Donald Trump interessiert sich nicht für Fakten. Er legt und lügt sich ein verstörendes Weltbild zurecht, ist unberechenbar, doch selbst berechnend, und hat seine Probleme, Frauen als gleichberechtigt zu akzeptieren. Er ist unsympathisch, demagogisch und seine Frisur sieht aus, als sei vor Jahrzehnten ein Meerschweinchen auf seinen Kopf gekrochen und dort verendet.
Ich könnte ewig so weitermachen, doch will es kurz halten: Donald Trump ist der mieseste Präsident, den man sich für eine Demokratie mit dem Einfluss der USA wünschen kann. Das ergibt sich zumindest aus allen über ihn verfügbaren Medienberichten, die ich gelesen habe. Dennoch besteht weiter die Chance, dass er die Wahl heute gewinnt. Was die Lektion ist, die wir schon jetzt aus dem US-Wahlkampf lernen können und sollten, und zwar schnell. Meint zumindest Quynh Tran heute auf der Medienseite der FAZ (0,45€ bei Blendle):
„Der vermeintlich ungebildete rechte Rand macht die Hälfte der Bevölkerung aus. Und die Öffentlichkeit, die Spiegelbild der Meinung der Bevölkerung sein sollte, hat sie verfehlt, sie macht eine Masse, die sie nicht versteht, unsichtbar.“
(Dass das nicht ganz so ist, zeigt u.a. diese Zusammenstellung an Texten über Trump, die USA und die Wahl von Christian Fahrenbach bei Krautreporter. Aber wir wollen hier ja nicht die schöne Argumentation kaputt machen, also weiter:)
„Diejenigen, die sich ohnehin unverstanden fühlen, auch noch als fehlgeleitet und dumm abzustempeln, ist nicht nur gefährlich, weil das Trumps Populismus Nährboden gibt, sondern auch undemokratisch. Geht es um ,Hybris’, so ist diese nicht nur bei den Demokraten, sondern auch bei den Medien zu finden. Ihr selbstreferentieller Diskurs ist dialogresistent. Die Gräben zwischen Urbanisten, die von sich zu wissen behaupten, was richtig ist, und denen, die sich an den Rand gedrängt sehen, werden größer. Diese intellektuelle Überheblichkeit könnte dazu führen, dass diejenigen, die das Medienbild bestimmen, von den vielen, die es konsumieren, nicht mehr ernst genommen werden.“
Erst bröckelt das Erlöskonzept, und dann geht einem auch noch die Deutungshoheit flöten – als Journalist hat man es auch nicht leicht. Doch sich darüber in sein Berlin-Mitte Büro zurückzuziehen und diesem Umstand zu beweinen, hilft halt nichts. Zumindest, wenn man den eigenen Anspruch an die Aufgabe des Journalismus in einer Demokratie noch pflegt, und nicht nur den auf einen Stammplatz im Borchardts.
Und die Demokratie kann den Journalismus immer noch gebrauchen:
„Wenn man die schleichende Automatisierung in den sozialen Netzwerken weiterdenkt, bedeutet es, dass die gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildung, aber auch unsere Weltanschauung in den nächsten Jahren ganz wesentlich von dieser Art der Algorithmisierung abhängen könnte. Wir müssen uns als Gesellschaft deshalb fragen: Wollen wir das zulassen?“
Hier spricht der umtriebige Stephan Weichert zu Meedias Alexander Becker über die Rolle von Social-Bots, und der schöne, neue Modebegriff „postfaktisch“ (Altpapier) fällt natürlich auch.
[+++] Dystopisch geht es weiter, nur mit Szenenwechsel in die Türkei, wo sich aktuell beobachten lässt, dass auch demokratisch gewählte Politiker undemokratisch handeln können. In der Redaktion der ins Visier der Erdoganschen Säuberungen geratenen Cumhuriyet (Altpapier) hat sich für Zeit Online Çi?dem Akyol umgehört und sich vom kommissarischen Chefredakteur Aykut Küçükkaya Aussagen wie „Ja, wer die Wahrheit schreibt, die Mächtigen kritisiert, der ist ein Verbrecher in diesem Land“ oder „Denn wenn wir immer daran denken würden, dass wir abgeholt werden, dann könnten wir nicht arbeiten“ in den Block diktieren lassen.
