Das allerletzte Lagerfeuer
... soll jetzt noch mal die gedruckte Presse wärmen. (Es ist nicht der "Tatort"). Frischer, teilweise europäischer Tobak vom Bundesinnenminister. Kritik an selbstzweckhaft verdeckten Recherchen; eine entspannte Haltung angesichts des "Endes des Journalismus, wie wir ihn kannten". Außerdem: die Würgeengel des Digitalradios; schon mehr als 135 getestete Stufen!

Sascha Lobo ist ein geschickter Autor, der durch beinahe beiläufig dahin geschriebene Sätze wie "Es gibt Tage, da möchte man nicht mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière tauschen" ein Kolümnchen lang fast vergessen lässt, dass es im laufenden Jahrtausend für so gut wie niemanden so gut wie niemals Anlässe gab, ausgerechnet mit Innenministern tauschen zu wollen. Minister de Maizière selbst ist aber auch nicht sehr ungeschickt und hat trotz der Tatsache, dass streng genommen "im Terror- und Verbrechenskontext ... das Beste, was passieren kann: nichts" ist (Lobo), in solchen Kontexten neue Pakete präsentiert.

Ein Paket hat er mit seinem französischen Kollegen Bernard Cazeneuve zusammen präsentiert, was erst mal ein schöner Zug ist. Schließlich verbindet Frankreich und Deutschland außer einer ganz anderen Intensität des Terrors dort und oft extrem wohlfeilen Ratschlägen von hier gegenwärtig wenig. Wer dieses Paket am schnickschnackfreiesten analysiert, ist natürlich netzpolitik.org.

"Das Gesamtpaket ist harter Tobak für Grund- und Freiheitsrechte",

fasst Markus Reuter zusammen. Er macht dabei auch auf offenkundige deutsch-französische Unterschiede, etwa bei Ent- und Verschlüsselungsfragen, aufmerksam. Außerdem ist im Paket wieder von einem Begriff die Rede, um den es auch hier öfter ging und den es im Französischen wohl gar nicht gibt:

"Die Forderung, Telemediendienste rechtlich in Telekommunikationsdienste umzuwandeln, findet sich schon in de Maizières Überwachungsoffensive und in der Berliner Erklärung. Durch diese rechtliche Einstufung soll bei Diensten wie WhatsApp, Threema, Signal, aber auch Twitter oder Facebook eine Telekommunikationsüberwachung erleichtert und die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht werden. Das wird tendenziell natürlich schwierig werden, wenn die Firmen ihren Sitz nicht in einem europäischen Land haben – und könnte sich hierzulande als Innovationshemmnis auswirken. Diese Änderung soll in die ePrivacy-Richtlinie der EU einfließen."

Was hieße, dass noch viel mehr grauzonigen Gemengelagen entstehen, in denen außer nationalstaatlichen dann auch noch europäische Stellen von Repräsentanten nichteuropäischer Internetkonzerne, die sich US-amerikanischen Gesetzen verpflichtet fühlen, entweder die Löschung oder aber Übergabe von durch irgendwen als ungesetzlich eingestuften Daten verlangen. Siehe z.B. AP vom Montag.

[+++] Falls Sie sich auch gerade fragten, ob es in dem Bereich überhaupt Firmen mit Sitz in einem europäischen Land gibt - doch, weiß SPON (in der Meldung, nicht der Lobo-Kolumne):

"Konkret erwähnt wurden Berichten zufolge in Paris nur Telegram, eine Chat-App, die schon seit Längerem immer wieder in den Schlagzeilen ist, weil sie von Anhängern des 'Islamischen Staats' verwendet wird."

Dieses Telegram wurde nach eigenen Angaben von zwei russischen Brüdern entwickelt, sei aber "nicht mit Russland verbunden. Weder rechtlich noch geografisch. Telegram ist ein internationales Projekt mit weltweit verteilter Infrastruktur. Wir haben versucht, Telegram so weit wie möglich zu dezentralisieren um lokalen Rechtsprechungen aus dem Wege zu gehen", heißt es in den deutschsprachigen FAQs des in deutschen Medien bislang seltsam wenig beachteten, nach Angaben der Wikipedia in Berlin ansässigen Unternehmens.

