Die Liste der journalistischen Höhepunkte 2016 muss kurz vor Jahresende noch umgeschrieben werden.
Vielleicht nicht direkt das Extrem-Exklusivinterview mit Barack Obama, das WDR-Chefredakteurin Sonia Seymour Mikich und Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer geführt haben, aber die Art und Weise, in der diese beiden Giganten der deutschen Medienlandschaft es dann "im Netz und in den Sozialen Medien" begleitet (presse.wdr.de) haben, ist ein publizistisches Meisterstückchen.
Die wichtigsten Obama-Aussagen wurden, kaum dass das Interview ab 11.32 Uhr in der US-amerikanischen Botschaft (Quelle: der am besten von unten nach oben nachzulesende Liveticker "Die Ereignisse zum Nachlesen: So war der zweite Tag von Obamas Berlin-Besuch" von Springers B.Z.) lief, in den Diskurs eingespeist. U.v.a. hat der WDR auf einem amtlichen Formular (PDF) traditionalistischen Medienvertretern drei Original-Exklusivaussagen in originaler sowie übersetzter Fassung als "Vorabzitate" zur Verfügung gestellt. Andere Wege in die Öffentlichkeit fanden diese Aussagen natürlich auch, z.B. im oben verlinkten presse.wdr.de-Artikel.
Und seitdem das Interview um 20.11 Uhr unter dem attraktiven Eventprogramm-Titel "Zeitenwende" im ARD-Programm gesendet wurde (sowie laut WDR "zeitgleich" von tagesschau.de und Spiegel Online gestreamt), ist es nicht nur in hoher, höchster sowie mittlerer Qualität in der ARD-Mediathek abrufbar, sondern sogar in noch mehr Qualitätsdifferenzierungen (sechs zwischen "klein (H264)" und "HD(H264)" bzw. zwölf, sofern man die englischsprachigen Originalversionen hinzurechnet) auf tagesschau.de downloadbar.
Wenn Sie denken, jetzt wüssten Sie Bescheid: Nö. Denn das Extremexklusivinterview dauerte insgesamt "eine halbe Stunde", und ARD und Spiegel veröffentlichten am Donnerstag lediglich
"eine gekürzte Fassung mit einer Länge von 14 Minuten. Lesen Sie das Gespräch in voller Länge ab morgen Abend im neuen SPIEGEL - und dazu vieles mehr zum Abschied von Obama und zum Leben unter Donald Trump",
meldete SPON gestern. Womöglich gibt das ebenfalls gestern erschienene, gut dreiminütige SPON-Exklusiv-Videointerview mit Exklusivinterviewer Brinkbäumer, der darin mit seinem feinen Lächeln Obamas "Mischung aus Sorge und Optimismus" Seelmann-Eggebert-haft kurzanalysiert, einen Vorgeschmack auf das, was im gedruckten Spiegel stehen wird. Womöglich sind aber auch die Berichte zum "Leben unter Donald Trump", das streng genommen ja erst mit dessen Amtseinführung beginnen wird, die noch spektakuläreren.Wer auf der sicheren Seite stehen will, müsste sich am heutigen Freitag den neuen gedruckten Spiegel sichern, bevor er ausverkauft ist.
Wobei Leute, die wirklich noch mehr über Obama wissen wollen sollten, natürlich bereits den ganzen lieben Donnerstag lang sowohl in der öffentlich-rechtlichen elektronischen Presse durch Heerscharen von Reportern mit jeglichen Informationen ("Trotz Nieselregen holte Merkel den Gast aus den USA an seiner Dienstlimousine ab") überversorgt wurden, u.a. ebenfalls in multimedialer Liveblog-Form, als auch die noch immer schön große Vielfalt privatwirtschaftlicher Medien hätten verfolgen können.
Nur zum Beispiel die der Süddeutschen Zeitung, die vermutlich ein bisschen geknickt ist, dass niemand aus ihrer Chefetage Obama exklusiv co-interviewen durfte, obwohl eigentlich doch WDR, NDR und sie Deutschlands bekanntesten Rechercheverbund bilden. Sie berichtet heute etwas knapp (nur S.1 und S.2), aber dem Nachrichtenwert angemessen. Dass Angela Merkel "in Wahrheit Geschwister im Geiste waren" und im Adlon "Eisbein, gebratene Haxe und Nürnberger Würstel, zum Nachtisch Apfelstrudel" verspeisten, berichtet Stefan Braun mit absolut ausreichender Detailgenauigkeit.