In historische Perspektive setzt die aktuellen Ereignisse ?ükran Soner, „die dienstälteste Redakteurin des Blattes“:
„Seit 50 Jahren schreibt die 70-Jährige für die Cumhuriyet, drei Militärputsche hat sie als Journalistin erlebt. ,Die jetzige Situation macht mir keine Angst. Mir macht es aber Angst, wohin all diese Traumatisierungen führen werden’, sagt sie. Denn zwar habe die Militärjunta die Cumhuriyet auch immer bedroht, doch man habe immer gewusst, dies sei eine Phase des Übergangs. Jetzt aber gehe eine gewählte Regierung gegen das Medium vor, und ein Ende dieser Phase sei nicht absehbar.“
Den sich aufdrängenden historischen Vergleich spricht diesmal Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Gespräch mit dem Deutschlandfunk aus:
„Es gibt 11.000 nur Gewerkschafter, die seit dem 15. Juli vom Dienst entlassen wurden. In der Pressefreiheitsdebatte ist die Türkei an 151. Stelle von 180 und man nimmt an, dass 10.000 Journalisten ohne Arbeit sind. Aber das Schlimmste ist dabei, dass in der Türkei etwas eingesetzt hat, gesellschaftlich oder sozial gesehen: ein ziviler Tod. Von allen Entlassenen wird der Name im Amtsblatt publiziert. Sie haben keine Chance mehr, eine Stelle zu finden. Die Diplome und auch die Pässe werden zerstört. Die Menschen haben kein Einkommen mehr für ihre Familie, sie verlieren ihre Wohnung, sie leiden Hunger. Das sind Methoden, das muss man unverblümt sagen, die während der Nazi-Herrschaft benutzt wurden. Und das ist eine ganz, ganz schlimme Evolution, die gekommen ist in der Türkei seit Juli, die wir als Europäische Union nicht einfach hinnehmen dürfen.“
[+++] Und nun das Thema, dass Deutschlands Medienmedien den gestrigen Tag über beschäftigte: der Auftritt einer vollverschleierten Dame mit fragwürdigem Weltbild bei „Anne Will“ (Altpapier gestern).
„Bei der ,Welt' spricht man von einer ,Propaganda-Sendung für den IS’, beim ,Stern’ will man einen ,Skandal’ gewittert haben und die ,FAZ’ schreibt von einer ,Gratwanderung’, an der Will ohne ihre kritischen Gäste gescheitert wäre“,
fasst Timo Niemeier bei DWDL die ersten Reaktionen zusammen. In einer zweiten Runde wurde dann ausgegraben, wer diese Nora Illi überhaupt ist – Einsatz Marc Röhlig beim hippen Jugendportal Bento (Fettungen im Original):
„Als Jugendliche war Nora ein Punk, später kam sie über den Buddhismus zum Islam. Als Konvertitin legt sie den Glauben sehr viel strenger aus als die Mehrheit der Muslime – radikale Regeln und Vollverschleierung gehören für sie dazu. In Ägypten wird Nora Illi wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gesucht.