Jedenfalls hat der geschickte Bundesinnenminister ziemlich zeitgleich mit dem deutsch-französischen Paket erstens außerdem Details der frischen Cybersicherheitsstrategie bzw. der "Anpassung der technischen Fähigkeiten an die aktuellen Herausforderungen der Kommunikationswelt" (siehe ebenfalls netzpolitik.org, zeit.de) rausgelassen. Sowie zweitens, weil Cyberstrategen zumindest wissen, dass das sog. Netz immer gern was zum Spotten hat, das Zivilschutzkonzept, das durch den Hamster-Witze-Trend der deutschen Öffentlichkeit schon viel Spaß bereitet hat. Seine Internet-Pläne dürfte de Maizière wohl durchbekommen ...

[+++] Die Presse im klassischen Sinne hat mit den aktuellen Herausforderungen der Kommunikationswelt bekanntlich auch zu kämpfen. Am morgigen Freitag aber dreht sie noch mal mächtig auf, in einem beinahe frei!-artigen Ausmaß! (Falls Sie vergessen haben, was frei! war, oder überhaupt nichts davon mitbekommen: Es war Gruner+Jahrs im Februar angelaufener Versuch, eine gedruckte Zeitschrift mit der sagenhaften Auflage von einer halben Million Exemplare pro Woche ganz neu herauszubringen; siehe Altpapier zur Aufgabe dieses Versuchs im Juni).

Ab morgen werden immerhin 360.000 Exemplare wöchentlich eines neuen Mediums gedruckt, und es könnten sogar noch mehr werden. Denn Axel Springer, der eigentlich ja kaum mehr Verlag ist, aber vorsichtig, bringt seine Fußballtageszeitung Fußball Bild mit werktäglich 60.000 Exemplaren im "Test-Gebiet München und Stuttgart" heraus.

Warum dort? Weil Münchens bekanntester Fußballverein theoretisch ja auch mal nicht Deutscher Meister und Pokalsieger werden könnte und Stuttgarts bekanntester gute Chancen auf den Klassenerhalt in der Zweiten Bundesliga hat? Nein:

"Gemeinsam ist beiden Städten dafür etwas anderes: die Kaufkraft des potenziellen Publikums",

schreibt dazu die Süddeutsche. Javier Caceres sprach zwar auch mit Matthias Brügelmann, der die Chose als Redaktionsleiter sowie "Stellvertreter der Bild-Chefredakteurin" leiten wird ("Der Fußball ist das letzte große Lagerfeuer, um das sich alle im Land scharen"). Caceres kleidet seinen Artikel aber lieber in interessantere fußballzeitungshistorische Kapitel zwischen dem Spanischen Bürgerkrieg (als das aktuell "meistverkaufte Blatt des Landes" von den Faschisten gegründet wurde, dieses nun natürlich nicht mehr faschistische) und dem Ende der DDR, nach dem Axel Springer die "einzige Sportzeitung, die sich in Deutschland durchsetzte" bzw. durchgesetzt hatte, "übernahm und 1991 wieder einstellte, wegen sinkender Auflagenzahlen".

[+++] Wo es um gedruckte Presse geht, sind grundsätzliche Diskussionen darüber, wie sie und der Journalismus, der durch sie ja immer noch am ehesten Geld verdient, denn noch zu retten sind, niemals weit. Zwei Artikel verdienen tagesaktuell Beachtung:

