Erinnert sich noch jemand an Roland Tichy? Oder gar an die Kölner Silvesternacht, zweiter Teil? Vielleicht ist es meiner rapide voranschreitenden Alterung zuzuschreiben, aber ich habe den Eindruck, die Sauen würden dieser Tage in so einem Tempo durchs Dorf getrieben, dass kaum Zeit bleibt, festzustellen, ob es sich bei ihnen um echte Sauen, aufgeblasene Ballons oder doch um rosa angestrichene Elefanten handelt.
Aktuellster Teilnehmer im Schweinerennen: Die AfD wählt aus, welche Medienvertreter sie beim Treffen der rechtspopulistischen Fraktion im Europäischen Parlament mit dem schönen Namen „Europa der Nationen und der Freiheit“ in der kommenden Woche in Koblenz dabei haben möchte, und welche nicht.
„Redakteuren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Zeitschrift ,Der Spiegel’, der Zeitung ,Handelsblatt’ und öffentlich-rechtlicher Medien wurde die Akkreditierung für die Veranstaltung verweigert. Die Deutsche Presse-Agentur und ausländische Medien wurden hingegen zugelassen. Pretzell begründete diese Diskriminierung mit Kritik an der Berichterstattung über die AfD“,
echauffiert sich die FAZ heute links oben auf der Titelseite, wobei ganz vorsichtig formuliert darauf hinzuweisen wäre, dass man der FAZ ja vieles vorwerfen kann, aber keinen steinharten Kurs gegen die selbsternannte Alternative für Deutschland. Diese scheint sich aber mehr erhofft zu haben.
Die ebenfalls ausgeschlossene Melanie Amann aus dem Spiegel-Hauptstadtbüro twittert trocken:
###extern|twitter|MelAmann/status/819502805660606464###
Die ARD-Chefredakteure formulieren es etwas staatstragender, weiterverbreitet u.a. von ARD-Cheftwitterer Volker Herres:
„Das Argument der AfD, ein Ausschluss von der Veranstaltung am 21. Januar 2017 sei gerechtfertigt, da unsere Berichterstattung über die Partei in der Vergangenheit nicht journalistischen Grundsätzen genügt habe, weisen wir entschieden zurück. Wir behalten uns vor, rechtlich gegen den angekündigten Ausschluss von der Berichterstattung vorzugehen.“
Der in diesem Fall ausladende Marcus Pretzell, der by the way seinen Twitter-Header noch mal überdenken sollte (außer, er sollte darauf hinweisen wollen, etwas unterbelichtet und maulfaul zu sein), erklärt derweil:
###extern|twitter|MarcusPretzell/status/819523052673318913###
Seriously? Seriously? SERIOUSLY?!? (Vollführt einen sehr ausführlichen Facepalm, fängt sich dann aber wieder.)
In der FAZ läuft man vermutlich die Wände hoch, weil sie in einen Topf mit den Öffentlich-Rechtlichen gerührt wird, aber das ist natürlich das kleinere Problem. Denn Parteien in einer Demokratie können sich nicht aussuchen, wer über sie berichtet, und einer Partei, die das nicht so sieht, ist von den Wachhunden der Demokratie nun mal ans Bein zu pinkeln.
Könnte ich an dieser Stelle ein Gif einbinden, wäre es dieses.
Von hier bietet der Erzählstrang zwei Anknüpfungspunkte. Dem ersten folgen wir nur kurz, und zwar Richtung Tagesspiegel, wo Maria Fiedler und Matthias Meisner noch folgendes Schmankerl zu ergänzen wissen:
„Nicht nur der Umgang mit der Presse bei der Konferenz in Koblenz ist umstritten - auch die Veranstaltung selbst. Erst vor wenigen Tagen hatte Parteichefin Frauke Petry den AfD-Vorstand darüber informiert, sie werde die Vorsitzende des französischen Front National, Marine Le Pen, sowie andere rechtspopulistische europäische Politiker zu einem ,Europäischen Wahlkampfauftakt’ treffen. Der AfD-Landesvorsitzende von Berlin, Georg Pazderski, hatte sie daraufhin kritisiert. ,Ich finde, der FN passt überhaupt nicht zu uns’, sagte Pazderski. ,Der Front National ist eigentlich eine sozialistische Partei. Ich persönlich habe Vorbehalte.’“
Der zweite führt über den mittlerweile doch arg überstrapazierten Hashtag #fakenews noch einmal zum Thema von gestern und der Frage, ob die Buzzfeedsche Entscheidung zur Veröffentlichung der unverifizierten Gerüchte über eine Erpressbarkeit Donald Trumps durch Russland nun richtig war oder falsch (falls man in diesem Zusammenhang mittlerweile nicht auch schon „postfaktisch“ sagt).