Zurück in den Staaten dürfte Barack Obama jedenfalls ein paar Minuten lang kaum heraus kommen aus dem Schwärmen über so eine Hauptstadtpressen-Hofberichterstattung.
Ach so, Inhalte ... Rein inhaltlich die relativ spektakulärste News haben (falls nicht der Print-Spiegel noch was in petto hat) wohl mal wieder Reporter der Bild-Zeitung zutage gefördert. Bei bild.de ist es gerade nicht zu finden, aber im eingangs schon verlinkten umgekehrten Liveblog der B.Z.:
"10.30 Uhr: Laut BILD zieht es Obama am Morgen in den Fitnessraum. Auf dem Programm: Bizeps- und Trizepsübungen und Stabilisationsübungen für den Rumpf. Für die anwesenden Sportler gilt: 'No pictures when he is sweating!' (Keine Bilder, wenn er schwitzt!)"
[+++] Was immer sich Obamas noch exklusiverer Gesprächspartnerin Angela Merkel vorwerfen lässt: Dass sie es sich bequem mache, wirklich nicht. Ebenfalls gestern, am Vormittag, war sie noch in einer ganz anderen Ecke Deutschlands zugange gewesen. In Saarbrücken war deutscher it-gipfel.de. Ja, Saarbrücken war gestern "Zentrum der digitalen Welt" (saarbruecker-zeitung.de). Und Merkel war da.
"Wie so häufig, hat sie lange geredet, aber wenig Konkretes gesagt", berichtet Markus Beckedahl bei netzpolitik.org vielleicht etwas ungerecht; schließlich ist langes Gerede genau das, was die deutsche Berichterstattung sehr schätzt.
"Spannend wurde es nur kurz, als sie sich zu Datenschutz äußerte und nebenbei erwähnte, dass sie gelernt habe, dass sie das in Zukunft Datensouveränität nennen soll. Dieser Begriff wurde also erfolgreich von der IT-Industrie-Lobby in der Politik platziert."
Was sich hinter dem nun platzierten, bereits schön positiv klingenden Schlagwort "Datensouveränität" verbirgt, steht konkreter in einem "Strategiepapier" namens "Digitale Agenda 2017+" (Süddeutsche, heise.de), das einer der drei besonders fürs Internet mit-zuständigen Bundesminister, Alexander Dobrindt, rausgegeben hat. Darin heißt es laut SZ:
"Daten sind der Rohstoff der Digitalisierung und bilden die Grundlage für digitale Wertschöpfung. Wir wollen weg vom Grundsatz der Datensparsamkeit, hin zu einem kreativen und sicheren Datenreichtum."
Einen separaten, längeren IT-Gipfel-Bericht, der aussagt, um was es ging und überdies mit einer hübschen human-touch-Geschichte aussteigt, hat heise.de ebenfalls:
"Nach ihrer", Merkels, "Ansprache wurde eine Klasse aus einer der ersten 'Smart Schools' in Saarbrücken zugeschaltet, in der Kinder im Unterricht mit Tablets lernen und mit Systemen wie Arduino oder dem eigens für deutsche Schüler entwickelten neuen Kleincomputer Calliope Mini. Das kurze Gespräch illustrierte vor allem die Schwierigkeit, über Generationengrenzen zu kommunizieren. So fragte die Kanzerlin die Schüler, ob sie noch normale Schulfächer hätten. Die Schüler hingegen wollten von Merkel wissen, welche Gadgets sie nutze."
[+++] In die Nische der Medienmedien! Im Aufsichtsgremium des WDR, der Rundfunkanstalt, deren Fernseh-Chefredakteurin der Coup des exklusiven Obama-Co-Interviews gelang, vollzieht sich beinahe so eine Zeitenwende wie im Weißen Haus in Washington.
"Nun ist er also Geschichte, der alte WDR-Rundfunkrat der elften Amtsperiode. Nach sieben Jahren hat er am Donnerstag in Köln die letzte Sitzung absolviert, hat Ruth Hieronymi, seine scheidende Vorsitzende, nach 25 Jahren Mitgliedschaft verabschiedet",
berichtet Hans Hoff auf der SZ-Medienseite. Und es lohnt sich, weiterzulesen:
"Vor allem aber hat er sich ausgiebig gelobt für all das, was er nach eigener Einschätzung bewirkt hat. Wie soll er auch anders an einem Tag, da das Gremium vom Intendanten, also von dem, den man beaufsichtigen soll, jede Menge Honig um den Mund geschmiert bekommt. 'Sie sind das Parlament, sie repräsentieren die Menschen', schwärmt Tom Buhrow in seiner Bilanz."
