Alles was zählt
Die Landesmedienanstalten verstehen ihre Unersetzlichkeit unter Beweis zu stellen. Sechs oder acht Lobbyverbände – Hauptsache, Josef Joffe ist mit welchen verbandelt, meint der Bundesgerichtshof. Von Wörtern aus Wiesbaden und Unwörtern aus Darmstadt. Eine Investigativ-Tapete fürs Boulevard-Möbelstück von Sat1. Warum die Macher eines populistischen Mediums auf den Badezimmerspiegel verzichten sollten.

Nein! Doch! Oh! Falls Sie es besonders eilig haben und sich auch sonst wenig für Handball und damit verbundene Weltmeisterschaften interessieren, sind Sie nun ausreichend über die aktuellsten Entwicklungen im Fall DKB goes Sportfernsehen (Altpapier) informiert.

Die Langfassung für alle anderen:
Wie gestern schon im Altpapierkorb berichtet, hatte die Berliner Zeitung von den Landesmedienanstalten Bedenken darob der Übertragung durch eine Bank ohne Rundfunk-Lizenz eingesammelt, wobei es hieß:

„Ein schlichter Live-Stream ohne jede redaktionelle Bearbeitung wäre wohl kein Problem.“

Und tatsächlich (Quelle: DWDL):

„Der Livestream soll übrigens erst mit dem Einlauf der Mannschaften ins Stadion beginnen und auch bereits kurz nach dem Spiel wieder enden. Ein Studio oder gar ein Team vor Ort wird es folgerichtig nicht geben - eine Notlösung also, auch für die DKB.“

Dennoch vermeldete gestern die ihrem Namen nach für Zulassung und Aufsicht zuständige Kommission der Medienanstalten ZAK per Pressemitteilung:

„Die geplante Übertragung der Handball-WM auf einem Internet-Portal der Deutschen Kreditbank (DKB) ist aus Sicht der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) aller Voraussicht nach als zulassungspflichtiger Rundfunk einzustufen.“

Nein! Doch (weiter):

„Aufgrund der besonderen und außergewöhnlichen Einzelfallsituation wird die Ausstrahlung der Handball-WM auf dem Internet-Portal der DKB geduldet.“

Oh. Aber (weiter):

„Der Sachverhalt wird bis zur nächsten Sitzung der ZAK, die am 31. Januar in Stuttgart stattfindet, aufbereitet. Sollte die ZAK zu dem Ergebnis kommen, dass es sich bei der Übertragung der Handball-WM im Internet um Rundfunk gehandelt hat, muss die DKB mit einer Beanstandung rechnen.“

Wobei zu ergänzen ist, dass die Handball-WM in Frankreich am 29. Januar endet und eine Beanstandung durch die ZAK in etwa so bedrohlich ist wie ein Faultierbaby (klicken Sie sich ruhig durch, die Zeiten verlangen geradezu danach):

„Bei einer Beanstandung handelt es sich lediglich um einen milden Hinweis auf einen Verstoß – ein Bußgeld habe die DKB damit nicht zu fürchten, so eine Sprecherin gegenüber MEEDIA.“ (Meedia)

Fassen wir zusammen: Etwas, das zunächst nicht als zu beanstanden galt, ist es laut ZAK nun vermutlich doch, wobei sie die Beanstandungswürdigkeit erst zu einem Zeitpunkt feststellen lassen möchte, an dem das zu Beanstandende bereits stattgefunden hat. Allerdings wäre diese Beanstandung eh folgenlos, da die ZAK dem zu Beanstandenden bereits im Vorfeld als „außergewöhliche Einzelfallsituation“ einen Freibrief erteilt hat.

Puh. So ein Glück, dass wir diese Landesmedienanstalten haben!

Na gut. Aber es ist doch nur Handball, mag sich nun mancher der oben angesprochenen und aus Versehen doch hier gelandeten Eiligen denken. Aber wenn ich die aktuellen Entwicklungen in Fifastan richtig verstehe, werden schon im Jahr 2038 an Fußballweltmeisterschaften so viele Teams teilnehmen, dass selbst das Hinzuziehen von Tagesschau24 und QVC nicht ausreichend Platz auf etablierten Sendern zu schaffen vermag, sodass die ZAK dann die Fernsehtauglichkeit von www.adidas.de und www.nivea.de überprüfen darf, und dann sprechen wir uns wieder. Dank der aktuellen politischen Entwicklungen können Bayern, New York City und wir Exilanten vom Mars dann eigene Mannschaften beisteuern, sodass auch die 740 Teams zusammenkommen, die das Hologramm von Sepp Blatter dann zur WM-Endrunde zulassen möchte.

