revolutionär emanzipierte Frau“, meint sie). Andreas Platthaus (FAZ) ist es nicht, unter anderem, was die Ausstattung angeht, ist er ganz anderer Ansicht als etwa der Kritiker von epd medien:

„Für eine deutsche Fernsehproduktion ist hier ordentlich Ausstattungsaufwand betrieben worden. Leider neigt Julia von Heinz buchstäblich zur Blümchenästhetik und lässt ihre Katharina sich ein wenig zu oft für sonnenbestrahlte Flora begeistern, während Luther den Studierstubenhocker abgibt. Die Botschaft ist klar: Die weltzugewandte Hälfte dieses Ehepaars ist die Frau.“ 

Luther werde hier nicht „gegen den Strich gebürstet“, bemängelt Platthaus. „Es bleibt alles im Rahmen des gängigen Bildes vom Reformator." Noch weniger anfangen kann SZ-Rezensent Willi Winkler mit dem Werk („blank polierter Bilderreigen“, „historisch-unkritischer Film“). Der bereits zitierte MK-Autor Martin Thull hat auch noch die an den Spielfilm anschließende Diskussion gesehen. Er kritisiert,

„dass sie viele Spielszenen aus der vorangegangenen fiktionalen Produktion als Beleg und Illustration für ihre Aussagen zum Verhältnis von Luther zur Rolle der Frau in seiner Zeit einsetzte. Diese Methode ist eine veritable Unsitte, die immer mehr Platz greift, und nicht verwunderlich wäre es, wenn irgendwann Devid Striesow in einer Talkshow zu den Auswirkungen der Reformation als Gast geladen würde, weil er ja Luther gespielt hat.“

Meiner Erinnerung nach ist es aber bereits vorgekommen, dass im Rahmen eines ARD-„Themenabends“ bei Will oder Maischberger prominente Schauspieler hockten, die im vorangegangenen Spielfilm zu sehen gewesen waren.

[+++] Zwar bereits am Wochenende erschienen, aber an dieser Stelle noch eine Erwähnung wert, weil er Grundsatzfragen stellt, die uns zumindest in abgewandelter Form hier im Altpapier immer wieder beschäftigen: Markus Pössels Text für den Relativ-Einfach-Blog des Magazins Spektrum. „Grenzen sich seriöse Journalisten aktiv (genug) von unseriösen ab?“ fragt er in der Überschrift. Darüber hinaus:

„Warum muss ich für Analysen der neuesten Beispiele für unseriöse Praktiken bei Bild, Bunte & Co. auf uebermedien.de oder Bildblog.de gehen? Warum finde ich nicht in der FAZ, in der Süddeutschen, in der Zeit, ganz selbstverständlich entsprechende Kolumnen? Die seriösen Medien sind doch eigentlich am direktesten davon betroffen, wenn unter dem Oberbegriff Journalismus Falschmeldungen und Übertreibungen verbreitet werden. Warum ist diese Art von Medienkritik eine Nische?“ 

Das hat, um dieses prinzipiell doktorarbeits- bzw. wenigstens Otto-Brenner-Studien-reife Thema in der für diese Kolumne gebotenen Kürze abzuhandeln, natürlich damit zu tun, dass die Verlage den Raum für Medienjournalismus in den vergangenen Jahren reduziert haben und manche Redaktionen unter Medienjournalismus unter anderem Serviceberichterstattung für (potenzielle) Netflix-, Amazon-Prime- und Sky-Abonnenten und Nacherzählungen von Polittalkshows verstehen. Was jetzt nicht heißt, dass es in diesen Subgenres keine guten Texte gibt. Und warum berichten FAZ, SZ und Zeit viel zu wenig über kritikwürdige Zustände in anderen Häusern? Weil die eine Krähe der anderen ungern ein Auge aushackt - es sei denn, es handelt sich bei der anderen Krähe um eine öffentlich-rechtliche.

Pössel schreibt weiter:

„Bei dem, was jetzt als Gegenmaßnahmen gegen Fake News in der Diskussion ist, wird als Beispiel immer Facebook genannt, und geteilte Falschmeldungen auf sozialen Medien haben die ganze Debatte ja auch angestoßen. Aber ist Fake News in regulären Medien nicht für die seriösen Medien noch schlimmer, weil weniger klar abgrenzbar? (...) Fazit: Ich wünsche mir mehr und selbstverständlichere Medienkritik in den Medien.“

Vielleicht wird ja manches besser, wenn der Deutschlandfunk künftig jeden Werktag Medienkritik bietet.

[+++] Seit Anfang der Woche kursiert eine nach einem amerikanischen Vorbild erstellte Infografik, die einen Überblick darüber verspricht, wie ausgewählte Medien in Deutschland politisch und qualitativ einzuordnen sind. Der „Ordnungsversuch“ stammt von Polisphere, einem „Think tank“ bzw. einer „Denkfabrik“, der/die „Impulse und Denkanstöße für die Beratungsbereiche Public Affairs, Public Policy, Public Sector und Public Campaigning liefert“ (allesamt Selbsteinschätzungen). 