Ansonsten haben die Gremien-Gremlins in der Sitzung am Donnerstag betalkt, was in Talkshows und Diskussionen über Talkshows auch immer diskutiert wird. Was Hoff andeutet, hat die Medienkorrespondenz konkreter: Nachfolger Hieronymis als Rundfunkratsvorsitzender wird wohl Andreas Meyer-Lauber werden:
"Bevor der studierte Lehrer den DGB-Landesvorsitz übernahm, war er ab 2004 NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Von 1980 bis 2004 arbeitete Meyer-Lauber als Lehrer, zunächst an zwei Gymnasien in Iserlohn und ab 1987 an der Gesamtschule Haspe in Hagen, die er 1986 mitbegründete. Dem WDR-Rundfunkrat gehört Andreas Meyer-Lauber, der Mitglied der SPD ist, seit Oktober 2010 als Vertreter des DGB-Landesbezirks NRW an."
Obwohl Meyer-Lauber SPD-Mitglied ist, wurde er nicht vom roten Freundeskreis nach oben gehoben, weiß Volker Nünning:
"Nach MK-Informationen ist Meyer-Lauber aus dem Freundeskreis der Grauen im Rundfunkrat für die Position nominiert worden. Beim WDR-Rundfunkrat gibt es drei Freundeskreise, denen sich Rundfunkratsmitglieder anschließen können; dabei handelt es sich um den roten SPD-Freundeskreis, den schwarzen CDU-Freundeskreis und den Freundeskreis der Grauen, die sich parteipolitisch nicht gebunden sehen. Der Freundeskreis der Grauen ist zahlenmäßig der größte."
Am Hebel der Macht beim WDR scheinen also die Grauen zu sitzen (oder müsste es "das" heißen?).
+++ Herzlichen Glückwunsch, dwdl.de! Der Kicker der deutschen Fernseh- oder sogar Medienbranche wird, ein Jahr nach dem Altpapier, auch fünfzehn Jahre alt. Den schönen Kicker-Vergleich bringt Gründer und Chef Thomas Lückerath selbst im großen TAZ-Interview ("Wenn man auch den Kicker als Verlautbarungsmedium des deutschen Fußballs sieht, dann wären wir das für das TV. Natürlich sprechen wir mit der Branche und geben wieder, wenn es etwas zu sagen gibt. Aber es geht auch um eigene Urteile"). Lassen Sie vom Anfang des Interviews, an dem der Lückerath auch erst mal verlautbart ("Der Journalismus hat eine wunderbare Zukunft – wenn er sich spezialisiert"), nicht hinters Licht führen. Das Lesen lohnt, später geht Lückerath kräftig zur Sache ("Ich sehe zum Beispiel Verlage wie die Funke Mediengruppe, die sich von der Politik bessere Rahmenbedingungen für Qualitätsjournalismus wünschen, selber aber Schundblätter en masse herausbringen, in denen die Wahrheit verfälscht wird"). +++
+++ Dass die wunderbare Zukunft des Spezialisierungs-Journalismus auch mit kräftigem Schrumpfen einhergeht, wissen sie gut bei Gruner + Jahr. Einen schön bösen Überblick über dieses Verlagshaus einst und jetzt gibt Ulrike Simon in ihrer Madsack-RND-Medienkolumne anlässlich der gestern dort veranstalteten "Fuck Up Night": "Wird 'Stern.de'-Chef Philipp Jessen vortragen, wie er glauben konnte, mit einer derart flachen Zeitschrift wie 'frei' zu reüssieren, und es trotzdem schaffte, direkt nach ihrem Aus in die 'Stern'-Chefredaktion aufzurücken? ... Wird G+J-Chefin Julia Jäkel erklären, woran es liegt, dass die Auflage des Überfliegermagazins 'Landlust' just mit dem Einstieg ihres Verlags unter die Schwelle von einer Million gerutscht ist und seither sinkt?"+++
+++ "Der Spiegel galt schon damals als kritisch" - in den 1950ern, weshalb in den frühen 60ern dann die Spiegel-Affäre ... Sie wissen Bescheid. Um nun endlich "die Namen der Informanten [zu] erfahren, die" seinerzeit "Interna aus der Redaktion an den Bundesnachrichtendienst gegeben haben", klagte der Verlag nun vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen die Bundesrepublik Deutschland. Eine Entschedung fiel noch nicht. Wolfgang Janisch berichtet in der SZ. +++