[+++] Was darf eigentlich Satire? Darüber wurde vermutlich seit dem letzten Jahresrückblick feat. Jan Böhmermann nicht mehr nachgedacht, doch zum Glück hat der Bundesgerichtshof gestern dafür gesorgt, dass wir nicht aus der Übung kommen. Seine Entscheidung: Satire muss selbst im Zahlenraum bis zehn nicht treffsicher sein.

Konkret geht es, natürlich, um die Zahl der Lobbyverbände, denen sich Zeit-Herausgeber Josef Joffe verbunden fühlt (s. u. a. dieses, dieses und dieses Altpapier). Max Uthoff und Claus von Wagner hatten in einer Folge der ZDF-Kabarettsendung „Die Anstalt“ von 2014 in einem Schaubild acht gezählt. Christian Rath in der taz:

„Diese Zahl bestritt Joffe jedoch. Das Landgericht Hamburg kam beim Nachzählen auf sieben Organisationen, erklärte den Unterschied aber für irrelevant. Schließlich gehe es hier um eine Satire-Sendung. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg gab im September 2015 dagegen Joffe Recht. Bei etwas strengerer Auslegung seien es nämlich nur sechs transatlantische Organisationen, mit denen Joffe verbandelt sei. (...) Als letzte Instanz entschied der BGH nun aber doch für das ZDF. Denn ein unvoreingenommener Fernsehzuschauer habe wohl kaum mitbekommen, ob es hier um sechs, sieben oder acht Organisationen ging. (...) Im Wesentlichen lasse sich dem Beitrag deshalb nur die Aussage entnehmen, es bestünden Verbindungen zwischen Joffe und den in der Sendung genannten Organisationen. ,Und diese Aussage ist zutreffend’, sagte der Vorsitzende Richter Gregor Galke.“

Auch die Klage des Zeit-Redakteurs Jochen Bittner wurde kassiert, dem die „Anstalt“ ebenfalls Lobby-Verbindungen sowie die Mitwirkung an einer Rede Joachim Gaucks, die er dann später wohlwollend besprach, zugeordnet hatte. Meedia hat dazu den dpa-Bericht aufgefrischt, Spiegel Online den von AFP.

Hätten wir das geklärt. Doch der nächste Fall von Kabarettist vor Gericht steht schon vor der Tür. Diesmal geht es um Serdar Somuncu, der 2015 in einer Podiumsdiskussion eine WDR-Redakteurin angegangen hatte. Timo Niemeier erklärt das bei DWDL wie folgt:

„Irgendwann ging das Gespräch in Richtung Fernsehauftritte, die Somuncu in den vergangenen Jahren zuhauf absolviert hat. Somuncu erklärt, dass er fast bei jedem einzelnen Auftritt zensiert wurde. (...) Zehn Jahre lang sei das sein Alltag gewesen, in jeder Sendung habe er es sich verscherzt, weil er als kompliziert galt. Enttäuscht zeigte er sich außerdem von seinen Kollegen, die ihn nie in Schutz genommen hätten. Dann zählt Somuncu die ,schlimmsten Knallchargen’ auf, neben Thomas Hermanns (,Quatsch Comedy Club’) wird hier auch eine WDR-Redakteurin namentlich genannt. Die Redaktion des Senders ,richte Leute hin’. Somuncu: ,Diese Arschlöcher nehmen sich raus, uns im Namen der Gebührenzahler zu zensieren. Das war für mich die Keimzelle des Faschismus’.“

Kein Wunder, dass der Tagesspiegel den Mann in diesem Zusammenhang wortgewaltig nennt. Aber ohne Hitler-Vergleiche knallt es halt nicht so schön.

