Die Fähigkeiten von Algorithmen sollten nicht überschätzt werden. Das hat über das vergangene Wochenende Mark Zuckerbergs schnuckeliges Freunschaftsnetzwerk bewiesen, dem man zumindest nicht unterstellen kann, schlecht arbeitende Algorithmen seien durch mangelnde Erfahrung im Umgang mit diesen bedingt.
Was ist passiert? Am Freitag kündigte Facebook an, die Meldungen in seinen (in Deutschland nicht verfügbaren) „Trending Topics“ in Zukunft nicht länger von Menschen anteasern zu lassen, sondern die Teaser durch Stichwörter zu ersetzen, die ein Algorithmus anordnet. Grund für diese Änderung war die Kritik an Facebook, die „Trending Topics“ nicht neutral sortiert zu haben (Altpapier).
That escalated quickly.
„Mere hours after Facebook announced that its Trending section would become more algorithmically controlled, users noticed that the social network was surfacing a fake news story about Fox News host Megyn Kelly. (...) My top trending topic Monday morning was Go Topless Day, which was apparently celebrated on Sunday. (...) Other top trending topics were McChicken, which linked to a Mashable post that aggregated Twitter reactions to a video of a man having sex with a McDonald’s sandwich; LCD Soundsystem, which has plans for a new album; and Mila Kunis, for which the top story was a post from a page called That Viral Feed. Not exactly the highest quality results — especially given Facebook’s efforts over the past year to reduce the spread of clickbait in the main News Feed“,
berichtet Joseph Lichterman im Nieman Lab.
Für die Journalisten, die nicht bei Focus Online arbeiten und deren Chefs in diesem Augenblick erkannt haben, dass ihre Startseite durch Algorithmen noch den letzten Schritt zum Optimum schaffen könnten, ist das eine gute Nachricht, denn ihr Gehirn wird offenbar doch gebraucht für die Auswahl und Anordnung von Nachrichten. Dem 15- bis 18-köpfigen Redaktionsteam bei Facebook, das laut Quartz entlassen und von Technikern ersetzt wurde, dürfte diese Erkenntnis zumindest eine kleine Genugtuung sein.
Und damit nach Deutschland, wo der Bundesinnenminister die Strafverfolgung gerne in die Hand von Facebook-Algorithmen legen möchte – oder so ähnlich.
„Beim ,Kampf gegen Terrorismus und gegen Hass und Gewalt im Internet’ wolle er Facebook aber ,ermuntern’, noch mehr als bisher strafbare Inhalte wie islamistische Propaganda oder rechtsextreme Volksverhetzung auch ohne vorangegangene Beschwerden aus dem Netz zu nehmen. Er denke dabei an ,innovative Softwarelösungen’, die derartige Texte, Bilder oder Videos automatisch aufspüren und erkennen können - wie sie etwa im Kampf gegen Kinderpornografie erfolgreich eingesetzt werden“,
paraphrasiert der Bayrische Rundfunk Thomas de Maizière bei seinem Besuch im Berliner Facebook-Büro gestern. Schön dazu auch der Satz, den Spiegel Online herausgegriffen hat:
„Facebook komme mit seiner mehr als eine Milliarde Nutzer eine wichtige gesellschaftliche Rolle zu.“
Sobald Sie fertig damit sind, den Kopf entgeistert gegen die Tischplatte zu schlagen, weil einen Datenkraken in die gesellschaftliche Pflicht nehmen zu wollen auf der nach oben offenen Orwell-Skala eine solide Neun erreicht, schalten wir kurz zu Markus Beckedahl bei Netzpolitik.org, der bereits im Vorfeld des de-Maizière-Besuchs über dessen Forderungen meinte, sie
„bedeuten nichts weniger als den Ausbau der Überwachung und die Schaffung von unkontrollierbaren Zensurinfrastrukturen, vor allem durch eine privatisierte Rechtsdurchsetzung im Rahmen von ,freiwilligen Kooperationen’ mit Plattformanbietern wie Facebook.“
Oder, in anderen Worte, nämlich denen von Barbara Wimmer bei futurezone.at:
„Wo ist die Grenze zwischen zorniger Kritik, Zorn, Wut und Raserei und verbotenen Hasspostings? Das entscheiden in einem demokratischen Staat normalerweise Gerichte. Warum also nicht die Staatsanwaltschaften aufrüsten, anstatt mit Facebook einen privaten Konzern über die Grenzen entscheiden zu lassen?“
Statt darauf zu hoffen, dass Facebook seine AGB dem deutschen Recht entsprechend formuliert und dessen Einhaltung so sorgsam kontrolliert wie Berlin Falschparker (für Nicht-Berliner: der einzige Teil der Verwaltung, der optimal funktioniert und personell ausgestattet ist), könnte der Innenminister dem Unternehmen mit dem bestehenden Rechtsstaat auf die Pelle rücken. Aber das dafür nötige Personal müsste jemand bezahlen, und da kommt den deutschen Steuerzahler eine Selbstkontrolle Facebooks natürlich günstiger.