Erheiternd ist das Ganze immerhin teilweise: Die Jungle World ordnen die Public-Allerlei-Impulsgeber unter „Clickbaiting“ ein. Die ARD bekommt das höchstmögliche Lob verliehen (“verlässliche Nachrichtenquelle“), obwohl die ARD-Sender WDR, NDR, BR und MDR jovial unter „Kann man machen, bestätigt aber nur bestehende Einsichten“ eingeordnet werden und die anderen Landesrundfunkanstalten sich außerhalb des Radars der Denkfabrikarbeiter zu befinden scheinen. Cicero, achgut.com und Tichys Einblick fallen in die Kategorien „Rechte Mission. Fragwürdige journalistische Werte“ und „Altherrenjournalismus", auf der y-Achse wird den fragwürdigen alten Herren dann aber das Attribut „komplex“ zugeordnet. Komplexer Altherrenjournalismus - tja, wenn den noch mal jemanden erfinden würde, das wäre eine Schau.

Die Faustregel, dass Leute, die für eine „Denkfabrik“ arbeiten, nicht fürs Denken bezahlt werden, wird hier jedenfalls mal wieder eindrucksvoll bestätigt. Was ins Gesamtbild passt: Auf der bunten Karte wird als “verlässliche Nachrichtenquelle“ unter anderem der Tagesspiegel verzeichnet. Für den Tagesspiegel-Verlag tätig war von 2014 bis 2016 wiederum die Denkfabrikchefin Sandra Busch-Janser, und zwar, wie Polisphere selbst schreibt, als „Chefin vom Dienst für politische Informationsdienste“. „Ich sehe da keinen Interessenkonflikt“, äußert Busch-Janser auf Nachfrage der Salonkolumnisten.

[+++] Da wir weiter oben heute schon Superlative in Anschlag gebracht haben: Die Werbung des Tages verdient auch noch Erwähnung: eine auf Seite 7 der FAZ zu findende ganzseitige Anzeige, die die Lobbybude mit dem quasi klassisch-postfaktischen Namen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft spendiert hat. Sie richtet sich an den „lieben Martin“: 

Deutschland war der kranke Mann Europas. Jetzt stehen wir dank der Agenda 2010 wieder gut da. Glaubst Du wirklich, mit Deiner Rolle rückwärts wird es besser?“ 

Hm. Hat das Kapital wirklich Muffe vor dem Kennedy von Würselen?


Altpapierkorb

+++ Auf die neuen deutschen TV-Serien der kommenden Monate blickt Carolin Ströbele (Zeit Online) voraus. Recht häufig zitiert in dem Text: Nico Hofmann.

+++ Diverse Nachbetrachtungen bzw. Nacherzählungen sind verfügbar zur „Team Wallraff“-Sendung über „ziemlich furchtbarste Betreuer“ in Behinderten-Einrichtungen - siehe u.a. taz (aus der die gerade zitierte Headline-Formulierung stammt), stern.de und shz.de. Einen Nachdreher, in Form eines Interviews mit dem Behindertenrechtsaktivisten Raul Krauthausen, gibt es in der Dumont-Presse, etwa im Kölner Stadt-Anzeiger. Er sagt über die RTL-Reportage: „Das kommt uns sehr bekannt vor. Und diese Zustände müssen jetzt unbedingt an die Öffentlichkeit. Viele Betroffene erzählen ähnliche Dinge, seien es Bewohner oder Beschäftigte. Dabei geht es in unserer Kritik nicht um den Berufszweig der Pfleger oder um einzelne Mitarbeiter, sondern um Strukturen, die das zulassen und nicht publik werden.“

+++ Um noch einmal auf die „Sportschau“ zurückzukommen: „Herr Robra, schauen Sie eigentlich manchmal Sportschau in der ARD?“ lautet die erste Interviewfrage der Mitteldeutschen Zeitung an den sachsen-anhaltinischen Staatskanzleichef Rainer Robra (CDU). „Die Sportrechte-Vermarktung bewegt sich heute in Dimensionen, die kein öffentlich-rechtlicher Sender dieser Welt mehr stemmen kann. Wenn die Sportverbände das weiter vorantreiben, sägen sie den Ast ab, auf dem sie sitzen“, sagt der Medienpolitiker unter anderem. Ein größeres Fass macht Robra auch noch auf: „Es gibt zu viele Doppelstrukturen - nicht nur in der Verwaltung, auch im Programm. Da sehen wir in der Rundfunkkommission der Länder großes Sparpotenzial. Auch die dritten Programme könnten einen Beitrag leisten. Und zwar dann, wenn sie sich künftig konsequent auf ihren regionalen Auftrag konzentrieren, anstatt sich als eine weitere Programmschiene neben ARD und ZDF zu verstehen. Die Frage ist ja: Wie viel brauchen wir vom gleichen? Die dritten Programme sollen der Marktplatz der Länder sein. Dann bleibt ARD und ZDF der nationale Auftrag.“