Warum Buzzfeed-Chefredakteur Ben Smith sich dafür entschied, dokumentiert Robert Booth im britischen Guardian:
„In the face of growing criticism, led by the US president-elect who on Wednesday branded the website a ,failing pile of garbage’, Ben Smith said: ,We are now in an era when you have to engage in false statements.’ However, he admitted this position was ,incredibly uncomfortable for everyone’.“
Und weiter, diesmal zitierend aus einem Interview, das Smith bei MSNBC gab:
„,There was an era when you would be the gatekeeper for information and you would say to your audience: trust us, we are keeping things from you, we have lots of secrets we’re not telling you, but you should trust us,’ he said. ,You could say that was a good era, that was a bad era, but that is not the present day.’
Smith said BuzzFeed had decided to publish because the most powerful intelligence people in the country were referring to the dossier in briefings to the president and it was circulating among the political and media elite.“
Wenn Medien das Vertrauen ihrer Leser und Zuschauer verlieren, sollten sie jedes herumschwirrende Gerücht thematisieren, um gegenüber dem Vorwurf der Vertuschung erhaben zu bleiben? Ich verstehe den Ansatz, teile ihn aber nicht, sondern würde an dieser Stelle Franz Sommerfeld recht geben, der bei kress.de mit Verweis auf Trumps Ignoranz gegenüber CNN während der ebenfalls gestern schon ausführlich analysierten Pressekonferenz schreibt:
„Es kann gut sein, dass Trump von Pressefreiheit nicht viel hält, aber sie wurde nicht durch das Abwürgen des CNN-Reporters beschädigt, sondern durch die Veröffentlichung dieses Dossiers. Hier macht sich eine Haltung breit, nach der Trump so gefährlich ist, dass er ohne Rücksicht auf ehtische Normen bekämpft werden darf. Der Zweck heiligt die Mittel. Damit wird zerstört, was zu verteidigen vorgegeben wird.“
Keep calm and report on. Vielleicht versuchen wir es damit mal im rasenden Sauenzirkus 2017.
[+++] Ein Teil des Problems, dem wir heute gegenüberstehen, haben die Medien selbst geschaffen, als sie vor lauter Klickversessenheit mit immer sinnloseren Texten und immer lauteren Überschriften ihren Ruf ruinierten und Leser daran gewöhnten, dass nicht immer alles stimmen muss, was ihnen im Teaser versprochen wird (nein, ich habe bei Punkt 13 nicht geweint).
Ein neues Online-Magazin, das zurück zur journalistischen Kernkompetenz will, entsteht nun in der Schweiz als „Project R“, das seine Mission auf der Website wie folgt beschreibt:
„Unser Job dort wird sein, eine Zukunft für den Journalismus abseits der grossen Verlage zu bauen. Denn die traditionellen Verlagshäuser verlassen die Publizistik. Sie investieren zwar noch Reden in ihr altes Geschäftsmodell, aber das Geld und die Ideen fliessen in den Aufbau von Internet-Handelshäusern. Das ist ökonomisch vernünftig, aber schlimm für die Demokratie. Denn mit schlechten Informationen fallen schlechte Entscheidungen.“
Im Sommer soll es losgehen; erste Pläne wurden bereits am Dienstagabend vorgestellt. Rainer Stadler war für die NZZ dabei und erzählt von einem Papier
„mit dem simplen Titel: ,Produkt’. Ziel ist demnach die Gründung eines digitalen Magazins für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, mit den Schwerpunkten Schweiz und deutschsprachiger Raum. Realisieren will man Essays, Recherchen, Interviews, Kommentar, Glossen zur ,latenten Aktualität’. Das sollen ,frei zugängliche Inhalte’ ungefähr im ,Umfang eines wöchentlichen Beilagenmagazins’ sein (...). Gebühren verlangen wollen die Initianten für aufwendige Produktionen, etwa für Investigationen, Multimedia-Reportagen und Werke von Autoren. (...) Sie brauchen die Unterstützung von zahlungswilligen Mitgliedern. Erst wenn sie zwischen 500 000 und einer Million Franken gesammelt und damit eine gewisse Kundenbasis geschaffen haben, sind grosse Geldgeber bereit, das Projekt R während sieben Jahren zu sichern.“
Mit-Gründer Constantin Seibt erklärte das ebenfalls am Dienstag im Deutschlandradio Kultur sehr plastisch:
„Wir brauchen rund 22.000 Leser bis Break Even. Sind wir 1000 darüber, ist dieses Magazin ziemlich rentabel. Sind wir 1000 drunter, schaufeln wir ein Millionengrab.“
Der letzte deutschsprachige Versuch dieser Größenordnung hat derzeit auf seiner Startseite diverse Texte aus dem Jahr 2015 platziert. Bedarf gäbe es also.