[+++] Zurück zu Algorithmen, die beim Nachrichten-Anordnen einen aus journalistischer Sicht schlechten Job machen. Aber, und das ist die schlechte Nachricht, bei den Lesern das größere Vertrauen genießen. Das sagt zumindest Rasmus Kleis Nielsen vom Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford im Interview mit Alexandra Borchardt heute auf der Medienseite der SZ.
Echt jetzt? Die Leser halten die Technik-Affen, die den Go-Topless-Day zur Top-Nachricht machen, für vertrauenswürdiger als Journalisten?
„Das ist ein Weckruf in einer Zeit, in der die Traditionsmedien proklamieren, dass ihre Qualität sie anderen Nachrichtenkanälen überlegen macht“,
meint Nielsen, bzw. hofft er es wohl vor allem. Verbesserungspotential sieht er u.a. in der Wiederentdeckung des Lesers und seiner Bedürfnisse sowie Fähigkeit, sich als mündiger Mensch seines eigenen Verstandes... Sie wissen schon:
„Zum Beispiel investieren Medien viel zu viel Geld und Energie darin, die Ersten zu sein. Das interessiert niemanden! Warum machen Medien das? Weil es ihre Definition von Qualität ist. Ein anderes Beispiel: Politikberichterstattung. Das ist viel zu oft ein Insider-Geschäft zwischen Quellen und Reportern. Journalisten werden hineingezogen in diese Blase: Habe ich das exklusiv? Normalen Menschen bringt das nur etwas, wenn eine Verbindung zu ihrem täglichen Leben hergestellt wird. Viel zu selten fragen Redaktionen: Warum ist das für unsere Leser wichtig?“
Und wenn Sie jetzt glauben, Journalisten seien doch nicht so arrogant, ihre Leser für leicht beschränkt zu halten, dann schauen Sie mal im Blog von Christian Jakubetz vorbei, der in seinem aktuellen Beitrag miesen Lokaljournalismus für mies, aber immer noch gelesen erklärt, weil die Leser es nicht anders wollten.
„Natürlich wollen wir alle kritischen und unabhängigen Journalismus. Aber bitte, wenn es das um das eigene Revier geht, da wird dann aus dem kritischen Journalisten schnell ein Nestbeschmutzer. Und so genau will man es ja auch gar nicht wissen, wenn es um die eigene Haustür geht. Würde man sich also als alternatives Lokalmedium irgendwie gegen die Vorstellung der meistens heilen Welt positionieren, man könnte ebenso gut vorsorglich Insolvenz beantragen.“
Jakubetz führt als Beweis für diese These an, dass immer noch Menschen Lokalzeitungen läsen, obwohl deren Qualität schon zu Zeiten seines Volontariats in den 1980ern unterirdisch gewesen sei. Und ignoriert dabei, dass deren Auflagen stetig sinken, dass eine Hauptursache für schlechten Journalismus im Lokalen fehlendes Personal und Zeit für Recherche sind und nicht der Wille zur schlechten Arbeit, und dass zudem das Problem alternativer, meist kritischer Online-Medien nicht fehlender Leserzuspruch, sondern mangelnde Refinanzierung ist. Was bekanntlich selbst die größten und etabliertesten Zeitungshäuser bislang nicht zu lösen vermochten.
Journalisten trauen ihren Lesern nichts zu die ihren Journalisten nichts zutrauen. Wenn Sie Journalist sind und heute noch nichts vorhaben, können Sie diesen Teufelskreis ja mal durchbrechen.
[+++] Kleine Aufheiterung vor dem Altpapierkorb gefällig? Leo Fischer macht in der Jungle World den Don Alphonso, dessen aktuelle, auch als Rainer Mayer auf der FAZ-Medienseite geführte Fehde gegen die Amadeu Antonio Stiftung in der vergangenen Woche von Frank Lübberding an dieser Stelle aufgegriffen wurde.