+++ In Sachen Trump (I): „Seit (er) im Amt ist, stellen sich viele amerikanische Journalisten die Frage, wo für sie die Professionalität endet, die eine objektive Berichterstattung fordert, und wo die Bürgerpflicht beginnt, sich einem lügenden, autokratisch angehauchten Politiker zu widersetzen. Fox News lässt Trump in dieser Hinsicht recht viel durchgehen. Doch selbst das Fox-Personal hat eine Schmerzgrenze“, bemerkt Hubert Wetzel auf der SZ-Medienseite, der in dem kostenpflichtigen Artikel auch den TV-Konsum Trumps beschreibt. 

+++ In Sachen Trump (II): „Selbst wenn die Medien (ihn) eines Tages (…)  zu Fall bringen, ist der Kampf gegen ‚alternative Wahrheiten‘ damit noch lange nicht gewonnen. Dazu braucht es einen noch weitaus längeren Atem.“ Meint Daniel Leisegang, Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik, bei Carta.

+++ Eine gruselige (Kriminal-)Geschichte über den zweimal vergifteten russischen Journalisten und Filmemacher Vladimir Kara-Murza steht in The New York Review of Books.

+++ Fusion in Hessen: Die Verlage der Gießener Allgemeinen und der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (Ippen-Gruppe) sollen in einer neuen Holding „zusammengeführt werden“ (dpa/Handelsblatt). „Für die Redaktionen gebe es noch keine Planungen“, zitiert meedia.de Ippens Geschäftsführer Daniel Schöningh. Ich hoffe ja nun nicht, dass das irgendjemand glaubt.

+++ Ebenfalls bei meedia.de: ein Bericht über „eine Klage mit massiver Sprengkraft für die gesamte Branche“. Demnach verklagt ein „ehemaliger Medienunternehmer“ aus Osnabrück „das Land Niedersachsen, den Verlag Werben & Verkaufen und die Neue Osnabrücker Zeitung“ auf „rund 30 Millionen Euro“ Schadensersatz.

+++ Im November erstveröffentlicht, vergangene Woche vom Kaput Magazin republiziert und als Zustandsbeschreibung des Onlinejournalismus weiterhin aktuell: eine Bilanz, die die Journalistin Bianca Xenia Mayer nach einem Jahr bei Bento gezogen hat (wobei die Spiegel-Plattform aber nicht namentlich erwähnt wird): „’15 Dinge, die du vor einer Weltreise wissen solltest’ – dieser Artikel könnte mittlerweile auf jedem beliebigen Portal stehen. Genau hier, nicht bei der Frage der inhaltlichen Notwendigkeit eines solchen Textes, setzt die Kritik an (...) Aus Angst, Einmaliges und Neues zu schaffen, wird lieber das kopiert, was am Vortag schon bei den (amerikanischen) Kollegen ‚funktioniert hat‘. Das sind dann gerne ‚virale Videos‘, in denen Pandabären kugeln oder Kinder aufwändige Choreografien tanzen. Momentan auch sehr beliebt: Food-Videos für Anfänger, die zeigen, wie man Brot mit Käse überbäckt.“ Mayer meint, wir müssten reden über „die Bedingungen, unter denen jene Form von traffic- und klick-generierendem „Artikel“ hergestellt werden muss, um das Überleben eines Mediums zu sichern. Sie erinnern an digitale Sweatshops, in denen die Mitarbeiter pflichtbewusst und angstgetrieben Texte produzieren, mit denen sie sich im Nachhinein nicht identifizieren können“.

+++ Die ARD-Dokumentation „Schlagerland“ habe „eine durchaus überraschende Tiefe“, schreibt Thilo Wydra (Tagesspiegel). Regisseur Arne Birkenstock zeige „ein Business, das von einer unerbittlichen Härte getrieben ist, von der die Musiker ihre Fans durch ihre Lieder ablenken wollen“, meint Axel Weidemann (FAZ).

+++ Sarah Gliddens Graphic Novel „Im Schatten des Krieges – Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei“ fällt nicht nur in das Genre Comic-Journalismus, es handelt auch von journalistischer Arbeit. Ralf Hutter verreißt das andernorts viel gelobte Buch für die Verdi-Zeitschrift MMM - Menschen Machen Medien, und der heute schon erwähnte FAZ-Literaturchef Andreas Platthaus tut es auch. Wer mit Glidden diskutieren will: Das ist heute in Berlin, morgen Abend in Hamburg und am Freitag in Frankfurt möglich

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.