"... Verschlissen wird ein Recherchemittel, dessen Einsatz stets Ultima Ratio sein sollte. Verdeckte Recherche als Selbstzweck setzt journalistische Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Ihre Inszenierung bringt diejenigen in Misskredit, die wahrhaftig investigativ recherchieren",

schreibt im aktuellen epd medien-Tagebuch Ellen Nebel. Die Kritik gilt dem Boulevardfernsehsender RTL und der schon erwähnten Bild-Zeitung. Speziell geht es um eine verdeckte Recherche, deren Exklusivität "der rote Stempel 'Exklusiv'" im gedruckten Blatt zum Ausdruck brachte, sonst aber gar nichts und vor allem keinerlei Reaktion der verdeckt ausgeforschten Behörde. Dass Erfolgsrezepte durch Inflationierung eher ent- als aufgewertet werden, gehört tatsächlich zu den weniger beachteten Journalismusrettungs-Regeln.

Die schön entspannten Sätze

"Es ist ein Ausdruck geistiger Reife, Medien mit Skepsis, mit einer medienkritischen Haltung zu begegnen. Ich selbst als Journalist möchte auch nicht, dass sich eine Gemeinde bildet, die meinen Berichten unbesehen vertraut ..."

sagt der Autor eines jungen Journalismus-Untergangs-Buches im kress.de-Interview. Das Buch heißt jedenfalls "Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten". Der Autor heißt Ulrich Teusch und ist vielleicht als Träger mittelbekannter Medienpreise geläufig.

Was er sonst so sagt, etwa über den "Mainstream innerhalb des Mainstreams" der Medien (befände sich "auf dem absteigenden Ast") und den "Mainstream außerhalb des Mainstreams" ("befindet sich auf dem Rückzug"), macht eher gespannt darauf, wie er das in seinem Buch denn wohl meint als es bereits klar. Und Fragen wie "Sie könnten Menschen verstehen, die 'Lügenpresse' rufen, schreiben Sie. Gleichzeitig aber missbilligen Sie den Begriff. Wie passt das zusammen?", die implizieren möchten, verstehen sei bereits billigen, helfen auch nicht weiter.

Aber das ist in Ordnung. Zu verstehen, dass jeder etwas zu verkaufen hat, oft sind es noch Bücher, ist schließlich ein zentraler Baustein aller Medienkompetenz. Und eine entspannte Haltung angesichts des "Endes des Journalismus, wie wir ihn kannten", ist keine schlechte.

[+++] Das eben schon erwähnte epd medien ist sozsuagen eine Schwester-Publikation von evangelisch.de. Der am Freitag hier erwähnte Digitalradio-Artikel daraus steht inzwischen frei online. Darin fasst Diemut Roether die in solchen gedruckten Medien, die noch Platz für richtig lange Meinungsäußerungen unterschiedlicher Akteure haben, laufenden Debatten prägnant ("Wer die Entwicklung des Digitalradios in Deutschland schon länger beobachtet, kann sich gelegentlich des Gefühls nicht erwehren, in dem Film 'Der Würgeengel' von Luis Bunuel gelandet zu sein ...") zusammen.

Da wir gerade beim Digitalradio sind ... (weiter im Altpapierkorb)


Altpapierkorb

+++ Ulrich Liebenow, der die klangvollen Titel "Vorsitzender der Produktions- und Technik-Kommission der ARD" sowie Betriebsdirektor des MDR trägt, stellte am Dienstag die neuen Technik-Pläne der ARD vor. Es ging um den noch ziemlich neuen, aber schon ab nächstem März obligitarischen Digitalfernsehstandard und den schon älteren, aber auch noch nicht ungeheuer bekannten Digitalradiostandard DAB+. Peer Schader berichtete nachtaktuell für dwdl.de. +++ Das darin erwähnte Unternehmen Media Broadcast, das 2017 mit Endkundengeschäften durchstarten möchte, geht gerade auch in anderem Kontext durch die Medienmedien (meedia.de). +++