Auftritt Fischer alias Don Alf:
„In Bayern nennen wir solche Leute wie die in Berlin ,Remmbremmerdeng’. Darunter verstehen wir einen Menschen, der seinem Nächsten konsequent sein bisschen Lebensglück missgönnt, ihm also seinen kleinen Porsche, seine winzige Kunstsammlung oder sein bisschen Monopolkapital wegnehmen und sanktmartinshaft unter den Armen-Armeen der Unterprivilegierten verteilen will. Das sorgt dann freilich nicht dafür, dass nur einer reicher wird, sondern dass ein weiterer Armer entsteht, nämlich ich. (...) Wir Reichen sind auch eine Minderheit. Und das wollen wir bleiben.“
+++ Wie es Europa mit der Netzneutralität hält, wird heute Nachmittag um 14.30 Uhr verkündet (Livestream verfügbar). Einen Vorbericht hat, natürlich, Netzpolitik.org. +++
+++ Weitere Meinungen zum neuen Blog des Hauptstadtstudios (Altpapier gestern) haben Markus Beckedahl bei Netzpolitik.org und Stefan Winterbauer bei Meedia. Aktuelle Meldung dort: eben das, eine Meldung über Frank-Walter Steinmeiers Meinung zur Türkei. Deutlicher kann man wohl nicht machen, dass man eine Unterscheidung zwischen Bloggern und Journalisten für überholt ansieht. +++
+++ Die taz darf weiterhin ein Foto von Björn Höcke mit ausgestrecktem rechten Arm verbreiten, berichtet sie im Hausblog. +++
+++ Beim Neuen Deutschland hat in der Nacht zu Montag der Blitz eingeschlagen und die Server lahmgelegt, sodass die heutige Ausgabe analog vorbereitet werden musste. Die Redaktion gab sich gelassen: „Wenn alle Stricke reißen, steigen wir auf Kartoffel-Druck um.“ +++
+++ Was es mit einem macht, seit sechs Jahren im Internet kursierende Lügengeschichten zu entlarven, berichtet Andre Wolf von Mimikama im Interview mit Boris Rosenkranz bei Übermedien. Dass dazu auch gehört, beschimpft und ins Impressum einer fiesen Website namens migrantenschreck.ru geschrieben zu werden, meldet auch die taz. +++
+++ Die Londoner Fleet Street ist nun offiziell keine Zeitungs-Straße mehr; die letzte Redakteure sind in diesem Monat weggezogen. Aus diesem Grund erinnert Peter Nonnenmacher im Tages-Anzeiger noch einmal an die Hochzeiten. +++
+++ „Aber auch der Zuschauer-Senior schlägt sich die Schenkel nicht mehr blutig, wenn ranzig gewordene Stoffe, hartholzige Dramaturgie und überkommene Geschlechterklischees auf der Einraum-Bühne dargeboten werden“, meinen Joachim Huber und Markus Ehrenberg im Tagesspiegel und bestätigen damit den WDR, der seinen Vertrag mit dem Millowitsch-Theater unlängst kündigte. NDR und BR wollten jedoch weiter Volkstheater zeigen, heißt es. +++ Zweites Medienthema der Zeitung: Während der US-amerikanische Playboy nun bekleidete Damen zeigt, bleiben Frauen im deutschen Pendant nackt. +++
+++ „Egal sind die Helden aber nicht nur der Weltgeschichte. Auch die Autoren der Serie scheinen mit ihnen wenig anfangen zu können.“ Benedikt Frank zeigt sich in der SZ eher nicht begeistert von der neuen Pro7-Serie „Legends of tomorrow“. DWDL hat dazu ein Interview mit Schauspieler Victor Garber. +++
+++ Die FAZ pflegt auf ihrer Medienseite heute weiter ihre Digitalradio-Debatte. In der aktuellen Folge beschwört Patrick Hannon, Präsident der Industrie-Initiative „World DAB“, die Alternativlosigkeit von DAB+: „Hier und da wird die Ansicht vertreten, dass das Internet die Alternative zum Digitalradio sei. Das Internet ist zwar ein wichtiger Teil der digitalen Radiolandschaft, hat aber deutliche Nachteile, besonders für Autofahrer.“ +++ Außerdem rezensiert Michael Hanfeld die Doku „Von 9/11 zum Kalifat. Die geheime Geschichte des IS“, die um 20.15 Uhr auf Arte läuft. +++ Und Adrian Lobe widmet sich Websites mit schönen Namen wie „The Political Insider“ oder „USA Politics Today“, die für Donald Trump, aber gegen das Vermelden wahrer Begebenheiten sind. +++
+++ „In den Rundfunkrat wurde Sondergeld vom Senat für die Stadtgemeinde Bremen entsandt, der nach einem mehrheitsfähigen Vertreter mit genügend Zeit suchte.“ Im Laufe des Textes von Sophia-Therese Fielhauer-Resei bei kress.de tauchen zum Glück noch weitere Faktoren auf, die Klaus Sondergeld für seinen neuen Job als Chef des Radio-Bremen-Rundfunkrates qualifizieren. +++
+++ „Ich meine dabei zu erkennen, dass Redaktionen mehr und mehr dazu neigen, wieder mehr Wert auf Werte und Grundregeln zu legen, die ihrer Meinung nach eine Gesellschaft ausmachen und die auch helfen könnten, den unabhängigen, den professionellen, den seriösen Journalismus von dem getwitterten Allerlei abzuheben.“ Wolfgang Clement, Ex-Arbeitsminister und Ex-Chefredakteur der Hamburger Morgenpost im Interview mit Marvin Schade bei Meedia über neue Journalismus-Trends und den Umgang mit Populisten. +++
+++ „Vox setzt auf etablierte Erfolge und sechs Mütter“ – so fasst Thomas Lückerath die Pläne des Senders für die neue Fernseh-Saison bei DWDL zusammen. Bei Meedia läuft die gleiche Geschichte unter „Viele Fortsetzungen und ,6 Mütter’“. +++
Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.