2003 hat Nora Qaasim Illi geheiratet, den Anführer des Islamischen Zentralrats und engagiert sich seitdem in dem Verein. Der Name klingt hochtrabender, als er in Wahrheit ist: Der Zentralrat vertritt nur rund 0,5 Prozent aller 400.000 in der Schweiz lebenden Muslime.“
Genau darauf bezieht sich auch Rainer Stadlers Kritik in der NZZ:
„Die Wirkung dieses kleinen Vereins beruht auf seiner geschickten Medienarbeit. Man weiss dort, wie man Schlagzeilen erzeugen kann. Man weiss, wie man Journalisten zu Tanzbären machen kann – nicht zuletzt durch auffälliges Verhalten und abweichende Meinungen. Einige Redaktionen machen aus Naivität oder Zynismus das Spiel mit.“
Welche genau das in den vergangenen Jahren waren (Spoiler: „Anne Will“ und „Menschen bei Maischberger“), hat die Meedia Redaktion zusammengetragen, womit wir nun zur eigentlichen Frage zurückkommen können, nämlich ob der Auftritt denn nun der ganz oben geforderte Ausflug raus aus dem Weltbild Berlin-Mittes war, oder doch das Schaffen einer Plattform für Islamismus?
Letztere Ansicht vertritt sowohl Judith Freese in der taz („Das Problem ist nicht die Verschleierung, sondern die Ideologie. Und die sollte im Fernsehen nicht so eine ungefilterte Plattform bekommen.“) als auch Michael Hanfeld in der FAZ (Blendle-Link, 0,45€):
„Nora Illi vertritt nicht irgendeine Position, sie verbrämt eine menschenverachtende Ideologie, die sich als Religion ausgibt. Sie fällt in die Güteklasse von Extremisten, mit denen ein Dialog schwer möglich ist und die noch jeden Auftritt als Erfolg verbuchen können, auch wenn sie – wie von den anderen Gästen der Anne-Will-Sendung – reichlich Kontra kriegen. Denn so können sie zeigen: Wir sind da! Und sich im Zweifel auch noch als Opfer vermeintlicher Intoleranz gebärden.“
Beim Tagesspiegel ist man sich da nicht so einig und stellt Markus Ehrenbergs Pro („Ich bin weiterhin dafür, islamische Vertreter wie die Dame im Nikab einzuladen. Auf dass ihnen Demokraten wie Mansour oder Bosbach widersprechen. Bessere Abschreckung gibt es nicht.“) gegen Joachim Hubers Contra („Es ist keine kleine zivilisatorische Errungenschaft, dass sich Menschen in der Öffentlichkeit, im Fernsehen nicht verhüllen, nicht verstecken müssen. Es ist Ausdruck von Freiheit. ,Anne Will’ gestand Nora Illi zu, diese Freiheit zu missachten.“).
Nur beim NDR sieht man nicht so viel Diskussionsbedarf, sondern ist sich sicher, alles richtig gemacht zu haben (dpa/Spiegel Online).
+++ Der VDZ hat einen neuen Präsidenten, der „eher für das Produkt als für den Weg“ ist, wie Stephan Holthoff-Pförtner von der Funke-Mediengruppe im Turi2-Interview sagt. Noch mehr Print-Liebe kommt im Zitat Holthoff-Pförtners raus, das Der Standard von der VDZ-Tagung Publisher’s Summit mitgebracht hat: „Auch werde die Print-Branche zuweilen als ,dead industry’ (tote Industrie) betrachtet. ,Wenn das der Tod sein soll, dann ist das ein schöner Tod’“. Dass das für 2016 eventuell nicht der zukunftsträchtigste Ansatz sein könnte, hatten Verlegervertreter von Gruner+Jahr, Zeit und Spiegel schon vor zwei Wochen angemerkt (Altpapier). Auf diesen internen VDZ-Konflikt gehen in ihren Veranstaltungs-Besprechungen Marvin Schade bei Meedia sowie, nicht online, die FAZ ein („Weiter äußern will man sich [aus Hamburg] zu den Vorgängen beim VDZ erst einmal nicht, stattdessen neu sortieren und abwarten. Doch an der Haltung werde sich zunächst nichts ändern.“). Über gestern Abend zudem verliehene Preise an Martin Schulz und Can Dündar informiert ebenfalls Meedia. +++