+++Zurück zu den oben erwähnten Telemedien: Mit der Meldung, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit den "Drei-Stufen-Tests", die ihnen der Rundfunkänderungsstaatsvertrag von 2009 für solche Internet-Angbete auferlegte, inzwischen zufrieden seien, überrascht die Medienkorrespondenz. Vielleicht besteht der Grund ja darin, dass die Rundfunkpolitiker aktuell prüfen, "ob und inwieweit der Telemedienauftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio zeitgemäßer ausgestaltet werden kann", und die Anstalten dann schon lieber beim inzwischen gewohnten Unzeitgemäßen bleiben. Jedenfalls seien "insgesamt 45 Drei-Stufen-Tests abgeschlossen. Hinzu kommen noch fünf Verfahren, die sich aktuell in der Schlussphase befinden", insofern sind mehr als 135 Stufen getestet worden. +++

+++ "Es geht nicht darum, ob Politiker dieser Partei zu oft in Talkshows sitzen", sagt der ebenfalls oben erwähnte Ulrich Teusch noch. Aber ein Witzchen über häufige Talkshowgäste geht natürlich immer, weiß der alte Fuchs Joachim Huber (Tagesspiegel). +++

 +++ Asli Erdogans Botschaft aus dem türkischen Gefängnis: "Ein ganzes Leben lang habe ich Opfern beigestanden, und mein Herz wusste immer, wer das Opfer ist. Tatsächlich hat es mich nicht überrascht, dass mein Kampf gegen Gewalt, der nun schon zwanzig Jahre dauert, auf genau diese Gewalt trifft. Den Frieden aufrechtzuerhalten ist schwieriger, als zu kämpfen. Es sind immer die Verteidiger des Friedens, die als Erste beschuldigt werden, wenn der Krieg sich intensiviert", übermittelt das FAZ-Feuilleton. Es macht auch auf die "Free Asli Erdogan"-Petition bei change.org aufmerksam. +++

+++ "Alle Medien ... müssen permanent evaluieren, ob die neueste Sau, die gerade durchs Dorf gejagt wird, tatsächlich einen neuen Trend repräsentiert" (Thierry Chervel in einem Kommentar für Springers Welt, "Lesedauer: 3 Minuten" in der Welt-N24-Beta-Version). +++

+++ Das "gute Ergebnis" von ARD und ZDF bei den Olympischen Spielen, nicht was die von denen selbst verkündete  Verbraucherzufriedenheit, sondern was Werbeeinnahmen angeht, hat eine Agentur namens Ebiquity für werben und verkaufen kalkuliert. +++

+++ "Gefährdet der Rabauken-Jäger-Streit die freie Presse?" lautet eine Unterzeile auf der SZ-Medienseite (die in der Onlineversion des Artikels fehlt). Jedenfalls geht es um den Versuch der "Rostocker Generalstaatsanwaltschaft, ihre eigenen Vorstellungen von Journalismus durch[zu]setzen", und zwar anhand des putzigen Schimpfwörtchens "Rabauken-Jäger". Thomas Krause vom Nordkurier will "sein Recht auf freie Berichterstattung notfalls auch vorm Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein...klagen". +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite berichtet Wladimir Kaminer vom "Humor der Friesen" und Sonstigem dort ("Die Sonne war unsichtbar, aber hart, ich habe mir das Gesicht verbrannt"). +++ Meldungen dort gelten dem ankündigten Streik bei Tor zur Unterstützung Jacob Appelbaums (siehe auch t3n.de) und US-amerikanischen Forderungen, "Facebook müsse die Zusammenarbeit mit der Polizei bei der Löschung von Videos und anderen Daten offenlegen und Richtlinien für ein solches Vorgehen veröffentlichen, die Bürgerrechte schützen". +++

+++ Einen schön anzuschauenden Bravo-Rückblick in Pro- und Contra-Form hat der Tagesspiegel. +++

+++ Und "Kennt noch jemand 'Park Avenue' oder die deutsche 'Vanity Fair'? Oder die Verlagsgruppe Milchstraße mit 'Max' und Dirk Manthey? Sie alle haben bei mir ihren Platz ...", fragt Ulrike Simon unter der Überschrift "Von wegen Altpapier!" in ihrer RND-Madsack-Kolumne. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.