In jeden Fall hat die Redakteurin nun eine Unterlassungserklärung gefordert, was als Erster gestern der Kölner Express vermeldete - mit dieser beeindruckenden Quellenlage:

„Laut einer Pressemitteilung, die der Sender WDR am Dienstagabend veröffentlichte, habe Somuncu am Montag in einem Facebook-Post angekündigt, dass ihn eine WDR-Redakteurin verklagen wolle.“

Besagte Facebook-Seite schmückt sich aktuell mit einem „Zensiert“-Stempel und einer Stellungnahme, die es begrüßt, „dass die Verantwortlichen durch ihre empfindsame Reaktion, wenn auch nach beträchtlicher Bedenkzeit, eine Diskussion über Meinungs- und Satirefreiheit angestossen haben.“

Next Stopp: Gerichtsentscheidung.

[+++] Der Versuch einer Überleitung an dieser Stelle erwähnte den „sensiblen Umgang mit Sprache“, für den seit den frühen 1990ern die Wahl des Unwort des Jahres wirbt. Während im Altpapier schon die Kandidaten für 2017 ausgelotet wurden, hat die Jury gestern zunächst den Gewinner von 2016 bekanntgegeben: Volksverräter ist es geworden.

„Es ist uns auch bewusst, dass wir mit Volksverräter ein Wort gewählt haben, das sich dem bereits 2014 gewählten Wort Lügenpresse an die Seite stellen lässt. Doch die Einsendungen zeigen, dass sich der Großteil öffentlicher Sprachkritik gegen einen diffamierenden Sprachgebrauch im Themenfeld Migration richtet“,

heißt es in der Pressemitteilung. Die historische Einordnung liefert auf Seite 6 der FAZ Matthias Hertle:

„Völkische Gruppierungen und Nationalsozialisten setzten den Terminus schon in der Weimarer Zeit als propagandistisches Instrument im Zusammenhang mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg ein. Reichsminister Matthias Erzberger vom katholischen Zentrum wurde in Pamphleten und Reden als ,Volksverräter’ diffamiert, nachdem er die Versailler Vertragsverhandlungen zum Abschluss geführt hatte. Rechtsradikale erschossen ihn auf offener Straße. Im Nationalsozialismus diente das Wort unter anderem dazu, politische Gegner zu isolieren und mundtot zu machen.“

So ein Wort hat halt Macht, und mit nur einem eine den persönlichen Präferenzen entsprechende Gruppe zum Volk zu erklären und es gegen unliebsame Andere abzugrenzen, das geht nicht. Volk ist eben, wenn Roland Tichy und Gerald Hensel mit Jerome Boateng und Alexander Gauland in einem Boot sitzen.

Andere Abgrenzungen hingegen sind legitim und präsent zu haben (dpa/Spiegel Online):

„Die Aktion ,Unwort des Jahres’ sitzt in Darmstadt und bezeichnet sich als sprachkritische Initiative, die ,Grenzen des öffentlich Sagbaren in unserer Gesellschaft anmahnen’ will. Die ,Unwort’-Jury besteht im Kern aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten. Neben dieser Jury wählt davon getrennt die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden das Wort des Jahres. Für 2016 entschied sie sich für den Begriff ,postfaktisch’.".


Altpapierkorb

+++ „Am Dienstag bestätigte er der SZ auf Anfrage ein Gerücht, das seit ein paar Tagen durch die Branche geistert: Er werde aufhören, so Brandt, in diesem oder im kommenden Jahr. Es sei ,allerdings kein abrupter Abschied und auch keiner im Streit’; wie viele Filme noch gedreht würden, müsse man im Detail noch verabreden. Der BR bestätigt eher vorsichtig, dass Brandt ,ans Aufhören denkt’. Klar ist: Der Sender verliert mit Brandts Kommissar von Meuffels eines seiner angesehensten Programme.“ Katharina Riehl auf der SZ-Medienseite über Matthias Brandts Ausstieg beim „Polizeiruf 110“. +++