+++ Sich gleichzeitig beim eigenen Sender für den Rückhalt bedanken und dennoch Sachen wie „Die Bereitschaft, Neues zuzulassen und auch mal zu scheitern, geht gegen Null“ zu sagen: das hat gestern Jan Böhmermann beim Festakt zur Gründung des Grimme-Forschungskollegs an der Uni Köln geschafft. Nachzulesen bei epd/Der Westen und DWDL. +++
+++ Der US-amerikanische Rolling Stone schuldet der Universität von Virginia drei Millionen Dollar Schadenersatz, meldet die New York Times. Die Zeitschrift hatte eine fragwürdige Vergewaltigungs-Geschichte in die Welt gesetzt (s. Statement des Rolling Stone von 2014). +++
+++ „Weil wir belanglos sind. Weil es kaum jemanden interessiert, wenn wir nur Termine und Ereignisse beschreiben. Viele Lokalredakteure haben es verlernt, Geschichten zu erzählen.“ Diese nicht ganz neue Erkenntnis über den deutschen Lokaljournalismus hat Joachim Braun, Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse, laut Vorabmeldung dem DJV-Magazin Journalist anvertraut, was in diesem Fall die überraschendere Meldung ist – also, dass der Journalist noch erscheint, nun erstmals im neuen Verlag New Business. +++
+++ „Wenn die gedruckte Zeitung eines Tages nicht mehr wirtschaftlich ist, muss man sie einstellen.“ So lässt Viola Schenz heute auf der Medienseite der SZ den New York Times-Geschäftsführer Mark Thompson die Zukunftsstrategie für seine Zeitung erklären. Zudem bespricht Thorsten Schmitz auf der Seite den Dokumentarfilm „#Uploading Holocaust“, der sich aus Youtube-Filmchen zusammensetzt, die israelische Jugendliche an Stätten der Vernichtung in Polen gedreht haben. „Der Film ist eine bloße Bilderflut. Er vermittelt keine Haltung, kein Innehalten. Dabei gäbe es so viel zu erzählen.“ +++
+++ Am Samstag ist Wolf Hanke gestorben, langjähriger Fernsehchefredakteur des Hessischen Rundfunks. An ihn erinnern sein Sender sowie DWDL. +++
+++ „Gesucht wird eine Führungspersönlichkeit, die im hohen Maße flexibel und kommunikationsstark ist und sich dabei durch eine hohe Leistungs- und Einsatzbereitschaft auszeichnet. (...). Im Gegenzug bietet der Arbeitgeber eine Unternehmenskultur mit vielen Freiräumen und ausreichend Raum, eigene Ideen zu verwirklichen.“ DuMont sucht für seine neue Berliner Newsroom GmbH bei kress.de Personal und wirbt mit viel Raum. Das freut sicher die 50 derzeitigen Mitarbeiter, für die derjenige jetzt knapp wird (s. Altpapier). +++ Wie sparen bei DuMonts noch aussehen kann, zeigt übrigens heute die Überschrift über der „Hart aber fair“-Kritik u.a. bei der Berliner Zeitung online: „Gäste fallen sich ständig ins Wort – Plasberg so wertvoll wie nie“. Die kann man immer wieder verwenden! Ist das nicht praktisch? +++
+++ „Am Ende ist es unsere Aufgabe, journalistische Texte zu imitieren – aber vielleicht nicht unbedingt zu ersetzen“. Titanic-Chef Tim Wolff im Interview mit dem Flurfunk Dresden zur Frage, wie viel Journalismus im Satiremagazin steckt. +++
+++ Die harmloseste Journalismuszukunftsprognose des Tages kommt von Melanie Croyé, freie Journalistin und Gründerin des mittlerweile wieder eingestellten Frauen-Wirtschafts-Magazins BizzMiss. Sie sagt bei kress.de: „Meine schlechte Nachricht für Journalisten - feste und freie - ist: Es werden nur wenige die Branchenkrise überleben. Nur wer sich jetzt geschickt platziert, hat gute Karten.“ Und wer schon platziert wurde, muss hoffen, dass sich das Blatt nicht wendet (oder so). +++
Neues Altpapier gibt es morgen wieder.