+++ Megathema Hate- und Fake-Inhalte. +++ "Demzufolge erreichten die Fake-News im Vorfeld der US-Wahl zwanzig Prozent mehr Interaktionen als seriöse Nachrichten - sie wurden also häufiger geteilt, kommentiert oder mit einem Emoticon markiert" (sueddeutsche.de unter Berufung auf buzzfeed.com). +++ "Zu Online-Hassbotschaften sagte Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne), binnen 24 Stunden müsse entschieden sein, ob ein Beitrag gesperrt wird. Nicht-Handeln der Betreiber müsse Konsequenzen haben, wobei für systematisches Versagen bis zu eine Million Euro Bußgeld denkbar wären" (DPA/ heise.de). +++ "Google kündigte außerdem an, auf den Seiten von Google News in Deutschland noch in dieser Woche ein zusätzliches Label für 'Faktenchecks' freizuschalten. Dabei werden Anwender bei bestimmten Nachrichtenthemen auf Hintergrundartikel hingewiesen, die die Faktenlage zu aktuellen Themen überprüfen. Von den Medien in Deutschland beginnen zunächst die Redaktionen der 'Frankfurter Allgemeinen' und von Correctiv ihre Berichte mit Metadaten so zu kennzeichnen, dass die Algorithmen von Google diese als 'Faktenchecks' erkennen können. Google überprüft dabei nicht selbst die Fakten ..." (horizont.net im Artikel, der eigentlich der Bekanntgabe neuer "Gewinner" von Google-Spenden gilt, zu denen u.v.a. der Tagesspiegel zählt). Siehe dazu auch netzpolitik.org. +++ "Man schafft sich so eine friedliche Blase: Die Angriffe finden zwar statt, das Opfer bekommt sie aber nicht mehr mit" (Andrea Diener bei faz.net zu neuen Twitter-Werkzeugen gegen Hatespeech). +++
+++ "Landen wir alle im postfaktischen Facebook-Faschismus? Wenn die Menschen nur noch glauben, was sie sowieso schon glauben? Wird Mario Barth nächstes Jahr Bundeskanzler der AfD? Und egal, was wir schreiben, sagen, senden – es hilft nichts? Weil uns keiner mehr zuhört, vertraut, braucht? Vielleicht. Oder nein ..." Falls Sie diese Art des Storytelling schätzen: Bei uebermedien.de geht's weiter. +++
+++ Donald Trumps Wahl tut den US-amerikanischen Medien beim Abo-Absatz gut (TAZ). +++
+++ Es wird mehr bundesweite Digitalradioangebote geben (weil die ZAK bei der MPK einen Antrag stellte ...). Siehe golem.de. +++
+++ "Erstaunlicherweise geben sich die Beteiligten von dem Verlauf des Konfliktes überrascht. Angeblich haben die vier Verlage noch im Spätsommer nicht an einen Schritt wie den Austritt aus dem Fachverband gedacht. Beim VDZ wiederum hat man mit derart hartnäckigem Widerstand nicht gerechnet" (Axel Weidemann auf der FAZ-Medienseite über den aktuellen Verlegerlobby-Trubel; siehe Altpapier gestern). +++
+++ Gestorben ist Konrad Kraske, der von 1962 bis 2002 dem ZDF-Fernsehrat angehörte, das letzte Jahrzehnt als Vorsitzender. Siehe medienkorrespondenz.de. +++ Ebd.: eine Harald-Keller-Vorabbesprechung einer heute bei 3sat laufenden Dokumentation über den Wandel der Bestattungs-Branche. +++
+++ "Schon seltsam: Deutschlands Nestor des gediegenen Films, der dem Publikum als Publizist sein Metier erklärt, dem Nachwuchs als Professor das Handwerk und allen anderen als Mitglied zweier Akademien die Kunst – ausgerechnet dieser Großintellektuelle hat einen putzigen Hang zum Profanen ...": Da dichtet Jan Freitag im Tagesspiegel (unter der fiesen Überschrift "Der Kriminalist") über Dominik Graf, dessen neuer Film am Samstag um 20.15 Uhr im ARD-Fernsehen läuft. Siehe u.v.a. auch SZ. +++
+++ Im Tsp. geht's auch um Schach als Bewegtbild-Sport im Internet. +++
+++ "Keineswegs so sicher ... wie das manche bereits angenommen haben": die "IBES"-Teilnahme einer bekannten Vornamen-Prominenten, verlautbart dwdl.de unter Berufung auf nicht nur eine Boulevardzeitung. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.