+++ Gestern Abend lief zum ersten Mal „Akte“ bei Sat1 ohne Ulrich Meyer, und zu diesem Anlass hat Thomas Lückerath für DWDL Neu-Moderator Claus Strunz Zug-Analogien entlockt: „Die Lokomotive der ,Akte’ ist ein journalistischer Zugang zu Themen, vielleicht sogar investigativ. An dieser Lokomotive müssen - wenn dieser Zug viele Menschen mitnehmen will - dann aber auch Waggons mit breiteren Themen hängen.“ Wie Strunz bislang in seiner Rolle als Dauerexperte des Sat1-Frühstücksfernsehens (produziert von Maz & More, Geschäftsführer: Claus Strunz) Menschen mitzunehmen versuchte, dokumentiert Stefan Niggemeier derweil bei Übermedien. „Voriges Jahr war er auch mal Bundeskanzlerin, für ein paar Minuten. Im Frühstücksfernsehen von Sat.1, zwischen Brötchen und Busen, hielt er eine Rede mit dem Titel: ,Was Angela Merkel jetzt sagen müsste’ – und sagte, was Merkel sagen würde, wenn sie denn er wäre. Sie würde dann mehr Sicherheit versprechen, Polizei und Nachrichtendiensten mehr Geld; sie würde für mehr Kontrolle und schnellere Abschiebung plädieren; sie würde also in etwa das sagen, was die CSU so sagt. Oder die AfD. Oder eben Claus Strunz.“ Das vielleicht sogar investigative Magazin „Akte“ nennt Niggemeier übrigens „Boulevard-Möbelstück“. +++

+++ Als Kriegsreporterin vermeldete Clare Hollingworth als Erste den Beginn des Zweiten Weltkrieges. Nun ist die Britin im Alter von 105 Jahren gestorben. An sie erinnern der Guardian sowie der österreichische Standard. +++

+++ „Hängen Sie Ihren Badezimmerspiegel ab“ lautet einer der Tipps, die Frank Zimmer bei W&V für jeden hat, der ein populistisches Medium erfolgreich an den Start bringen möchte. +++

+++ Wie das Milliardengrab Elbphilharmonie zu Everybody’s Darling wurde, und was zehn Millionen Euro Werbebudget damit zu tun haben könnten, analysiert Christian Meier in Springers Welt. +++

+++ „Bomberjacke, geringelte Strumpfhosen, Haare zum Zopf, Pony in die Stirn, Pippi Langstrumpf aus Schleswig-Holstein.“ Im Tagesspiegel porträtiert Katja Hübner Schauspielerin Anneke Kim Sarnau, die einst ihren Vertrag beim Wiener Burgtheater kündigte, um etwa in der ARD-Komödie „Die Diva, Thailand und wir!“ (heute, 20.15 Uhr, Das Erste) mitspielen zu können. Darin versucht sie, einen gemeinsamen Thailand-Urlaub zu nutzen, um ihre Mutter (Hannelore Elstner) ins Heim abzuschieben. „Die Schwächen in der Story machen die Hauptdarstellerinnen wett. Hannelore Elsner kann all ihr Talent in der Diva-Rolle ausleben. Wunderbar die Szene, in der sie im Pelzmantel im Boot sitzt und sich ziert, die Urlaubsinsel zu betreten (,Die feuchte Hitze – das ist die Pest für meine Stimme und für meine Haare!’). Auch Anneke Kim Sarnau ist hervorragend“, urteilt Viola Schenz in der SZ. Heike Huppertz spricht in der FAZ von „Komödie mit Tiefgang“. +++

+++ Nach dem Fernsehen nimmt sich Philipp Walulis im Auftrag von Funk nun das Internet vor. Thomas Feiler hat ihn für die SZ dazu befragt (bislang nur unfrei online). +++

+++ Für die FAZ war Nina Rehfeld am Set der US-Serie „Bull“, die „am Mittwoch um 20.15 Uhr in Doppelfolgen auf 13th Street, zu empfangen bei Sky“ beginnt. +++

+++ „Gegen Fake News braucht es keine neuen Gesetze und Regulierungen. Anders als etwa in Deutschland, wo die Regierung ein ,Abwehrzentrum’ plant, gibt man sich hierzulande einigermassen gelassen und verzichtet auf voreiligen Aktivismus.“ Nick Lüthi berichtet für die Medienwoche aus der Schweiz. +++

+++ „Er war mein Tischherr, und wir verstanden uns sehr gut.“ Nein, dies ist nicht der erste Satz eines Utta-Danella-Romans, sondern er stammt aus Liz Mohns Autobiographie und ist dem gestern verstorbenen, ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog gewidmet. Bülend Ürük hat für kress.de dieses Dokument einer „tatsächlichen Freundschaft“ ausgegraben und um eigene Prosa („Vielleicht liegt es auch an Liz Mohn, dass Roman Herzog überhaupt 82 Jahre alt wurde.“) ergänzt.

Frisches Altpapier gibt es am Donnerstag.