[+++] Bei all der Aufregung ganz unbeachtet hat mit Jahresanfang Jürgen Todenhöfer den Platz des Herausgebers der Wochenzeitung Freitag (Offenlegung: für die ich auch schon schrieb) eingenommen. Nun geht ihm in Folge dessen mit Martin Krauss ein langjähriger Autor verloren.
Schon gegen die Person Jakob Augstein habe es Vorwürfe wegen angeblich antisemitischer Entgleisungen gegeben, schreibt Krauss in der Jüdischen Allgemeinen. Doch dessen Artikel seinen nun mal nicht im Freitag, sondern dem Spiegel und bei Spiegel Online erschienen.
„Nun also Todenhöfer. Mit seiner These ,Die Gazaner leben im weltgrößten Konzentrationslager’ kann er Augsteins Satz ,Gaza ist ein Gefängnis. Ein Lager’ noch überbieten. Und mit der Behauptung ,Die Palästinenser zahlen den höchsten Preis für Deutschlands schwere Schuld gegenüber den Juden’ hat er gleich zwei antisemitische Evergreens in einem Satz untergebracht: den, wonach die Juden an ihrem Leid kassierten, und den von den Opfern, die zu Tätern geworden seien. Zudem führte Todenhöfer (für die ARD, nicht für den ,Freitag’) ein skandalös-kriecherisches Interview mit Syriens Diktator Assad und besuchte sogar den ,Islamischen Staat’, um sich danach bei dem ,sehr geehrten Herrn Kalifen’ gleich dreimal für dessen Gastfreundschaft zu bedanken.
,Der ,Freitag' ist mir schon lange als Gegenentwurf zum deutschen Mainstream aufgefallen’, schreibt Todenhöfer nun im Jargon derer, die gerne ,Lügenpresse’ schreien, in seinem Blog (bzw. bei Facebook, Anm. AP). ,Eine Zeitung, die sich so mutig und kompetent dem Mainstream entgegenstellt, muss man unterstützen. Und sei es nur als Herausgeber.’“
Für Krauss ist damit die Grenze des für einen freien Autoren Erträglichen überschritten:
„Auf meinen Absagebrief an Jakob Augstein habe ich keine Antwort erhalten. Ihm scheint das alles egal zu sein. Und ich, ich will nicht mehr.“
Auf sinkenden Schiffen ist halt keine Zeit mehr für Stil.
+++ Gute Nachrichten für alle, die gerne Handball-WM im Bewegtbild sehen, aber Angst davor haben, www.handball.dkb.de aufzurufen: „Das Erste, das ZDF sowie die Dritten werden im Fernsehen und auf ihren Plattformen von allen besonders interessanten Spielen der WM nachrichtlich und ausführlich in Highlights berichten und die Zuschauer so mit allen wichtigen Bildern von den Spielen, mit Interviews und Storys umfassend informieren.“ (Pressemitteilung) +++
+++ Die ARD hat gestern Abend ihre Pläne für das Programmjahr 2017 vorgestellt, und die gute Nachricht für uns Krimi-Fans vom Altpapier: Der Donnerstags-Krimi bleibt auch in diesem Jahr erhalten. „Die Highlights der insgesamt 23 neuen Krimis auf diesem Sendeplatz“ hat Meedia. Auch sonst bleibt alles beim Alten („,Victoria’, der 140-minütige Film von Sebastian Schipper ist insbesondere durch seinen Stil außerordentlich: Das gesamte Werk kommt ohne einen Schnitt aus. Für dieses Meisterwerk hat sich die ARD als ,einer der wichtigsten Partner des deutschen Kinos’ einen ganz besonderen Sendeplatz überlegt: Es kommt im 2. Quartal auf einem Sendeplatz um 23.30 Uhr“, DWDL). +++
+++ Kaum vorstellbar, aber wahr: Es gab mal Zeiten, da galt es als Bedrohung für die Gesellschaft, wenn auf einem australischen Waldgrundstück Menschen fragwürdiger Prominenz lebende Insekten verspeisen. Das war schön jewesen! Heute ist es nur noch Flimmo, ein Projekt des Vereins Programmberatung für Eltern e.V., das pünktlich zum Start von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ in Bezug auf Kinder warnt: „Wie Menschen hier in gefährlichen, peinlichen und ekligen Situationen bloßgestellt werden, vermittelt ein fragwürdiges Menschenbild“. Der Tagesspiegel und der Standard greifen das auf. +++
+++ „Der Minimalist“, „Der Philisoph“, „Der Alliterat“ – auf der Medienseite der SZ nutzt Kathrin Hollmer derweil den Start des Dschungelcamps, um Off-Kommentatoren zu typologisieren. +++
+++ Die Medienkonzerne der Welt nach Größe sortiert findet man bei Horizont. Spoiler: Unter den ersten zehn ist keiner deutscher. +++
+++ „Mit einem neuen Gesetzesentwurf mahnt Erdo?an jene, die die Türkei aus Angst vor Verfolgung verlassen haben, innerhalb von drei Monaten zurückzukommen – andernfalls verlieren sie ihre Staatsbürgerschaft, ihr Vermögen, ihre Rechte als türkische Staatsbürger. Solche Maßnahmen sind bekannt aus der Sowjetunion, eine bittere Erinnerung für alle Exilanten, die sich entschieden haben, repressive Politik öffentlich zu kritisieren und auch für uns Journalisten, deren Pflicht es ist, die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. Die Umsetzung der Maßnahme steht noch aus, sie wird aber bald Realität sein.“ Yavuz Baydar in der Türkischen Chronik im Feuilleton der SZ (S. 13). +++
+++ „Er suhlt sich in niederträchtigsten Klischees über Türken, Marokkanern und andere Migrantengruppen, und wenn das deutsche Publikum im Saal sich locker krakeelt hat, dann beleidigt er dieses als einen Haufen Nazi-Schweine.“ Christian Buss stellt bei Spiegel Online Serdar Somuncu vor, aktuell medienmedienbekannt, weil eine von ihm beschimpfte WDR-Redakteurin Unterlassung fordert (Altpapier). +++
+++ Die Hälfte der Redaktion hat einen neuen Vertrag und sitzt in neuen Räumen, der Rest am alten Standort, um mit 400 Neubewerbungen um die verbliebenen Stellen zu konkurrieren: Im Tagesspiegel informiert Kurt Sagatz über die aktuelle Situation beim Berliner Verlag. +++
+++ Die Dokumentation „David Bowie – Die letzten Jahre“ läuft heute um 21.45 Uhr auf Arte und Gerrit Bartels ist ebenfalls im Tagesspiegel sehr angetan. +++
+++ Die FAZ-Medienseite macht heute auf SZ und bespricht „The Man in the High Castle“ (2. Staffel ab heute auf Amazon Prime) sowie die Serienwerdung der Kinderbücher von Lemony Snicket „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“ (ab heute auf Netflix). +++
+++ Von Kai Diekmann über die nun verstorbene, langjährige Brigitte-Chefin Anne Volk zum Damenslip in der Rohrpost des Spiegels – falls Sie wissen sollen, wie so ein Erzählbogen zustande kommt, lesen Sie die aktuelle Kolumne von Ulrike Simon für die Madsack-Zeitungen bzw., falls das besser gefällt, für das Redaktionsnetzwerk Deutschland. +++
+++ „Wen juckt es aber u?berhaupt, ob im Radio gerade das ,Allegro molt’“ aus dem D-Dur Konzert von Johann Stamitz la?uft oder das ,Allegro’ aus der Sinfonie A-Dur von Leopold Mozart, wenn es nur angenehm in den Ohren ist?“ Solche und ähnliche Fragen stellt sich im aktuellen epd Medien Henriette Pfaender, während sie sich an den öffentlich-rechtlichen Kulturradios abarbeitet. +++ Außerdem beschäftigt sich Dominik Speck in der Ausgabe mit der Medienlandschaft in Myanmar, wo sich die Lage der Pressefreiheit zwar verbessere, aber: „Dass Beho?rden gezielt Informationen herausgeben, kommt selten vor, Pressestellen existie- ren kaum oder nur auf dem Papier, Nachfragen sind unerwu?nscht. So bleibt Journalisten ha?ufig nur die Mo?glichkeit, unbesta?tigte Informationen zu verbreiten.“ +++
+++ In der aktuellen Medienkorrespondenz widmet sich derweil Dietrich Leder dem Fernsehjahr 2016. Online steht ein Teilstück mit dem originellen Einstieg „Gleich drei Produktionen erzählten von Hebammen“. +++
+++ Nach dem Rekordjahr 2015 ist die Zahl der Beschwerden beim Presserat zurückgegangen – von 2358 auf 1851. (dpa/Meedia) +++
+++ Die Arbeitsgemeinschaft Videoforschung (AGF) hat sich vermessen und Sky 16 Prozent Reichweite vorenthalten. Das soll sich nun ändern, melden einmütig W&V, Meedia und DWDL. +++
Das Altpapier wünscht ein schönes Wochenende und erscheint das nächste Mal am Montag.